Boris Becker und Steffi Graf: Die Weltstars, die nichts verband - außer Siege
Um Boris Becker wurde es auch nach Ende seiner Karriere nie ruhig, ohne Bühne und Drama existierte er nie. „Ich könnte nicht so leben wie Steffi", sagte er einst. Während Steffi Graf ihre Finanzprobleme geräuschlos erledigte, erwartet Becker am Freitag das große Urteil um seine Zukunft.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
28.04.2022, 20:21 Uhr
Es war am 16. September 1999, als Boris Becker in einer Flughafenlounge des Airports von Palma de Mallorca eine ebenso verblüffende wie richtige Feststellung traf. „Die ersten Fotos eines neuen Becker-Babys (Elias, d. Red) sind nicht der Aufmacher der BILD-Zeitung“, sagte Becker damals – gespielt entsetzt - den paar Mitreisenden, die in einem Privatjet mit ihm nach München fliegen wollten, „da muss etwas ganz Besonderes passiert sein.“
Becker hatte dem Rest der Truppe natürlich längst das Besondere voraus, die eigentliche Sensations-Nachricht, die balkendick den Seite 1-Kopf des Boulevardblattes zierte: „Jaa! Ganz große Liebe: Steffi und Agassi.“ Becker reichte die Zeitung herum, verkündete dann: „Ist schon der Hammer, oder?“
Das war es in der Tat. Aber jener Tag war die große Ausnahme im grundverschiedenen Leben der beiden grundverschiedenen deutschen Weltstars – von Boris Becker und Steffi Graf, die Mitte der 80er Jahre beide aus der badischen Provinz aufgebrochen waren, um den Tennissport zwischenzeitlich schwarz-rot-gold einzufärben und die Nation daheim für ihre Centre-Court-Duelle zu begeistern. Becker war stets der Mann für die bunten, schrillen, abenteuerlichen, reißerischen Schlagzeilen, der Mann, der sich freute, wenn er wieder einmal auf den Titelblättern auftauchte und wie selbstverständlich im Mittelpunkt stand. Graf war die Öffentlichkeit dagegen verhasst, der auf sie gerichtete Blick der Kameras und die ihr vorgehaltenen Mikrofone. Sie wollte am liebsten einfach nur Tennis spielen, nichts sonst, das schillernde Drumherum im professionellen Tourzirkus erledigte sie aus reinem Pflichtgefühl. Nicht, weil es ihr Spaß machte.
Steffi Graf nach Rücktritt: "Bin froh, meine Ruhe zu haben"
Dass Becker sich in den letzten Wochen vor einem Londoner Gericht wegen Verfehlungen in seinem Insolvenzverfahren verantworten musste und nun den Richterspruch erwartet, wird die langjährige Weggefährtin Graf in ihrer neuen Heimat Las Vegas zwar zur Kenntnis genommen haben. Aber es ist nur noch eine Randnotiz für die größte deutsche Sportlerin, die in jeder Hinsicht eine gewaltige Distanz zu ihrem früheren Leben und Mitstreitern aufgebaut hat. Graf hat sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, sich seit dem Rücktritt am 13. August 1999 und der Heirat mit Andre Agassi weitgehend im Stillen um ihre Familie gekümmert. Und Interviews fast nur gegeben, wenn es ihre Stiftung für traumatisierte Kinder und Jugendliche betraf. Eine Zeitlang reiste sie auch noch im Tennis-Tourbetrieb als Spielerfrau ihres Gatten Agassi mit. Aber sie wirkte fast erleichtert, als auch der 2006 den Schläger an den Nagel hing. „Ich bin froh, meine Ruhe zu haben“, sagte sie später dazu, „die Jahre im Tennis waren brutal hart.“
Becker, auf der anderen Seite, war sich stets bewusst, dass es eine solche Entschleunigung bei ihm nicht geben könnte. Allerdings hätte man ihm soviel Weitsicht und Konsequenz wie der „Gräfin“ gewünscht, die in den aufreibenden Turbulenzen des von ihrem Vater ausgelösten Steuerskandals irgendwann die Reißlinie zog – und den Finanzbehörden die geforderte Nachzahlung von rund 27 Millionen Mark überwiesen ließ. Damit war dieses unselige Kapitel erledigt, das Schlagzeilen-Theater vorbei. Und Becker? Der sah sich im Jahr 2003 erstmals vor Gericht, in München wurde gegen Steuerhinterziehung gegen ihn verhandelt. Er kam mit einer schwereren Schramme davon, einer Bewährungsstrafe auf zwei Jahre. Aber der Ärger hörte damit, wie man inzwischen weiß, für ihn nicht auf, im Gegenteil.
Becker: "Bin eben ein anderer Mensch"
Knapp 15 Jahre waren Becker und Graf gemeinsam in der Tennis-Karawane unterwegs, die über Kontinente und Zeitzonen zog. Sie spielten bei den größten Turnieren, den Grand-Slam-Spektakeln, quasi Seite an Seite. Immer wieder wurden ihre Bilanzen, ihre Auftritte verglichen, ihre Siege, ihr Scheitern. 1989 hielten sie beide ihre Siegerpokale von Wimbledon in die Höhe, beim obligatorischen Champions Dinner des All England Lawn Tennis Club. Der Becker/Graf-Doppelschlag war einer der größten deutschen Sportmomente, das gemeinsame Pokalfoto ein historisches Dokument. Aber bei alledem kamen sie sich nie wirklich nahe, emotional oder persönlich. Als sie zum Jahreswechsel 1991/1992 erstmals gemeinsam auf einem Tennisplatz standen, beim Hopman Cup im australischen Perth, der inoffiziellen Mixed-Weltmeisterschaft, wirkte das Miteinander eher bemüht. Zusammen unternahmen die Reisegesellschaften beider Stars nichts in der Millionenstadt am Indischen Ozean.
Becker wurde Graf stets genauso vorgehalten wie Graf der zwei Jahre ältere Landsmann. Als Becker zu seinem 50. Geburtstag auf die fern der Heimat lebende 22-malige Grand Slam-Siegerin angesprochen wurde, reagierte er leicht ungehalten. Es sei ihm schlicht unmöglich, „so zu leben wie Steffi jetzt in Las Vegas, fernab von allem“, sagte Becker, „ich bin eben ein anderer Mensch.“ Graf ihrerseits ließ sich erst gar nicht auf eine Bewertung zu Becker ein, wenn sie einen ihrer wenigen Auftritte im öffentlichen Raum absolvierte. „Ich kann dazu nichts sagen, weil ich nicht weiß, wie sein Leben tatsächlich aussieht“, so Graf, „es ist ohnehin die Sache von Boris.“
Graf, die dominierende Spielerin ihrer Tennisepoche, verschwand nach den letzten, von vielen Verletzungen geprägten Karrierejahren einfach aus der Wahrnehmung, aus den Diskussionen. Sie lieferte keine Skandale. Nichts, woran sich bunte Society-Blätter hätten erfreuen können. Wenn sie gelegentlich ihre deutsche Heimat besuchte, erfuhren es nur die allerengsten Freunde. Posieren im Rampenlicht gab es nie, nur Termine rund um ihre Stiftungsarbeit. Interviews mit ihr wurden zur Rarität, selbst solche zum Tennisgeschehen. Viel Sport schaue sie ja nicht mehr, sagte sie vor vier Jahren bei einem Sponsorentermin in Paris, „ich bin froh, wenn ich selbst regelmäßig ins Fitnessstudio komme.“
Becker-Anwalt: "Er ist hoffnungslos mit Geld""
Von solch stetem Lebensfluss war Becker immer weit entfernt. Es wurde nie ruhig um ihn, seit auch er 1999 das Profi-Dasein beendet hatte. Becker wollte auch im Wirtschaftsleben reüssieren, er stürzte sich in viele Projekte, scheiterte aber auch oft genug als „Lehrling in Nadelstreifen.“ Sein Privatleben wurde grell ausgeleuchtet, seine erste Scheidung von Ehefrau Barbara fand ein weltweites Millionenpublikum vor den Fernsehschirmen, alles live übertragen aus Miami. Becker lebte weiter auf großem Fuß, ein Kostenmanagement schien es nicht zu geben, Unterhaltszahlungen an verflossene Gattinnen und für seine Kinder aus mehreren Ehen summierten sich. Vor Gericht in London verteidigte ihn sein Rechtsbeistand Jonathan Laidlaw aktuell mit den Worten, Becker sei „hoffnungslos“ im Umgang mit Geld.
Immer mal wieder kokettierte Becker bei der großen Achterbahnfahrt seines Lebens mit dem Gedanken, kürzer treten und es „ruhiger angehen“ zu wollen. Doch ohne Aufmerksamkeit, ohne Beachtung ging es einfach nicht bei ihm, er kann, das ist sein ewiges Dilemma, nicht ohne Bühne und Drama existieren. Auch wenn es ihn teuer zu stehen kommt. „Ich lebe mein Leben, wie es mir gefällt. Nicht, wie es andere es mir vorschreiben wollen“, sagte Becker mehr als einmal. Dass es ihn einst aus Deutschland wegzog nach London, hatte auch mit der Überzeugung zu tun, er solle daheim praktisch auf ewig bevormundet werden, am liebsten immer noch der kantenlose 17-jährige Bobbele sein.
Er habe viel Energie verbraucht, gegen die deutsche Wunschvorstellung anzukämpfen, „wie ein Idol sein sollte“, sagt Becker. Dass er sich dabei selbst verlor, dass er nicht bereit war, Rat und kompetente Hilfe anzunehmen, war womöglich der tragische Dreh des Schicksals.