Nach 40 Jahren – Guillermo Vilas fordert nachträgliche Erklärung zur Nummer 1
Der Journalist Eduardo Puppo setzt sich vehement dafür ein, dass Guillermo Vilas zur Nummer eins erklärt wird. Die ATP verteidigt sich.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
04.06.2015, 07:15 Uhr
Am 23. August 1973 begann eine neue Zeitrechnung im Herrentennis. Mit der Einführung des ATP-Rankings wurde bestimmt, welcher Spieler der Beste im Tenniszirkus ist. Bis zum heutigen Zeitpunkt gelang es 25 Spielern, die Spitzenposition auf der ATP-Tour zu erobern. Doch es gab auch Spieler, die kurz vor der Besteigung des Tennisthrons scheiterten.Im Jahr 2010 hat tennisnet.com im Artikel „Die Kronprinzen“ die zehn „ewigen Zweiten“ im Herrentennis“ präsentiert. Ganz vorne landete Guillermo Vilas.
1100 Seiten Analysematerial
Der „Young Bull of the Pampas“, wie der Argentinier liebevoll genannt wurde, gewann zwischen 1973 und 1983 insgesamt 62 Turniere. Darunter waren vier Grand-Slam-Siege, zweimal bei den Australian Open und einmal bei den French Open und US Open. Vier weitere Male erreichte der Linkshänder ein Endspiel bei einem Grand-Slam-Turnier. Trotz der großen Erfolge blieb Vilas der Sprung an die Weltranglistenspitze stets verwehrt. So reichte es für Vilas, der für seine Fairness auf dem Platz bekannt war und dem die Sensibilität eines Poeten nachgesagt wurde, nur für Platz zwei in der Weltrangliste.
Doch dass Vilas nur die Nummer zwei der Welt war, hält nicht nur der mittlerweile 62-Jährige für ungerecht. Der argentinische Journalist Eduardo Puppo fordert nach umfassenden Recherchen, dass sein Landsmann nachträglich zur Nummer eins erklärt wird. Das berichtete die „New York Times“ zu Beginn der French Open. Der Antrag wird von Vilas unterstützt. In den letzten sieben Jahren hat Puppo mit einem kleinen Team fast 1100 Seiten an Analysematerial (Statistiken, Tableaus von Turnieren, Zeitungsartikel) zusammengestellt und zog daraus folgende Schlüsse: Vilas hätte im Jahr 1975 für insgesamt fünf Wochen, beginnend am 22. September, als Nummer eins der Weltrangliste vorJimmy Connorsplatziert sein müssen sowie in den ersten beiden Wochen des Jahres 1976.
WTA verändert nachträglich Weltrangliste
Puppo begann mit seinen Untersuchungen, als die WTA im Jahr 2007 anhand zunächst fehlender Dokumente feststellte, dass die AustralierinEvonne Goolagong Cawleyim Jahr 1976 für eine Zeitspanne von zwei Wochen als Nummer eins der Welt vorChris Everthätte platziert sein müssen. Der Journalist ging somit auf die Suche, ob dies auch bei Vilas der Fall sein könnte und wurde nach eigenen Angaben fündig. Heutzutage wird das ATP-Ranking jede Woche bestimmt. Doch in den Anfangszeiten war es anders. So wurde die Weltrangliste im Jahr nur elfmal und im Jahr 1975 nur 13-mal veröffentlicht.
Und genau da setzt Puppo ein. Der Journalist meint zudem, dass die Weltrangliste nicht systematisch veröffentlicht wurde. So gab es zwischen dem 16. September und dem 29. Oktober 1975 keine Weltrangliste, und in dieser Zeitspanne soll Vilas laut Puppo die Nummer eins der Welt gewesen sein. Bevor die ATP die Weltrangliste einführte, gab es nur eine Jahresendrangliste, und das meist auf subjektiver Basis von Verbänden und Medien. Laut ATP-Offiziellen, die bei der Einführung der Weltrangliste dabei waren, war das Hauptziel, nicht die Nummer eins zu bestimmen, sondern ein verlässliches „Entry System“ zu schaffen, also welche Spieler für bestimmte Turniere spielberechtigt sind.
16 Turniersiege und trotzdem nicht Nummer 1
„Um ehrlich zu sein, hat in den Siebzigern niemand, auch nicht die ATP, den Nummer-eins-Spieler der ATP auch als Besten in der Welt angesehen“, sagte Dennis Spencer, damaliger Mitarbeiter der ATP, gegenüber der „New York Times“. Das ATP-Ranking basierte damals auf einem System, das die durchschnittlichen Resultate der Spieler erfasste. Demnach waren Vielspieler, wie Vilas einer war, im Nachteil. Obwohl der Argentinier im Jahr 1977 insgesamt 130 Matches und insgesamt 16 Turniere gewann, darunter die French Open und US Open, wies das ATP-Ranking ihn nicht als Nummer eins aus.
Puppo hat seine Recherchen der ATP übermittelt.Diese führten auch dazu, dass Rafael Nadal im Februar dieses Jahres mit dem Turniersieg in Buenos Aires, seinem 46. ATP-Titel auf Sand, nicht den Allzeit-Rekord von Vilas eingestellt hatte. Denn die ATP hatte drei Titel des Argentiniers einem anderen Belag irrtümlicherweise zugeordnet, sodass Vilas nun mit 49 Titeln auf Sand zu Buche steht. Puppos Recherchen veranlassten die ATP jedoch nicht dazu, Vilas nachträglich zur Nummer eins zu machen. „Es ist eine große Sache für einen Spieler, daher haben wir das sehr ernst genommen. Aber das ist die Entscheidung, die wir treffen mussten. Ich bin durch den Prozess gegangen, um sicherzustellen, dass wir alle Grundlagen hatten. Ich fühle mich hundert Prozent sicher, dass das Umschreiben der Geschichte unmöglich ist“, erklärte ATP-Präsident Chris Kermode, der selbst früher Profi war.
Chris Kermode: „Wo hört man dann auf?“
Das Argument, dass die WTA im Fall Evonne Goolagong Cawley ihre Rangliste korrigierte, wischte Kermode beiseite, da eine bestehende Rangliste wegen Fehler korrigiert wurde, nicht eine neue erstellt wurde. „Es fehlten bei der WTA, anders als bei uns, ein paar Aufzeichnungen.“ Kermode führte an, dass die Veränderung einer früheren Rangliste zu viele Nebeneffekte haben würde. Denn wenn die Rangliste anders gewesen wäre, wäre auch die Setzliste anders gewesen, was zu einem völlig anderen Turnierverlauf geführt hätte. „Wir können diese Version nicht als offizielle Geschichte bezeichnen, denn sonst würde jeder kommen und dasselbe sagen. Wo hört man dann auf?“
Puppo kann die Argumentation, dass es zu jener Zeit eben so war, dass die Weltrangliste innerhalb eines Jahres nicht allzu oft veröffentlicht wurde, nicht nachvollziehen. „Sollte man eine Nummer eins nicht anerkennen, weil aufgrund der Entscheidungen von ein paar ATP-Mitarbeitern die Rangliste nicht veröffentlicht wurde. Ist das wichtiger als das, was ein Spieler auf dem Platz geleistet hat?“, erklärte Puppo, der es sogar nicht ausschließt, vor Gericht zu ziehen. Vilas selbst möchte sich zu dieser Thematik nicht äußern. Puppo erklärte jedoch: „Er ist deswegen sehr verletzt.“ Es spricht fast alles dafür, dass Vilas der größte Kronprinz im Herrentennis bleiben wird. Es bleibt jedoch ein Beigeschmack, wenn sich ein Spieler, der in einem Kalenderjahr bei 16 Turnieren triumphierte, darunter bei den French Open und US Open, dazu im gleichen Jahr fünf weitere Endspielteilnahmen, darunter bei den Australian Open, vorweisen kann, nicht als Nummer eins der Welt bezeichnen kann.(Text: cab)