Australian Open: Dominic Thiem vs. Nick Kyrgios: Der österreichische Partycrasher
Dominic Thiem hat gegen Nick Kyrgios ein großartiges Comeback geschafft. Unser Tennis-Insider verrät euch, wie dem Weltranglistendritten das gelungen ist.
von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet:
12.02.2021, 14:28 Uhr
Warst du mal auf einer Geburtstagsparty, auf die du nicht eingeladen wurdest? Da brüllen und feiern dir unbekannte Menschen. Konfetti fliegt durch die Luft. Gesang, gemischt mit Gekreische, verfolgt dich. Und du fragst dich, wann der Spaß endlich zu Ende ist.
Dominic Thiem war heute auf einer solchen Feier. Er wurde allerdings weder böse, noch gemein, noch anderweitig auffällig. Er ging entspannt, aber selbstbewusst zur Musikanlage und zog den Stecker. Dann war es still.
Die gespaltene Persönlichkeit
Inmitten der Party sorgte der Gastgeber für Stimmung. Nick Kyrgios schaffte es früh im Match die Stimmung auf seine Seite zu ziehen. Das ist in einem Match gegen Kyrgios immer ein Problem. Da kannst du Nadal, Federer oder Thiem heißen. Die Situation bleibt herausfordernd. Gib Nick die Außenseiterrolle, ein fanatisches Publikum sowie ein Break direkt zu Beginn. Und fertig ist das Tollhaus.
Es scheinen viele Charaktere im Körper von Nick Kyrgios ihre Heimat gefunden zu haben. Sie prügeln sich jederzeit um den Platz am Fenster. In den ersten beiden Sätzen konnte der herausragende, spielerisch intelligente, fast schon souveräne Spieler im Körper von Nick diesen Platz für sich behaupten. Dieser Charakter im Körper des Australiers kann jeden Gegner schlagen. Leider verliert dieser Charakter zu oft den Kampf um das Fenster.
Oder sollten wir lieber sagen: Zum Glück? Man stelle sich vor, Kyrgios würde einfach nur Tennis spielen. Dies tut er zum Glück nicht. Kleinste Veränderungen der Partystimmung bringen sein Inneres zum beben. Den Kampf um den Platz am Fenster gewinnt dann meist der sensible, spielerisch nicht mehr so intelligente Spieler mit der nicht vorhandenen Zündschnur. Dieser Charakter beschäftigt sich mit vielen Dingen. Er möchte die Frauen im Publikum beeindrucken. Er möchte auffallen. Er möchte irgendwie seine angestauten Emotionen loswerden. Das Problem? Dieser Charakter spielt Tennis nur nebenbei.
Es ist schon irre, wie es Kyrgios schafft sich selbst Beinchen zu stellen. Der Gegner heute wusste das. Und blieb einfach cool. Thiem wusste nach dem 0:2 Satzrückstand, dass seine Chancen kommen werden.
Der Buddha
Ist Dominic Thiem in den letzten Jahren gereift? Kontrolliert er seine Emotionen so wie die clever Tempo aus dem Ballwechsel nehmende, halbhohe Vorhand-Topspin? Die Antwort auf diese Fragen besteht aus zwei und nicht aus vier Buchstaben.
Thiem hat ganz sicher nicht das spielerisch beste Match seiner Karriere gespielt. Er hat aber vielleicht das mental stärkste Match seiner Karriere gespielt. Bis zum entscheidenden Break im fünften Satz zeigte er keine Regung. Weder Freude, Hoffnung oder Verzweiflung. Er gab dem Gegner, der von Emotionen lebt, kein Futter. Das war grandios.
Während auf der Tribüne Blondinen Bier schwenkend den unwichtigen Kyrgios-Punkt zum 15:15 bei 1:1 feierten wie einen Grand-Slam-Sieg, fokussierte sich Dominic Thiem auf die Big-Points. Es schien ihn nicht zu interessieren, dass der Gegner diesen Punkt stark heraus spielte. Er scheint viel mehr gelernt zu haben Punkte einfach abzuhaken. Diese Fähigkeit, das Abhaken und Akzeptieren bereits gespielter Punkte, war heute eine große Stärke im Repertoire von Dominic Thiem. Man könnte ihm vorwerfen, dass zeitweise das Feuer gefehlt habe. Doch hat am Ende immer der recht, der gewonnen hat.
Während Kyrgios mit dem Schiedsrichter über sein Fehlverhalten diskutierte, sicherte Dominic im fünften Satz, zwischen T- und Grundlinie, das Überleben eines australischen Insekts. Diese Szene hätte man sich als Sinnbild für dieses Match nicht besser ausdenken können. Beim Tennis kommt der Charakter immer mit auf den Platz. Die Technik schlägt den Ball. Der Kopf entscheidet, wie dieser Ball über das Netz fliegt.
Was man als Hobbyspieler lernen kann
Kopf und spielerisches Können sollten sich im Idealfall ergänzen. Sie sollten miteinander arbeiten und sich nicht gegenseitig im Weg stehen. Wie eine produktive Zusammenarbeit dieser beiden Faktoren aussehen kann, das hat Dominic Thiem im Match gegen Nick Kyrgios eindrucksvoll gezeigt.
Was kannst du als Hobbyspieler aus dieser Partie lernen? Die erste wichtige Lehre ist, dass du deinem Kontrahenten seine starken Phasen gönnen musst. Klar, es fühlt sich nicht schön an, wenn man 15 Minuten am Stück die Bälle um die Ohren bekommt. Doch sieh es mal aus einer anderen Perspektive: Die Wahrscheinlichkeit, dass dein Gegner nach dieser Phase ein paar Fehler mehr macht, ist groß.
Die zweite wichtige Lehre ist, dass du deinen Stärken vertrauen solltest. Vor allem dann, wenn du dich nicht wohl auf dem Court fühlst. Dominic spielte erst zu Ende des Matches seine gefürchteten Winner. Zuvor hielt er sich oft mit einem Rückhand-Slice im Ballwechsel. Du musst nicht immer spektakulär spielen. Du wirst immer wieder Matches spielen, die du gewinnst, die aber vom spielerisch Niveau her nicht das Highlight deiner Karriere darstellen.
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