Flüchtiges Vergnügen mit Langzeitwirkung
Das Endspiel der Australian Open 2017 zwischen den beiden Williams-Schwestern war ein spannungsarmes Vergnügen. Die Auswirkungen auf das deutsche Tennis und seine Geschichte sind aber umso gravierender.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
28.01.2017, 13:58 Uhr
Serena Williams purzelte hinab auf den blauen Centre-Court-Boden von Melbourne, ein paar Sekunden genoss sie allein den denkwürdigen, den sporthistorischen Moment in der Rod Laver-Arena. Und dann, als sich die Australian-Open-Siegerin 2017 und neue Grand-Slam-Rekordhalterin mit 23 Titeln gerade aufrappelte, fielen sich auch schon Siegerin und Verliererin des spannungsarmen Endspielabends in die Arme, Serena Williams, Little Sister genannt, mit ihren inzwischen 35 Lebensjahren.
Und Big Sister Venus, 36 Lebensjahre alt, diejenige, die von Serena später mit den Worten gerühmt wurde: "Ohne sie wären diese 23 Titel nie möglich gewesen. Sie ist die größte Inspiration meines Lebens." Es waren große Worte nach einem nicht so großen, eher kargen Finale, das die jüngere der beiden Tennisspielerinnen aus der Williams-Familiendynastie weithin ungefährdet mit 6:4 und 6:4 gewann.
Komplette Storywendung für Williams
Auswirkungen für Tennis-Deutschland hatte das gleich doppelt: Mit dem Williams-Erfolg war Steffi Graf als Co-Spitzenreiterin in der ewigen Bestenliste der modernen Ära dieses Sports abgelöst, Graf hatte bis zu ihrem Rücktritt mit 30 Jahren genau 22 der "Major"-Wettbewerbe gewonnen und nunmehr also einen weniger als Serena. Und Grafs Erbin Angelique Kerber verlor zeitgleich ihren Führungsplatz in der Weltrangliste an die Amerikanerin, an jenem Ort, an dem sie vor einem Jahr erstmals einen Grand-Slam-Pokal erobert und Ambitionen auch auf eine Spitzenposition illustriert hatte.
Williams drehte die Story nun komplett um, sie hatte ja 2016 das Melbourne-Endspiel verloren und dann langsam, aber sicher ihre Dominanz über die Kolleginnen, insbesondere aber Kerber verloren. Im Herbst, bei den US Open, überholte die Kielerin dann die langjährige Dominatorin, doch es war, zumindest vorerst, nur ein 19-wöchiges Intermezzo auf Platz 1. Am Samstag gehörte die 29-jährige Deutsche zu den ersten Gratulantinnen von Serena Williams, sie bezeichnete die alte, neue Frontfrau, aber auch deren Schwester Venus als "echte Champions."
Dicker Eintrag in die Tennisgeschichtsbücher
Kerber gehörte allerdings unfreiwillig zu denen, die den Weg zu neuen Rekordmarken für Serena freimachten: Denn beim Anlauf zum 23. Grand Slam-Titel profitierte die Kalifornierin auch von der fatalen Formschwäche weiterer Titelaspirantinnen, bis zum Viertelfinale waren in Melbourne bereits die Nummer eins (Kerber), die Nummer drei (Agnieszka Radwanska), die Nummer vier (Simona Halep), die Nummer sechs (Dominika Cibulkova) und die Nummer acht (Svetlana Kusnetzova) ausgeschieden, im Halbfinale war dann aus den Top 10 nur noch Serena übriggeblieben. Von sportlichen Höhenflügen wie im Herrenturnier war der Wettbewerb der Frauen weit entfernt, allein Kerber-Bezwingerin Coco Vandeweghe überraschte positiv mit ihrem Vorrücken bis ins Halbfinale.
Sieben Mal hat Serena Williams nun die Australian Open gewonnen, drei Mal die French Open, sieben Mal Wimbledon und sechs Mal die US Open. Schade nur, dass dem Titel Nummer 23 nur eine faktische, aber keine sportliche Magie innewohnte - dazu war der Sister Act wieder einmal zu öde, spannungsarm und auch frei von großen Emotionen. Jeweils mit dem Break im siebten Spiel beider Sätze machte Serena ihren Triumph perfekt, nach bloß 82 Minuten war alles vorbei. Ein kurzes, flüchtiges Vergnügen mit Langzeitwirkung, mit einem dicken Eintrag in den Tennis-Geschichtsbüchern.
Die Australian Open im Überblick