Buchautor Simon Graf im Interview: "Roger Federer führt seine Karriere sehr bewusst"
Federer-Biograf Simon Graf im Gespräch über sein neues Buch, den Umgang mit dem Maestro in der Schweiz und den „typischen“ Roger.
von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
08.01.2019, 16:36 Uhr
Simon Graf, 46, arbeitet seit mehr 25 Jahren als Sportredakteur beim Schweizer Tages-Anzeiger und hat über 50 Grand-Slam-Turniere besucht. Graf ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in Kilchberg am Zürichsee, „ganz in der Nähe, wo Roger Federer gern ins Freibad geht“. Im Verlag kurz & bündig hat er im Oktober ein Buch über Federer veröffentlicht, mit 15 Essays über seinen Landsmann, in denen er die verschiedensten Seiten Federers beleuchtet.
Herr Graf, Sie steigen in Ihr Buch nicht mit einem Sieg von Roger Federer ein, sondern mit einer bitteren Niederlage: 2013, in Gstaad, als er massive Rückenprobleme hatte und zum Auftakt verlor.
Das war für mich ein prägendes Erlebnis. Er hat mir leid getan, das Spiel war tragisch. Alle hatten so viel von ihm erwartet, als er zurück in die Schweiz kam. Er war der gefallene Held. Es ist doch so: Wenn man gewinnt, ist es einfach, sympathisch zu sein. In schwierigen Momenten aber kommt der wahre Charakter durch. Ich spiele selbst Tennis und bin nach Niederlagen selten gut drauf. Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2013, war denkbar, dass seine Karriere vorbei ist. Der Rücken hat ihm schwere Probleme bereitet. Wie er sich dennoch die Zeit genommen und mit den Leuten gequatscht hat, etwas zurückgeben wollte, obwohl es ihm schlecht ging – das hat mich beeindruckt.
Wie kam es zu Ihrem Buchprojekt: Kannten Sie die Reihe?
Der Verlag und die Reihe sind noch neu. Es war wohl wichtig, mit Federer eine große Figur zum Start zu haben. Das Tolle war, dass ich keine Vorgaben bekam, außer der Zeichenzahl. So konnte ich ein Buch schreiben, wie ich es wollte. Mich langweilt es, wenn Matches nacherzählt werden, daher habe ich einen anderen Zugang gesucht, wollte verschiedene Aspekte von Federer beleuchten. Interessant ist, was hinter dem Sportler und seinen Erfolgen steckt. Die schwierigen Momente. Dinge, die ihn geprägt haben und erklären, warum er so tickt. Ich hoffe, das ist mir gelungen.
Federer selbst gilt nicht als Bücher-Freak. Haben Sie ihm vom Buch erzählt und ihm eins übergeben?
Roger wusste, dass ich das Buch schreibe, beteiligt sich aber grundsätzlich nicht an Buchprojekten. Ich glaube, sein Manager Tony Godsick hätte gerne, dass Roger nach der Karriere selbst eine Biografie herausbringt, wie Andre Agassi. Aber ich glaube nicht, dass er das will. Er hat immer gesagt, dass er keine Lust habe, noch mehr von sich preiszugeben. Für mein Buch hatte ich sehr viel Material. Ich habe ihm Hunderte Stunden zugehört, hatte Einzelgespräche mit ihm, bei Pressekonferenzen konnte ich ihm innerhalb der Zeit des Schreibens auch Fragen stellen – daraus habe ich viel verwendet. In Basel habe ich ihm ein Exemplar des Buchs überreicht, und er hat sich gefreut, dass es so erfolgreich läuft. Es ist für ihn wichtig, dass das Bild von ihm stimmt. Die Leute aus seinem Umfeld fanden, dass ich ihn gut getroffen habe.
Letztlich war die Pause ein Glücksfall, vor allem für den Kopf. Und der ist sehr wichtig bei ihm. Er ist keine Maschine, er spielt Tennis, muss Freude daran haben.
Sie verfolgen Federer von klein auf. Wie genau kennt man sich wirklich, wie hat sich der Kontakt zu ihm entwickelt, als er zum Weltstar wurde?
(überlegt) Die Zeit ist etwas weniger geworden. Was ich phänomenal finde, ist, dass er einem immer etwas gibt. Er überlegt stets, was interessant sein könnte für mich als Journalist. Er nimmt sich nach der englischen Presserunde viel Zeit auf Schweizerdeutsch, auf Französisch… Das ist ihm sehr wichtig. Er weiß, dass sein Image durch die Medien befördert wird. Und hat Spaß daran, sich den Fragen zu stellen. Im Vergleich zu seiner Zeit als Teenager hat er sich natürlich verändert, ist reifer geworden. Wenn man ihn länger kennt, ist er auch sehr persönlich. Er fragt, wie es den Kindern geht, wie man dies und das handhabt. Natürlich erzählt er nicht alles. Er weiß genau, wo er die Grenze zieht.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Federer in den Monaten vor seiner Knie-Verletzung und der anschließenden Auszeit vermehrt einen genervten Eindruck auf Sie gemacht habe. Würde er noch spielen ohne diese Pause?
Ich bin nicht sicher. Letztlich war die Pause ein Glücksfall, vor allem für den Kopf. Und der ist sehr wichtig bei ihm. Er ist keine Maschine, er spielt Tennis, muss Freude daran haben. Er spult sein Programm nicht runter, weder auf, noch neben dem Platz. Seine Karriere hatte eine negative Dynamik bekommen. Er war die Legende, die nichts mehr gewann. Jeder fragte, wann er zurücktritt. Das hat ihm langsam zu schaffen gemacht. Er hat auch gemerkt, dass er die großen Matches nicht mehr gewinnen konnte. Vielleicht hat er sich auch von einigen Kommentaren anstecken lassen. Durch die Auszeit vom Tennis konnte er sich bewusst machen, ob er das alles noch möchte. Er hat sich entschieden: Ja, es fehlt mir, die Geschichte ist noch nicht vorbei. Seine Rückkehr mit dem Sieg bei den Australian Open, in Indian Wells, in Miami, in Wimbledon ohne Satzverlust – das war unfassbar. Diese Frische tat ihm körperlich gut, war aber mental fast wichtiger.
Die letzten Monate in 2018 liefen nicht mehr so traumhaft wie im Jahr zuvor. Federer selbst sah das realistisch, dennoch wirkte er auch zuletzt etwas unzufrieden.
Eine Aussage, die mich stutzig gemacht hat: dass er das Gefühl habe, unter Druck zu stehen. Dass er eher spielt, um nicht zu verlieren, statt um zu gewinnen. Das ist die falsche Einstellung. Daran arbeitet sein Team im Moment auch. Vor den ATP Finals habe ich mit Severin Lüthi ein Interview geführt. Er sagte: Roger hat nichts mehr zu verlieren – selbst wenn er kein Spiel mehr gewinnt, ist er ein Tennisgott. Das sollte sich Roger selbst vor Augen führen, denn diese Lockerheit habe ich in den letzten Monaten vermisst. Aber er hat sich durchgekämpft. Vielleicht braucht er wieder die Außenseiterrolle. Dass er im Kopf weiß: Ich habe nichts zu verlieren.
Die Schweizer Mentalität ist eher scheu. Für ihn ist das toll: Er braucht keine Bodyguards, kann sich hier total normal in der Öffentlichkeit bewegen.
Ich habe Roger Federer im Frühjahr auf dem Weg von Zürich nach Indian Wells am Flughafen erlebt, wir saßen zufällig im selben Flieger. Was interessant war: Kein Passagier hat ihn nach einem Autogramm oder Selfie gefragt, auch nicht am Flughafen in Los Angeles. Ist diese Zurückhaltung typisch Schweiz – dass man den Leuten ihre Ruhe lässt und Abstand hält?
Ich denke schon. Diese Zurückhaltung genießt er auch, deshalb kann er dort ein normales Leben führen. Er wandert und geht mit der Familie ins Freibad. Natürlich gibt es hier und da ein Selfie, aber er wird nicht belagert. Er kann an der Bahnhofstraße in Zürich entlanglaufen. Die Leute drehen sich um, aber das war‘s. So ist die Schweizer Mentalität, eher etwas zurückhaltend und scheu. Für ihn ist das toll: Er braucht keine Bodyguards, kann sich hier total normal in der Öffentlichkeit bewegen.
Während Federer recht häufig mit den Medien spricht, gibt Mirka seit Jahren keine Interviews mehr. Wieso eigentlich?
Er hat ihr vor über zehn Jahren dazu geraten. Roger behält gerne die Kontrolle, er möchte nicht, dass alle aus dem Team reden. Der Physio Daniel Troxler spricht nicht, Ivan Ljubicic nicht, Mirka ebenso nicht. Severin Lüthi spricht, das finde ich auch gut. Weil er immer unterschätzt wird. Mittlerweile wissen die Leute, was er vom Tennis versteht, dass er eine wichtige Figur für Roger ist. Ansonsten: Roger spricht viel, damit macht er alles wett. Aber er möchte auch keine privaten Details preisgeben.
Sie sprechen seine Sehnsucht nach Kontrolle an, für was gilt das noch?
Sehnsucht ist vielleicht ein starkes Wort. Er will einfach sehr genau wissen, was geht. Beispielsweise auch bei seiner Stiftung. Er gibt nicht nur seinen Namen dafür her, wie es andere tun. Bei den Meetings will er genau wissen, was geplant wird. Er fällt auch die Entscheidungen. Dass er selbst die Kontrolle behält, ist auch ein Grund, wieso er so erfolgreich ist. Er führt seine Karriere sehr bewusst.
Wie ist generell der Umgang mit ihm in der Schweiz? Wenn man in Deutschland schaut: Dort wird, trotz der Erfolge von Angelique Kerber und Alexander Zverev, sofort gemeckert, wenn es mal nicht läuft.
Wir alle sind mit Roger groß geworden, er hat so viel erreicht… Er ist Teil der Familie geworden! Alle sagen: Der ist unglaublich! Die Schweiz ist eigentlich ein Volk von Neidern. Wenn einer zu hoch steigt, ist es nicht gut. Aber bei Roger ist das anders. Die Leute sind sehr stolz. Auch in der Phase, in der es nicht gut lief. Die Reaktion in der Schweiz, als er wieder gewonnen hat – so etwas hätte er noch nie erlebt, meinte er. Natürlich gibt es immer Neid, Geld ist immer ein Thema in der Schweiz. Aber bei ihm hält sich das in engen Grenzen. Es gab mal Zwist mit dem Basler Turnierdirektor, der Roger und seinem Manager vorwarf, sie seien geldgierig. Aber das war ein Eigentor des Turnierdirektors. Am Schluss spielte Roger halt ohne Antrittsgage.
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Was ist noch eine Sache, von der Sie sagen: Das ist typisch Federer!
(überlegt) Wir haben vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben, „Jubeljahre“, über das Schweizer Tenniswunder. Da hat er mitgemacht. Wir fuhren kurzfristig nach Basel und konnten mit ihm über eine Stunde sprechen. Auch darüber, was er jungen Spielern rät – wie man eine Karriere angehen soll, wie man sich fokussieren muss, wenn man sich fürs Profitennis entschieden hat. Das ist ihm ein großes Anliegen. Federer ist ja immer sehr nett, aber er ist keiner, der es stets allen recht machen will. Er ist sehr geradlinig seinen Weg gegangen und hat unterwegs auch harte Entscheidungen getroffen.
Das Gespräch führte Florian Goosmann im Rahmen der ATP Finals in London.