ATP Cincinnati: 20 Doppelfehler verstärken die Zverev-Krise
Alexander Zverev kommt 2019 einfach nicht und Schwung. Dass ihm die US Open 2019, wie von ihm angekündigt, den Durchbruch bringen, scheint mittlerweile kaum realistisch.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
15.08.2019, 13:49 Uhr
Als Alexander Zverev im letzten November das große ATP-Saisonfinale in Londons O2-Arena gewonnen hatte, verschickte auch der Deutsche Tennis Bund eine stimmungsvolle Würdigung für seinen besten Mann. Keineswegs übertrieben war da von einem „Meisterwerk der Entschlossenheit“ die Rede, gelobt wurde Zverevs „imponierende Aufschlagstärke“ bei den prickelnden Duellen am Finalwochenende gegen Roger Federer und Novak Djokovic. Davis Cup-Teamchef Michael Kohlmann sprach damals von einem „völlig verdienten Sieg“: „Sascha hat einfach unglaubliches Tennis gespielt.“
Ein Dreivierteljahr später sind nun ganz andere Erscheinungen und Entwicklungen bei Zverev unglaublich geworden. Der stolze ATP-Weltmeister ist nur noch ein Schatten seiner selbst, ein Mann, der seine heftige Formkrise nicht abzuschütteln vermag und zum Nervenbündel auf großer Tennisbühne geworden ist.
Am Mittwochabend erreichten Zverevs Beschwernisse in dieser krisenbehafteten Spielzeit einen neuen traurigen Höhepunkt: Bei seiner denkwürdigen 7:6, 2:6, 4:6-Niederlage gegen den serbischen Qualifikanten Miomir Kecmanovic produzierte der Weltranglisten-Sechste sage und schreibe 20 Doppelfehler in rund zwei Stunden. Er schrammte dabei nur knapp am Negativ-Weltrekord des Argentiniers Guillermo Coria vorbei, der die Ach-und-Krach-Hitparade für ein Spiel über zwei Gewinnsätze mit 23 Doppelfehlern anführt. Jeder fünfte Punkt von Sieger Kecmanovic, der erstmals einen Top 10-Spieler bezwang, ging auf einen Doppelfehler Zverevs zurück. „Es ist unfassbar, was da mit Zverev passiert“, befand TV-Experte Jim Courier konsterniert beim amerikanischen „Tennis Channel.“
Hat Zverev die "Yips"?
Ähnlich wie bei Angelique Kerber hat der Schlussstrich unter die Zusammenarbeit mit einem prominenten Chefcoach keinerlei Besserung gebracht. Zverev reist nach dem Abgang von Ivan Lendl gerade eher verloren über die Stationen der Tennistour, er wirkt verzeifelt und verkrampft in seinen Bemühungen, eine Wende herbeizuführen. Seine Doppelfehler-Orgie erinnert an die Golfer-Krankheit „Yips“ – die nervlich bedingten Probleme, den Ball oft aus nächster Nähe auf den Grüns einzulochen. Zverevs Stärke, das druckvolle, präzise Service, die Dominanz in einem Spiel über den Aufschlag – das hat sich komplett ins Gegenteil verkehrt. Bis zum Ausscheiden in Cincinnati hat Zverev in dieser Saison 479 Asse fabriziert, dagegen stehen aber 299 Doppelfehler. Mit einem Trend in den roten Bereich, hin zu immer mehr Doppelfehlern. „Es hat mit den ganzen Themen zu tun, die es außerhalb des Courts gab“, sagt Zverev. Die Lage habe sich da zuletzt beruhigt, versicherte er in Cincinnati auch.
Aber von Beruhigung kann keine Rede sein, wenn man sich die Werte anschaut, die der deutsche Spitzenmann in seinem Arbeitszeugnis für 2019 stehen hat. Werte, die nicht besser wurden, sondern schlechter im Saisonverlauf. 2018 hatte Zverev die meisten Spiele überhaupt im Tourbetrieb gewonnen, seine Bilanz lautete 60:19. Nach Cincinnati steht er bei 30 Siegen und schon 17 Niederlagen, gegen Top Ten-Konkurrenz verlor er alle drei direkten Matches. Verlor Zverev den ersten Satz, konnte er nur drei Mal in 15 Fällen das Geschehen noch wenden – zu wenig für einen Topmann wie ihn. Bei den Masters-Turnieren, den Höhepunkten auf der regulären Tour, schleppt Zverev nach der fünften Auftaktpleite beim fünften Cincinnati-Start nun sogar eine Minusrechnung für 2019 mit sich herum – sechs Siege, sieben Niederlagen.
US Open 2019 als Wendepunkt?
Zverev hat sich in den letzten Wochen oft damit getröstet, für die US Open eine große Erwartung auszusprechen. Der New Yorker Grand Slam solle das Turnier werden, „das mir 2019 den Durchbruch bringt“, verkündete Zverev. Doch die Frage bleibt: Mit wem und wie will Zverev diesen Coup schaffen, irgendwie auf Knopfdruck? So einfach wird es nicht. Sein Spiel stagniert ja in diesem Jahr, bestenfalls. Es ist zu defensiv angelegt, es hat selten den nötigen Mumm und Biß. Fast buchstäblich steht der ATP-Weltmeister überwiegend in der Defensive, in kritischen Situationen geht es rasch abwärts. Selbstgespräche, Selbstbeschimpfungen, das Zerstören von Rackets folgen.
Blickt er nach draußen in seine Box, erspäht er die üblichen Gesichter, Fitnesscoach Jez Green, Physio Hugo Gravil, Vater Alexander. Doch auch sie schauen ratlos drein, Zverev ist fit, aber angeschlagen im Kopf. Lendls Abgang hat nicht den befreienden Impuls geliefert, eine Initialzündung für den Rest der Saison. Zverev, so sagt ein befreundeter Insider, brauche dringend kompetenten Rat von außen, nicht nur von einem Coach, sondern auch von einem Mentalberater: „Im Moment ist alles auf ganz dünnem Eis bei ihm gebaut. Das muss sich schnellstens ändern.“