Finaler Showdown in London
Das Titelrennen beim Saisonfinale ist wohl selten so offen gewesen.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
03.11.2012, 15:17 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Als der futuristische Bau im Osten Londons zum letzten Mal im Fokus der Sportwelt stand, kämpfte Americas Dream Team noch gegen Spanien um die olympischen Basketball-Goldmedaillen. Es war die Zeit der Olympischen Sommerspiele, und der Hallenpalast nannte sich damals schön neutral und sponsorfrei North Greenwich Arena. Doch auch wenn das spektakuläre Saisonfinale des professionellen Männertennis nun wieder in der O2-Arena stattfindet (5. bis 12. November), mit all seinem Glitzer, Glamour und Tschingderassabum, wird „London 2012“ eine unübersehbare Rolle spielen bei diesem Schlussvent des Jahres – nicht zuletzt deshalb, weil Heim-Gladiator Andy Murray erstmals nach dem Goldmedaillengewinn (gegen Roger Federer) wieder vor seinen britischen Fans antreten darf. Und auch, weil noch niemals bei den Tour Finals so viele Karten und Sponsoren-Arrangements bereits im Vorverkauf abgesetzt wurden. „Wir steuern auf absolute Rekordwerte zu“, sagt ATP-Chef Brad Drewett 24 Stunden vor den ersten Ballwechseln am Montag.
Zwei große Finals hat Roger Federer in diesem turbulenten Jahr bereits in London bestritten, im Südwesten der Kapitale, auf dem vertrauten Grund und Boden des All England Club. Er gewann – knapper, als das Ergebnis es aussagte – das Wimbledon-Finale gegen „local hero“ Murray, und er verlor vier Wochen später überraschend deutlich das Olympia-Endspiel gegen den Dauer-Rivalen aus Schottland. Dass es auch am Ende der letzten sieben Wettkampftage auf der Tour wieder zum Duell zwischen Federer und Murray kommen könnte, ist keinesfalls auszuschließen – wenngleich die meisten Wettbüros auf der Insel eher einen finalen Showdown zwischen Djokovic, dem bereits feststehenden Nummer-1-Mann der Saison, und Murray erwarten. In der Gruppe B trifft Federer auf den Spanier David Ferrer, Juan Martin del Potro (Argentinien) und den Serben Janko Tipsarevic. Die Gruppe A bilden Murray, Djokovic, der Tscheche Tomas Berdych und Jo-Wilfried Tsonga (Frankreich)
Federers langer Marsch zurück an die Tennisspitze und auch zurück auf den Wimbledon-Thron hatte im letzten Jahr eine wichtige Zwischenetappe beim „Masters“ erlebt – es war ein rekordträchtiger Tag in der Karriere des Maestro, der den sechsten WM-Titel und seinen insgesamt 70. Tourerfolg gegen Tennis-Ali Tsonga feierte. „Ich habe den Schwung der guten Herbstturniere mit nach London transportieren können – und gleich Selbstbewusstsein für die neue Saison getankt“, sagt Federer. Neben den Tour Finals hatte er im goldenen Herbst 2011 u.a. auch den Pokal daheim in Basel und in Paris-Bercy geholt, ein magischer Dreier, der jetzt sowieso nicht mehr zu wiederholen ist.
Frühe Niederlagen in Paris-Bercy
Wo sie allesamt stehen vor dem letzten Tennis-Hurra, Federer und seine Mitstreiter aus dem Spitzenrevier, ist nicht leicht zu beantworten. Beim Pariser ATP-Masters-1000-Turnier fehlte Federer von vornherein, Djokovic und Murray verabschiedeten sich früh mit Niederlagen, die nur mit der Konzentration auf das noch Wesentliche in dieser Saison zu erklären waren, also der Konzentration auf das Kampfgeschehen in der O2-Arena von London. Verwunderlich war das alles nicht auf der Zielgeraden einer Saison, die den Topleuten in einem proppevollen Terminkalender physische Extremleistungen abnötigte. „Alle haben ein wenig durchgeatmet und Luft geholt vor London“, sagt Mats Wilander, der ehemalige Weltranglisten-Erste aus Schweden, „ich glaube, dass das Titelrennen selten so offen war wie in diesem Jahr.“ Nicht nur Wilander, sondern auch einer wie John McEnroe räumt Masters-Teilnehmern wie del Potro oder Tsonga „gute Chancen“ ein, das Machtkartell der Big Three um Djokovic, Federer und Murray zu durchbrechen: „Sie sind körperlich wahrscheinlich besser in Schuss, haben vielleicht auch größeren Hunger auf diesen Titel.“
Fein säuberlich haben sie ja bisher an der Spitze wieder einmal die Titel und Trophäen unter sich aufgeteilt, Djokovic (Australian Open-Sieger), Federer (Wimbledon-Sieger) und Murray (Olympia-Gold, US Open-Sieger). Nadal holte sich die French Open, aber er fehlt in London bekanntlich wegen seiner hartnäckigen Knieprobleme. Federer wird nicht der einzige sein, dem es schwer fällt, die letzten Reserven für das Schlussturnier zu mobilisieren. Aber er weiß, welchen mentalen Wert ein neuerlicher Triumphzug hätte: „Das macht die Arbeit in der Saisonvorbereitung einfacher“, sagt Federer, „es ist ganz einfach so, dass du dir eine Menge Fragen ersparst.“(Foto: GEPA pictures)