Aufsteiger Ben Shelton: Leider kein europäisches Vorbild
Ben Shelton ist einer der Aufsteiger in diesem (Tennis)-Jahr – vor allem in der zweiten Jahreshälfte. Seine Karriere ist auch – mal wieder – ein Plädoyer für das US-College-System. Und wir Europäer können nur neidisch in Richtung der Vereinigten Staaten blicken.
von Daniel Müksch
zuletzt bearbeitet:
12.10.2023, 10:02 Uhr
Ein bisschen Glück hat er gerade ja schon, der Ben Shelton: Novak Djokovic legt momentan ein Päuschen ein. Rafael Nadal auch. Wobei bei ihm ist das "Päuschen" eine sehr lange Pause ist – und alles andere als freiwillig. Carlos Alcaraz ist in Shanghai auch schon ausgeschieden, und so richten sich bei dem Masters in Fernost sehr viele Augen auf Ben Shelton. Er überzeugt mit seinem spektakulären Spiel und seiner offenen Art. Dank seiner guten Form ist er selbst von den Top 10 nicht mehr weit entfernt – wir haben hier mal nachgerechnet. Zum Artikel.
Da lohnt der Blick, von wo der US-Boy eigentlich gekommen ist – nämlich vom College. Wie so viele seiner US-Kollegen und Kolleginnen. Shelton hat für die "University of Florida" aufgeschlagen und hat dort schon jetzt Legendenstatus. Der College-Sport hat in den USA eine riesige Bedeutung und ist über Sportarten hinweg der Übergang zum Profisport für unzählige Sportler. Dabei gibt es zum Teil berechtigte Kritik an den akademischen Anforderungen für die Sportler, das soll hier jedoch nicht das Thema sein. Hier wollen wir uns mit den sportlichen Vorteilen der US-Colleges beschäftigen – und die sind immens. Shelton konnte unter professionellen Bedingungen in Florida spielen und sich mit den besten Spielern des Landes messen. Dazu hatte er Top-Coaches – wie seinen eigenen Vater Bryan (Top-ATP-Platzierung 55), mit denen er tagtäglich trainieren konnte. Sein Stundenplan wurde präzise mit seinen Trainingszeiten abgestimmt.
College: Tennis unter Top-Bedingungen
Wenn Ben Shelton sich aber nicht zum überragenden Tennisspieler mit Weltklasse-Potential entwickelt hätte, der er jetzt ist, hätte er dank des College keine Zeit verloren. Er hätte ohne Umwege seinen Abschluss machen können und eine andere Karriere einschlagen können. Diese Option ist den meisten europäischen Talenten zu Hause verwehrt. Man muss sich nach der Schule entscheiden: Probiere ich es mit dem Profi-Tennis oder konzentriere ich mich auf meine Ausbildung? Was in den meisten Fällen ein Studium bedeutet. Beides geht nicht – und hier ist das US-College-System dem europäischen System mindestens einen Schritt voraus.
An dieser Stelle mag man einwerfen: So überragend und zahlreich waren die US-Talente in den letzten Jahren aber auch nicht! Das stimmt – keine Frage. Das US-College-System ist keine Garantie für Top-Talente am Fließband. Es gibt den Spielern und Spielerinnen aber die Sicherheit, es ohne Kompromisse versuchen zu können, ohne Angst, beim Scheitern viele Jahre in der persönlichen Entwicklung zurückgeworfen zu werden.
Und da kann man mit der europäischen Brille schon etwas neidisch über den großen Teich blicken.