Kerbers Machtdemonstration: Mit Lehrstunde ins Halbfinale
Angelique Kerber hat ihren Siegeszug bei den Australian Open dank einer weiteren beeindruckenden Vorstellung fortgesetzt und steht im Halbfinale von Melbourne. Die Kielerin bezwang Madison Keys (USA/Nr. 17) nach einer neuerlichen Demonstration der eigenen Stärke mit 6:1, 6:2.
von Ulrike Weinrich
zuletzt bearbeitet:
24.01.2018, 02:24 Uhr
Von Ulrike Weinrich aus Melbourne
Durch ihren ersten Semifinaleinzug bei einem Major seit ihrem US-Open-Triumph im September 2016 kehrt Kerber nach dem Ende des Turniers auf jeden Fall in die Top Ten der Weltrangliste zurück und ist wieder die deutsche Nummer eins. In der Rod Laver Arena präsentierte sich die 30-Jährige erneut bärenstark und bleibt 2018 ohne Niederlage (14:0 Erfolge).
"Ich bin einfach glücklich. Ich habe riesigen Spaß und so tolle Erinnerung an dieses Turnier und diesen Court", sagte sie nach der erteilten Lehrstunde und meinte: "Ich war von Beginn an da und habe versucht, das Match zu genießen, so wie ich es die ganze letzte Woche schon getan habe. Im zweiten Satz war jedes Spiel eng, daher bin ich einfach nur froh, hier wieder im Halbfinale zu sein."
Kerber trifft nun bereits am Donnerstag entweder auf die topgesetzte Simona Halep (Rumänien) oder US-Open-Finalistin Karolina Pliskova aus Tschechien. In der anderen Vorschlussrundenpartie stehen sich die Dänin Caroline Wozniacki (Nr. 2) und die ungesetzte Turnier-Debütantin Elise Mertens (Belgien) gegenüber.
"Angie" fast fehlerlos in einseitigem Duell
Kerber betrat erneut mit einem Lächeln den 15.000 Zuschauer fassenden Centre Court, auf dem sie vor zwei Jahren ihre ganz persönliche Mondlandung erlebt und ihren ersten Grand-Slam-Titel geholt hatte. Gleich das erste Aufschlagspiel von New-York-Finalistin Keys holte sich die wiedererstarkte Linkshänderin, als sie ihren vierten Breakball verwertete. Die Amerikanerin, die vom Allgäuer Dieter Kindlmann sowie der früheren Nummer eins Lindsay Davenport betreut wird, versuchte direkt nach dem Aufschlag die Initiative zu übernehmen, doch Kerber schenkte ihr keine einfachen Punkte.
Lediglich vier Unforced Errors erlaubte sich die zweimalige Grand-Slam-Siegerin im ersten Satz (insgesamt sieben). Nach nur 22 Minuten holte sich Kerber den Auftaktdurchgang, als Keys eine Vorhand verzog und deprimiert und ratlos in ihre Box blickte. In der Folge konnte die Hard-Hitterin aus Florida, die zuvor nur einen von sieben Vergleichen mit der Deutschen für sich entscheiden konnte, aber ihre Fehlerquote minimieren.
Kontrastprogramm als Erfolgsstrategie
Es entwickelte sich zumindest für kurze Zeit ein Duell auf Augenhöhe, allerdings blieb Kerber die effektivere Spielerin und führte auch im zweiten Satz schnell mit 3:0. Kurz darauf musste "Angie" dann zum ersten Mal ihren Aufschlag abgeben, und Keys konnte wenig später auf 2:3 verkürzen. Besonders in den langen Ballwechseln zeigte sich aber weiterhin die Dominanz der grenzenlos soliden Kerber, die sich mit einem feinen Lob den ersten von zwei Matchbällen erspielte. Nach nur 51 Minuten entschied Keys mit ihrem insgesamt 25. leichten Fehler die einseitige Partie zugunsten der Turniersiegerin von 2016.
Kerber setzt in diesen Tagen auf ein Kontrastprogramm als Erfolgsstrategie. Mal badet sie im Jubel der Fans, mal taucht sie ab, um Kräfte zu tanken für ihre besondere Comeback-Mission. Am Tag vor dem Viertelfinale mied sie den Melbourne Park und absolvierte ihr Vorbereitungsprogramm mit ihrem Team um Trainer Wim Fissette abseits der Anlage.
Kerber will nichts riskieren, um den Fokus zu behalten. Denn die Gefahr der Ablenkung, die ist gerade Down Under für sie nicht gering. Seit ihrem Triumph beim Happy Slam vor zwei Jahren haben die Australier "Angie" ins Herz geschlossen. "Ich merke das schon. Wenn ich unterwegs bin, erkennen mich viel mehr Leute als noch vor 2016. Und auch beim Training schauen viel mehr Fans zu", berichtete die Linkshänderin, die umgekehrt längst auch ihre Liebe für das andere Ende der Welt entdeckt hat: "Ich schätze so viel an Australien. Es ist eines meiner Lieblingsländer, ich fühle mich hier einfach total wohl."
Kerber als "Titelheldin" - vielleicht ein gutes Omen
Kerber gehört längst zu den Gesichtern der Aussie Open 2018. Direkt vor der Rod Laver Arena steht eine große Werbewand, auf der sie zusammen mit dem spanischen Superstar Rafael Nadal für das offizielle Videospiel des Turniers wirbt. Es passt ins Bild, dass sich Kerber als "Titelheldin" auf dem Cover mit äußerst angriffslustiger Miene zeigt. In Sachen Gefühlsregungen allerdings sieht sie noch Verbesserungsbedarf. "Ich will meine Emotionen noch mehr kontrollieren", verriet die Fed-Cup-Spielerin, die in der dritten Runde auch die Russin Maria Sharapova klar in zwei Sätzen deklassiert hatte.
Kerber wirkt in diesen Tagen komplett gelassen. Im australischen TV erzählte sie über ihr Hobby - das Fotografieren von Sonnenuntergängen auf der ganzen Welt. Auch am St. Kilda Beach hat "Angie" schon das Smartphone gezückt, um ihre "Sunset"-Sammlung an Bildern zu erweitern. Kein Zweifel: Kerber hat ihre innere Ruhe wiedergefunden. Was nicht daran liegt, dass die Verpflichtungen außerhalb des Tennisplatzes weniger geworden sind. Nur hat sie inzwischen gelernt, sukzessive besser und offener damit umzugehen, zu genießen.
Die Orientierungslosigkeit und Leere, die sie im vergangenen Jahr lähmten, sind einer neuen Lust an weiteren Großtaten gewichen. "2017 war ein Lernprozess für mich", bestätigte "Angie". Bereits Anfang 2018 scheint sie die ersten Früchte zu ernten.