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"Bye, bye, Boris" - Der US-Open-Showdown zwischen Agassi gegen Becker 1995

Das Tennisjahr 1995 hat große Duelle zwischen Andre Agassi und Boris Becker gebracht. Beim legendären Halbfinale der US Open behielt der US-Amerikaner die Oberhand.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 10.09.2020, 10:48 Uhr

Andre Agassi bei den US Open 1995
© Getty Images
Andre Agassi bei den US Open 1995

Es ist der Abend des 9. September, an dem das Grand-Slam-Jahr 1995 für Boris Becker endet. Und wie es endet, vor beinahe genau 25 Jahren: Als Becker nach einer dramatischen Vier-Satz-Niederlage im US Open-Halbfinale gegen Andre Agassi mit hängenden Schultern aus dem Louis Armstrong-Stadion trottet, ist ein lauter, hämischer Schrei nicht zu überhören. „Bye, bye, Boris“ hallt es markerschütternd über den Centre Court, es ist Hollywood-Schauspielerin Brooke Shields, die Becker da auf ganz besonders nette Weise verabschiedet. Becker blickt kurz in Richtung der Loge von Agassi, zu dessen prominenter Lebensgefährtin, er verzieht keine Miene, marschiert weiter Richtung Ausgang. Später wird er sagen: „Es war eine der bittersten Stunden meines Lebens.“

Um es mit Loriot zu sagen: Früher, lange vor Zverev und Co., lange vor dem Siegeszug des jungen Hamburgers bis ins Halbfinale 2020 in New York, war noch ein bisschen mehr Lametta, wenn es auf den größten Bühnen um die größten Pokale ging. Becker und Agassi versöhnten sich viele Jahre später zwar unter großem Presse-Ballyhoo am Rande des Münchner Grand Slam Cup, man sah das Duo bei dieser halb wahren, halb inszenierten Umarmung in einem Oktoberfest-Bierzelt, in Lederhosen und vor einer Maß Bier sitzend. Im Sommer 1995 allerdings, innerhalb einiger sehr denkwürdiger Tennis-Monate, waren sie Todfeinde, die sich bis aufs Blut bekämpften. 

Beckers Tirade gegen Agassi

Es begann schon in Wimbledon, wo Becker 1995 nach dem verlorenen Finale gegen Pete Sampras unvermittelt zu einer wüsten Tirade gegen Agassi ansetzte. Der laufe wie eine Art Penner durch die Gegend, seinem Sohn würde er „im Leben nicht“ erlauben, Klamotten wie die von Agassi anzuziehen. Nicht genug damit: Agassi sei ein elitärer Einzelgänger, ein typisch amerikanischer Showmann, einer, „den keiner richtig mag“ im Wanderzirkus. Becker hatte nicht einmal beruhigen können, dass er Agassi im Halbfinale auf dem Heiligen Rasen nach einem Katastrophenstart noch aus dem Titelrennen befördert hatte. „Die Konkurrenzsituation, die persönliche Abneigung war so groß“, erinnert sich Becker, „dass man manchmal nicht mehr wusste, was man tat.“

Bei den US Open kam es zwei Monate später zum Wiedersehen zwischen den beiden Superstars. Und wieder waren Egoismen, Eitelkeiten und Eifersüchteleien im Spiel zwischen Becker, der sich damals als Staatsmann der Branche inszenierte. Und Agassi, dem wild-aufmüpfigen Tennis-Punk mit den irren Kleidungsdesigns. In seiner Biographie „Open“ spitzte Agassi die Minuten vor dem New Yorker Halbfinalduell dramaturgisch wertvoll zu: „Als Becker und ich vor dem Tunnel (zum Center Court, d. Red.) stehen, sage ich zum Sicherheitsmann: Halt´ uns voneinander fern. Ich will diesen verdammten Deutschen nicht in Sichtweite haben.“ Kaum hat das Spiel begonnen, fängt Becker mit Mätzchen an, will Agassi provozieren. Plötzlich wirft er Shields, der Freundin von Agassi, Luftküsse in die Loge zu. Agassi dreht beinahe durch, er habe Becker am liebsten „eine reinhauen“ wollen, erklärt er viele Jahre später. In seiner Biographie erinnert sich Agassi auch, wie sein Trainer Brad Gilbert Gegenspieler Becker einschätzte: „Er nannte ihn B.B. Sokrates, weil er meint, dass Becker versucht, den Intellektuellen zu spielen, obwohl er ein zu groß geratener Bauernlümmel ist.“

"Es gibt Spieler, die man nicht so mag"

Becker gibt im damaligen Duell die ersten beiden Sätze im Tiebreak ab, dann verkürzt er in einer Partie voller kleiner und großer Feindseligkeiten zum 1:2, verliert aber den vierten Durchgang. Becker und Agassi würdigen sich keines Blickes, als das Match vorbei ist, der Händedruck ist eisig, eine Pflichtübung. Agassi ruft dem Deutschen in der Pressekonferenz nach: „Es ist empörend, was er über Kollegen sagt. Er hat keinen Respekt für die Lebensleistung anderer Spieler.“ Und Becker? Er sagt in Richtung Agassi: „Es gibt Spieler, die man mag. Und solche, die man nicht so mag.“ 

Heute ist alles anders. Der Pulverdampf ist verflogen. Gerade erst hat Becker, dessen Erbe Alexander Zverev als erster Deutscher nach einem geschlagenen Vierteljahrhundert nun die New Yorker Runde der letzten Vier erreichte, mit treuem Augenaufschlag noch einmal beteuert: „Andre und ich – wir sind jetzt dicke Freunde.“

von Jörg Allmeroth

Donnerstag
10.09.2020, 15:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 10.09.2020, 10:48 Uhr