Boris Becker: Die Hintergründe hinter dem aktuellen Prozess in London

Boris Becker muss sich in diesen Tagen in London vor Gericht verantworten. Eine Rückschau auf die unternehmerische Karriere von Deutschlands ehemaligem Tennis-Überflieger. 

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 06.04.2022, 14:43 Uhr

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Boris Becker muss sich in London vor Gericht verantworten
Boris Becker muss sich in London vor Gericht verantworten

Als Boris Becker am 7. Juli 1985 auf dem Centre Court von Wimbledon den deutschen Tennis-Urknall in Szene setzte, hätte er danach vermutlich gar nicht einen gerissenen Geschäftemacher wie Ion Tiriac als Manager gebraucht. Große deutsche und internationale Firmen rissen sich damals um den 17-jährigen Rasenkönig, um den jüngsten Sieger aller Zeiten beim größten und bedeutendsten Turnier der Welt. Bald waren die Deutsche Bank, BASF, Ebel oder Mercedes an Beckers Seite, sportliche Geldgeber wie Puma durften ihr frühes Vertrauen in Becker nachträglich versüßen. „Nur das Beste ist gut genug für Boris“, sagte Tiriac seinerzeit mit diabolischem Grinsen, „wir können uns aussuchen, mit wem wir zusammen arbeiten.“

Tiriac, einer der cleversten Dealer in der Tennis- und Sportindustrie, ist heute einer reichsten Bürger seines Heimatlandes Rumänien. Sein Firmenkonglomerat hat Milliardenwert, gerade hat er als Lizenzbesitzer ein Tennisturnier in Madrid für 400 bis 500 Millionen Dollar an den globalen Rechtevermarkter IMG verkaufen lassen. Tiriac hat mit Becker einst die große Bühne betreten, er ist dann sehr groß geworden mit Becker, er hat auch Becker richtig groß gemacht. Aber während Tiriac nach dem Ende der Allianz mit dem Jungen aus Leimen immer weiter wuchs als Unternehmer und sein Imperium festigte, wurde Beckers Lage schwer und schwerer. Heute, gut 30 Jahre nach der Trennung von Tiriac, kann man Becker in Werbespots eines deutschen Vergleichsportals beobachten, in denen er etwas schal über Kreditvergaben spricht. So richtig verfangen will die Selbstironie, die Witzelei auf eigene Kosten aber nicht.

Becker "hat nicht mehr auf die Leute gehört, die das Richtige für ihn wollten"

Was ist bloß schief gelaufen mit und bei Becker, dem einstigen Helden der Nation – bis zu diesen Tagen im März und April 2022, in denen er sich vor einem Londoner Gericht wegen der Behinderung in seinem Insolvenzverfahren zu verantworten hatte und sogar eine Gefängnisstrafe befürchten muss? Tiriac, der einstige Manager, kann jedenfalls kaum glauben, wohin Beckers Weg führte: „Er hätte zu einem der reichsten Sportler werden können, ja müssen“, sagt der Impresario, „aber er hat nicht mehr auf die Leute gehört, die das Richtige für ihn wollten.“ Tatsächlich hatte Becker in seiner Karriere nur zwei Berater von Format, die ihm kompetent mit Rat und Tat zur Seite standen – Tiriac und später noch der (inzwischen verstorbene) Münchner Anwalt Axel Meyer-Wölden. Über den Tiriac einmal sagte: „Er ist der einzige, der mich über den Tisch gezogen hat.“

Vor Gericht in London hatte Beckers Verteidigungstruppe in den letzten Wochen eine simple Strategie entwickelt: Der sechsmalige Grand Slam-Champion sei in Finanzfragen gewissermaßen unmündig, sein Anwalt Jonathan Laidlaw präsentierte im Schlußplädoyer den einprägsamen, für die Medien gedachten Satz, der alte Champion sei „hoffnungslos mit Geld.“ Becker habe über sein Vermögen, seine Konten, die Gegenstände im Insolvenzverfahren praktisch nichts Genaues gewußt – deshalb sei beispielsweise auch der Verbleib einer Replika seines ersten Wimbledon-Pokals ungeklärt. 

Becker und die Finanzen 

Einerseits deckte sich das mit einer Aussage der britischen Justizbeamtin Christine Derrett, die vor rund fünf Jahren bei der Bekanntgabe von Beckers Insolvenz - zunächst wegen offener Verbindlichkeiten gegenüber der Privatbank Arbuthnot Latha - etwas bedauernd erklärt hatte, Becker sei wohl ein „Mann, der den Kopf in den Stand steckt“, wenn es darum gehe, seine finanzielle Lage wahrzunehmen. Andererseits hatte Becker auf jene öffentliche Demütigung wütend reagiert und in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ bemerkt, er sei „weder zahlungsunfähig noch pleite“. Es handele sich um eine einzelne Forderung eines einzelnen Gläubigers: „Sie können mir aber glauben, dass mein Vermögen ausreicht, um Forderungen in dieser Größenordnung zu erfüllen.“ Klang das wie der Return eines Mannes, der in völliger Ahnungslosigkeit über seine Finanzen war? Oder war das ganz einfach nur Trotz, um in seinem Heimatland die Schlagzeilen über „Bankrott-Boris“ zu konterkarieren?

Eins jedenfalls ist klar: Mit seinem letzten Tag als Tennisspieler im Sommer 1999, der Achtelfinal-Niederlage gegen den Australier Pat Rafter in Wimbledon, endete für Becker eine Zeit der klaren Verhältnisse, Ziele und Pläne. Im Wanderzirkus der Profis war anderthalb Jahrzehnte alles transparent und offensichtlich für Becker. Es ging um Sieg und Niederlage auf dem Platz, seine beruflichen, geschäftlichen Einsatzorte waren festgelegt genau so wie die Prioritäten. Becker hatte ein Team von Helfern, das vor allem eine Aufgabe hatte: Dem Chef bedingungslos zu dienen. Die Geschäfte waren in ziemlich guten Händen, bei Tiriac, später bei Meyer-Wölden.

Unternehmerische Misserfolge

Als Privatier, nach dem Schluß-Punkt bei den Offenen Englischen Meisterschaften, wollte Becker sich von seinem vorherigen Leben emanzipieren und „anerkannt werden als jemand, der mehr als nur Tennis kann.“ Im Big Business allerdings glaubte Becker zu reüssieren, als spielten sich die Dinge noch immer wie auf dem Centre Court ab: „Du sitzt in einer Verhandlung, hörst zu. Gehst in den Tiebreak und machst irgendwann die Big Points.“ Doch die wichtigen Punkte machte er eigentlich nie, eines der ersten ambitionierten Projekte, das Internetportal „Sportgate“, scheiterte krachend. Eine Firma Beckers residierte seinerzeit hochherrschaftlich in einem Büropalast in Unterföhring bei München, doch worin deren Geschäftstätigkeit genau bestand, konnte selbst Becker nicht annähernd erklären. 

Schon 2003 bekam sein Image einen heftigen Kratzer ab, als es in München wegen Steuerhinterziehung „Die Bundesrepublik Deutschland gegen Boris Franz Becker“ hieß. Die jahrelangen Auseinandersetzungen mit den Finanzbehörden fanden ein glimpfliches Ende für den einstigen Weltranglisten-Ersten, er kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Kurios genug, dass er das relativ milde Urteil einem gewissen Hans-Dieter Cleven zu verdanken hatte, dem früheren Generaldirektor der Schweizer Metro-Holding und Vermögensverwalter der milliardenschweren Beisheim-Gruppe. Nur zur Erinnerung: Cleven ist inzwischen jener Mann, der als größter Gläubiger im Insolvenzverfahren gegen Becker auftritt. Seine Forderungen beliefen sich auf bis zu 35 Millionen Euro.

Becker fühlt sich weiterhin im Tennissport zuhause

Eigentlich verfestigte sich über die gut 20 Jahre von Beckers Leben nach den Centre Court-Duellen ein Befund: Je weiter sich der alte Meister von seinem eigentlichen Metier, dem Tennissport, entfernte als Unternehmer oder Geschäftspartner, umso schwieriger wurde es für ihn. Blieb er auf dem Terrain, in dem er einst der Beste und auch Aufregendste des Planeten war, feierte er auch später noch Erfolge. Als TV-Kommentator war Becker weltweit im Einsatz – und stets ein Gewinn mit hellsichtigen Analysen und tiefen Einblicken. Auch ein Engagement beim Weltranglisten-Spitzenreiter Novak Djokovic war ein Volltreffer, niemals war der eigensinnige Serbe so stabil und erfolgreich wie in der Ära der Partnerschaft mit Becker. Und selbst eine Rückkehr zum Deutschen Tennis Bund, als Teamchef fürs Männertennis, blieb als Pluspunkt in Beckers Arbeitszeugnis stehen – obwohl er wegen Operationen am Sprunggelenk und an der Hüfte selbst kaum noch einen Ball schlagen kann.

Beckers Leben als Tennis-Ruheständler war aufwändig, er lebte es eigentlich weiter, als kassiere er weiterhin signifikante Gelder aus Turniersiegen oder Sponsorenengagements. Dabei häuften sich die Verbindlichkeiten, die Zahlungen an seine früheren Gemahlinnen, der Unterhalt für die Kinder. Wer ihm half, war oft unklar, selbst für Freunde. Berater kamen und gingen, sein aktueller Rechtsbeistand Laidlaw erklärte im Gerichtssaal unumwunden, keiner der ehemaligen Partner sei eine Hilfe gewesen. Wobei das auch und besonders auf jene Wochen zutrifft, die der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 2017 folgten. Da hatte das „Team Becker“ die seltsame Idee, Becker solle die drohende Zwangsvollstreckung in London mit diplomatischer Immunität abwenden – sein Pass als Sonderattaché für Sport und kulturelle Angelegenheiten der bettelarmen Zentralafrkanischen Republik stellte sich allerdings als Luftnummer heraus.

Prozess in London 

Dass es ausgerechnet in London, seinem neuen Lebensmittelpunkt, zum Prozeß gegen Becker kam, wirkt ein wenig paradox. Denn in Britanniens Kapitale hatte sich Becker tatsächlich zuhause und akzeptiert gefühlt, „so wie ich bin.“ Und nicht so, wie er eben nach seinem Gefühl in Deutschland sein sollte: „Da sehen mich die Leute immer noch als 17-jährigen Burschen, der gerade Wimbledon gewonnen hat.“ Die Briten kannten Becker als regelmäßigen TV-Gast in ihren Wohnzimmern, er war ihr Lieblingsdeutscher vermutlich nicht nur im Sport. Dass Becker daheim in Schwierigkeiten steckte und schon mal fragwürdige TV-Auftritte wie beim mediokren TV-Comedian Oliver Pocher hatte - mit Fliegenklatsche auf dem Kopf -, blieb ihnen verborgen.Umso erstaunter waren viele auf der Insel, als ihnen Beckers Verfehlungskatalog im Insolvenzverfahren und jetzt vor dem Crown Court von der Staatsanwaltschaft aufgeblättert wurde – etwa das verbotene Abzwacken von Geld, das den diversen Gläubigern zugestanden habe.

Im Gerichtssaal war bei Becker auch nichts mehr von jener Laissez-Faire-Haltung zu spüren, mit der er jahrelang und regelmäßig über geschäftliche Fehlschläge hinwegegangen war. Meist saß er angespannt während des Verfahrens da, an der Seite seiner neuen Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro. „Ich habe vieles probiert, vieles hat auch geklappt, anderes nicht. Wem geht das nicht so“, hatte Becker vor ein paar Jahren einmal leichthin seinen Kritikern gesagt, „nur wird das bei Becker gleich zum Drama gemacht, zum Scheitern überhaupt. Bei mir geht es nur um Triumph und Tragödie.“ Damals fügte er noch hinzu: „Ich bereue nichts. Denn was wäre die Alternative gewesen. Ab 32 Jahren und dem Karriereende nur noch die Legende sein? Ich bin nicht zum Grüßaugust geboren.“ Zum Mann, der vernünftig und vorauschauend mit seinem Geld umgehen kann, allerdings offenbar auch nicht.

Tiriac übrigens, der ehemalige Wegbegleiter, hatte Becker schon vor Jahren Hilfe angeboten und ihm einen Rettungsanker zugeworfen: „Wenn er zehn Millionen für ein Ziel braucht, dann werde ich sie ihm geben.“

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
06.04.2022, 16:50 Uhr
zuletzt bearbeitet: 06.04.2022, 14:43 Uhr