ATP-Tour: Zu wenige Clashes der Spielstile?
Der klassische Wettstreit zwischen bedingungslosen Offensiv-Spielern und Defensiv-Künstlern stirbt schön langsam aus.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
11.02.2022, 17:12 Uhr

Fünf Sätze haben Félix Auger-Aliassime und Andy Murray bislang gegeneinander bestritten, in keinem hat Murray mehr als vier Spiele gewonnen. Eine kleine Stichprobe zwar, aber doch ein Hinweis darauf, dass das Match-Up zwischen dem schottischen Routinier und Auger-Aliassime nicht gerade günstig ist. Aus Sicht von Murray, versteht sich. Zu ähnlich sind sich die Spielanlagen, zu stabil wirkte der Kanadier am Donnerstag in Rotterdam. Einen Tag davor gegen Alexander Bublik war der Unterhaltungswert schon höher - der Kasache variiert und riskiert viel, Murray konnte als Konterspieler überzeugen.
Nun hat Murray das Jahr 2022 mit einem etwas offensiveren Ansatz begonnen, hat sich öfter am Netz gezeigt. Am Ende bleibt aber natürlich auch er ein Spieler, der sich an und hinter der Grundlinie am wohlsten fühlt. Wie gefühlt auch 98 der übrigen Top-100-Profis. Erfrischung kommt da am ehesten noch von Maxime Cressy, dessen Partie gegen Daniil Medvedev bei den Australian Open von höchstem Unterhaltungswert war. Cressy pflegt ein kompromissloses Aufschlag-Volley-Spiel, wie man es in den goldenen 1980er-Jahren von Stefan Edberg oder Boris Becker gewohnt war.
Agassi hebt die Defensive auf ein neues Level
Glorreiche Zeiten waren das, man denke nur auch an die Duelle zwischen Andre Agassi, dem besten Rückschläger seiner Zeit, und Pete Sampras, den alles in allem besten Aufschläger (Goran Ivanisevic möge diese Einschätzung verzeihen). Indes: Sampras, Becker und Co. wussten auch von der Grundlinie mitzuhalten, auch wenn dies nicht der präferierte Aufenthaltsort auf dem Court war. Andersum haben auch Agassi oder ein Mats Wilander in engen Matches immer öfter den Weg ans Netz gesucht, selbst Björn Borg hat seinen Wimbledon-Siege nicht alleine von hinten geholt.
Was gerade dort aber auch gar nicht anders ging: Die Bälle waren schneller, der Rasen kürzer, das Spiel ein ganz anderes als heutzutage. Andre Agassi hat die Defensive weiland auf ein neues Level gehoben, Novak Djokovic, Rafael Nadal und auch Andy Murray in seiner besten Phase stehen aber in dieser Hinsicht mindestens auf Augenhöhe mit der US-amerikanischen Legende. Unterstützt von langsameren Bällen und Courts.
Shapovalov, Berrettini mit kontrollierter Offensive
Einen Clash der Spielstile wie eben zwischen Cressy und Medvedev wird es aber in Zukunft immer seltener geben. Denn so unterhaltsam Alexander Bublik oder auch Nick Kyrgios spielen, Serve-and-Volley ist nur eine von mehreren Varianten. Im Zweifel spielen auch diese beiden eher von der Grundlinie. Freunde des Offensivspiels müssen sich wohl damit bescheiden, dass einige vergleichsweise jüngere Kandidaten wie Auger-Aliassime, aber auch Denis Shapovalov, Matteo Berrettini und Carlos Alcaraz ihren Bällen ans Netz folgen.