Michael Chang – „Das sollte mich auf keinen Fall definieren“
Der US-Amerikaner spricht im Interview mit „spox.com” unter anderem über das legendäre Match gegen Ivan Lendl bei den French Open.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
11.08.2016, 10:36 Uhr

Es ist eines der legendärsten Matches in der Tennisgeschichte, das selbst Tennislaien ein Begriff ist. Die Rede ist vom Achtelfinale bei den French Open 1989 zwischenMichael ChangundIvan Lendl.Der 17-jährige US-Amerikaner ging damals aus krasser Außenseiter in das Duell gegen den Weltranglisten-Ersten. Chang lag 0:2 in den Sätzen zurück, glich in den Sätzen aus und konnte sich am Ende wegen Krämpfen kaum auf den Beinen halten.Unvergessen sind seine Mondbälle und der Aufschlag von unten im fünften Satz, mit dem er Lendl mental brach.Im ausführlichen Interview mit „spox.com“ sprach Chang unter anderem über dieses denkwürdige Match.
Der US-Amerikaner stand im fünften Satz beim Stand von 2:1 kurz vor der Aufgabe, doch er entschied sich weiterzumachen. „Als ich zum Stuhlschiedsrichter lief, schenkte mir Gott eine unglaubliche innere Überzeugung. Diese Überzeugung war: Hey, wenn ich jetzt aufgebe, werde ich beim zweiten, dritten, vierten und fünften Mal, wenn ich in einer solchen Lage bin, wieder aufgeben. Ob nun auf dem Tennisplatz oder sonst in meinem Leben. Soll ich wirklich dafür bekannt werden, auch unter meinen Kollegen? Und das sollte mich auf keinen Fall definieren. Also dachte ich mir: Okay, dein Job in diesem Moment ist es nicht, über Sieg oder Niederlage nachzudenken. Sondern dein ganzes Ziel muss es jetzt sein, dieses Match zu beenden“, erklärte Chang, der auf die Zähne biss und später den legendären Aufschlag von unten folgen ließ, mit dem er Lendl entnervte.
„Gott wollte, dass ich gewinne”
„Ich habe genau einmal in meiner Karriere von unten aufgeschlagen, und das war gegen Ivan bei den French Open. Ich hatte große Probleme, meinen Aufschlag zu halten, schließlich konnte ich wegen der Krämpfe nicht zu meinem normalen ersten Aufschlag hochgehen. Deshalb war mein erster Aufschlag in dieser Phase vielleicht 110 km/h schnell, was ja eigentlich schon ein sehr langsamer zweiter Aufschlag ist. So war es sogar leichter, ihn zu breaken, als meinen Aufschlag zu halten. Ich war dann auch ein Break vor, 4:3 und 15:30. Aber ich wusste: Ich werde meinen Aufschlag verlieren, wenn ich nichts ändere. Ich dachte in diesem Moment gar nicht lange nach, sondern schlug kurzentschlossen von unten auf, mit viel Sidespin. Einfach nur um zu sehen, was passiert. Weil das immer noch besser war als das, was ich zuvor serviert hatte. Ivan wurde davon vollkommen überrascht, und der Ball war so kurz, dass er nach vorn kommen musste. Und ich schlug einen Passierball, der zuerst die Netzkante und dann seinen Schläger streifte. Plötzlich war das Match nicht nur eine physische, sondern auch eine mentale Schlacht.“
Chang gewann schließlich das Match, indem er Lendl zu einem Doppelfehler reizte. Sechs Tage und drei Siege später stand der Teenager sensationell mit der French-Open-Trophäe dar. Für Chang und dessen Familie war der Titelgewinn von Gott vorherbestimmt. „Die letzten vier Matches in Paris spielte ich aus einer besonderen Inspiration heraus. Die Leute vergessen oft, dass sich zur gleichen Zeit die Situation am Tian'anmen-Platz abspielte. Die Niederschlagung des Aufstandes war am mittleren Sonntag der French Open - ein Tag vor dem Lendl-Match, glaube ich. Eine ganz besondere Ironie, da ich ja chinesischer Abstammung bin. Ich hatte das Gefühl dass Gott wollte, dass ich gewinne, um den Chinesen einen Grund zum Lächeln zu geben - in einer Zeit, in der es nicht viele Gründe dazu gab.“
„Mit diesem Druck konnte ich nicht umgehen”
Chang ist mit 17 Jahren und 110 Tagen immer noch der jüngste Grand-Slam-Sieger im Herrentennis, wahrscheinlich ein Rekord für die Ewigkeit. Der French-Open-Titel hat das Leben des US-Amerikaners radikal verändert. Die Erwartungen stiegen, vor allem auch die eigenen. Chang gewann zwar insgesamt 34 ATP-Turniere, wurde die Nummer zwei der Welt, doch ein weiterer Grand-Slam-Coup blieb aus, obwohl er noch dreimal in einem Grand-Slam-Finale stand. Der Triumph in Roland Garros hatte nur wenige Auswirkungen auf seine persönliche Entwicklung. „Ich glaube nicht, dass es mich als Persönlichkeit verändert hat, aber meine Einstellung hat sich in gewissen Dingen zum Schlechten verändert. Ich hatte die French Open gewonnen und dachte, ich müsse jetzt alle anderen Turniere natürlich auch gewinnen. (lacht) Was natürlich eine ganz falsche Erwartungshaltung ist. Also setzte ich mich viel zu sehr unter Druck, und mit diesem Druck konnte ich nicht umgehen. Ganz ehrlich: Es hat wahrscheinlich ein Jahr gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, in den Top Ten zu stehen und diese Berühmtheit zu sein, von der alle etwas wollen. Es gehört viel mehr dazu, einer der besten Spieler der Welt zu sein, als nur rauszugehen und gutes Tennis zu spielen.“
Chang gehörte zu den Konterspielern, der sich auf den langsamen Plätzen wohlfühlte. In Wimbledon erreichte er bei 14 Versuchen nur einmal das Viertelfinale. Auf den schnellen Belägen hatte es der US-Amerikaner schwer, mit den Serve-and-Volley-Spielern mitzuhalten. Doch die Zeiten haben sich längst geändert. „Ich finde, dass wir in unserer Generation sehr viel mehr unterschiedliche Spielstile hatten. Das machte es schwerer. Heute ist es durch die modernen Schläger und Saiten für Serve-und-Volley-Spieler sehr viel schwieriger geworden, weil der Ball viel mehr Spin hat. Und wenn man den Ball hart genug schlägt - wie soll man dann ans Netz kommen? Schauen Sie sich Wimbledon an: Ich hätte liebend gerne auf dem Rasen gespielt, der heute zum Einsatz kommt. Der Platz ist um vieles langsamer geworden, und der Ball springt fast so hoch wie auf einem Hartplatz.“
Was Chang über seinen Schützling Kei Nishikori, die „Super Coaches“ und seinen christlichen Glauben zu sagen hat,lest ihr hier im kompletten Interview auf „spox.com”.
Hier geht es zum ausführlichen Bericht über das denkwürdige Match zwischen Michael Chang und Ivan Lendl bei den French Open.