"Schon Beckers Anwesenheit spornt uns an"
Das DTB-Team muss in der Davis-Cup-Relegation in Portugal ran (beide Einzel am Freitag ab 12 Uhr im kostenlosen LIVESTREAM auf SPOX und tennisnet.com, das ganze Wochenende live auf DAZN). Teil der Mannschaft ist endlich auch wieder Cedrik-Marcel Stebe. Einst die Nummer 71 der Welt und eine der Hoffnungen im deutschen Tennis, wurde er durch eine beispiellose Verletzungsgeschichte für zweieinhalb Jahre außer Gefecht gesetzt. Im Interview spricht der 26-Jährige über seine Leidenszeit, das Klavier als Rettungsanker, sein legendäres Duell gegen Lleyton Hewitt und die Hilfe von Boris Becker.
von Felix Götz
zuletzt bearbeitet:
15.09.2017, 07:44 Uhr
SPOX/Tennisnet: Herr Stebe, was hätten Sie vor einigen Wochen jemandem geantwortet, wenn er Ihnen prognostiziert hätte, an diesem Wochenende im Davis Cup dabei zu sein?
Cedrik-Marcel Stebe: Ich hätte jedem einen Vogel gezeigt. Das hatte ich nun wirklich gar nicht auf dem Schirm, vor drei Monaten stand ich schließlich noch auf Platz 320 der Weltrangliste. Es wäre komplett utopisch gewesen, zu diesem Zeitpunkt an den Davis Cup zu denken. Meine Nominierung war für mich eine Überraschung, umso schöner ist es jetzt.
SPOX/Tennisnet: Sie waren quasi zweieinhalb Jahre weg vom Fenster, haben eine unfassbare Verletzungsgeschichte hinter sich. Haben Sie überhaupt noch alles auf dem Schirm, was Ihnen widerfahren ist?
Stebe: Angefangen hat es im Januar 2013 mit einer Überdehnung im Hüftbeuger. Nach zwei Monaten habe ich wieder angefangen zu spielen, hatte aber die komplette Saison über damit meine Probleme. Im Oktober 2013 musste ich mich schließlich an der Hüfte operieren lassen. Nach der Reha spielte ich wieder, doch wahrscheinlich aufgrund der Krücken, die ich verwenden musste, bekam ich Rückenprobleme. Wieder war zwei Monate Pause angesagt, wieder kehrte ich zurück. Zwei Wochen später bemerkte ich ein Ziehen oberhalb vom Schambein auf der linken Seite im Bauchmuskelbereich. Es entpuppte sich als Schambeinentzündung, die das ganze Jahr über nicht weggegangen ist. Im November kam dann noch eine Leistenoperation dazu. Nach dieser Operation war es wieder okay, ich begann zu spielen und merkte nach kürzester Zeit das gleiche Ziehen auf der rechten Seite - Schambeinstressfraktur. Von März 2015 bis Februar 2016 war dann komplett Feierabend.
SPOX/Tennisnet: Hand aufs Herz: Wie oft war der Glauben daran weg, dass es noch einmal mit einem Comeback klappen könnte?
Stebe: Anfangs war ich noch relativ entspannt, weil die Ärzte mir immer gesagt haben, dass es vielleicht zwei bis drei Monate dauern würde, bis ich wieder spielen könnte. So richtig negative Gefühle kamen bei mir erst auf, als die Schambeinstressfraktur auf der rechten Seite diagnostiziert wurde. Da dachte ich mir schon: Warum bekomme eigentlich immer ich noch eine auf den Deckel?
SPOX/Tennisnet: Trotzdem sind Sie an der Situation nie komplett verzweifelt. Was waren in dieser Zeit Ihre Rettungsanker?
Stebe: Ich habe mich zwischenzeitlich aus Selbstschutz komplett vom Tennis abgeschottet, wollte nichts mehr davon wissen. Ich hielt fast alle Informationen von mir fern, hatte quasi keine Ahnung, was meine Konkurrenten so trieben. Wenn ich in dem Wissen, dass ich von der Qualität her da auch mitspielen könnte, gesehen hätte, wie andere in der Weltrangliste nach oben geschossen sind - das wäre schwierig für mich gewesen.
SPOX/Tennisnet: Ein weiterer wichtiger Stützpfeiler war das Klavierspielen, oder?
Stebe: Ja, ich habe sehr viel gespielt. Das mache ich schon seitdem ich ein kleiner Junge war.
SPOX/Tennisnet: Wie dürfen wir uns das vorstellen: Sitzen Sie dann täglich mehrere Stunden am Klavier?
Stebe: Durchaus. In dieser Zeit habe ich sicherlich vier bis fünf Stunden täglich gespielt. Natürlich nicht am Stück, weil das sehr müde macht. Man darf nicht vergessen, dass Klavierspielen für Kopf und Finger anstrengend ist. Aber das hat mir Ablenkung gegeben und einfach Spaß gemacht. Wenn man einen positiven Aspekt aus der ganzen Verletzungsmisere herausziehen möchte, dann vielleicht den, dass ich zum Ende meiner Verletzungszeit sehr gut Klavier gespielt habe. (lacht) Das ist jetzt schon weniger geworden, weil Tennis und Klavierspielen eigentlich überhaupt nicht miteinander zu vereinbaren sind. Durch das Tennis geht nämlich die Feinmotorik in den Fingern verloren. Jetzt spiele ich auf dem Klavier fast schon wieder plump.
SPOX/Tennisnet: Dafür sind Sie zurück auf der großen Tennis-Bühne. Hat sich Ihre Herangehensweise durch das Erlebte verändert?
Stebe: Ich hatte zwischendurch schon Zweifel, ob ich zurückkommen würde, deshalb gab ich mir sehr viel Zeit. Mein Ziel war es, Ende 2017 unter den ersten 200 zu stehen, um wieder angreifen zu können. Ich wollte mir einfach keine ganz hohen Ziele stecken. Wenn man nach zweieinhalb Jahren wieder anfängt, ist es nämlich schwierig, überhaupt irgendetwas zu definieren. Ich wollte nur keine körperlichen Beschwerden haben. Der Körper hatte zuletzt immer Vorrang und wird das auch in den nächsten Jahren haben. Ich weiß nämlich: Fühle ich mich wohl, kann ich ganz gut Tennis spielen.
SPOX/Tennisnet: Somit haben Sie die eigenen Erwartungen weit übertroffen, aktuell werden Sie auf Rang 90 der Weltrangliste geführt. Nicht zuletzt aufgrund des tollen Auftritts bei den US Open, als Sie es durch die Quali bis in die zweite Runde geschafft haben. Wie fällt Ihr Fazit der Tage in New York aus?
Stebe: Positiv natürlich. Und trotzdem ärgere ich mich immer noch, dass mir in der zweiten Runde die Puste ausgegangen ist. Damir Dzumhur ist sicherlich ein guter Spieler, aber man hätte auch auf ganz andere Kaliber treffen können. Und auch Andrey Rublev, der in der dritten Runde gewartet hätte, wäre nicht der schwerstmögliche Gegner gewesen. Aber ich kann mich nicht beschweren, zumal ich in zwei Wochen 160 Punkte einsammeln konnte. Jetzt stehe ich unter den ersten 100 und kann entsprechend etwas entspannter an die Sache herangehen. Zumal bereits feststeht, dass ich bei den Australian Open sicher im Hauptfeld stehen werde. Ich werde das Jahr 2017 etwas früher beenden, um topfit in die neue Saison zu starten.
SPOX/Tennisnet: Erstmal steht aber noch der Davis Cup an - und an den haben Sie gute Erinnerungen. 2012 schlugen Sie schließlich im alles entscheidenden letzten Einzel gegen Australien Lleyton Hewitt und sicherten damit Deutschland den Klassenerhalt. Wie oft denken Sie daran zurück?
Stebe: Daran denke ich oft, die Erinnerungen an dieses Match sind sehr präsent. Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Es war bis dato mein größter Erfolg, mein größtes Erlebnis. Die Gedanken daran bereiten mir heute noch Gänsehaut. Das war Wahnsinn, der Druck enorm. Ganz ehrlich: Ich hoffe, dass es in Portugal nicht so weit kommt, dass das letzte Einzel entscheidet, sondern wir den Sack bereits vorher zu machen.
SPOX/Tennisnet: Wie sehr hilft es Ihnen, gerade in diesen Tagen zu wissen, dass Sie im alles entscheidenden Moment unter dem besonderen Druck des Davis Cups voll da sein können?
Stebe: Das gibt mir das Selbstvertrauen zu sagen: Wenn es wirklich sein muss, kann ich mein bestes Tennis spielen. Und es ist auch für den Gegner keine einfache Situation, zu wissen, dass sein Gegenüber schon mal beim Stande von 2:2 das entscheidende Einzel gewonnen hat. Ein Stück weit kann ich dieses Erlebnis sicher für mich nutzen.
SPOX/Tennisnet: Wie geht das auf diesem Level relativ unerfahrene Team mit Jan-Lennard Struff, Yannick Hanfmann, Tim Pütz und Ihnen mit dem Druck um?
Stebe: Ehrlich gesagt spüren wir den Druck nicht wirklich. Wir sind ein super Team, verstehen uns alle gut und können uns alle aufeinander verlassen. Wir sind froh, dabei sein und für Deutschland spielen zu dürfen - und haben einfach Spaß.
SPOX/Tennisnet: Wie geht das Team mit den Absagen von Alexander Zverev, Mischa Zverev und Philipp Kohlschreiber um?
Stebe: Das ist für uns überhaupt kein Thema. Wir sind hier, wir spielen für Deutschland und empfinden das als Ehre. Für mich ist es eines der höchsten Ziele, die man im Tennis haben kann, für sein Land zu spielen.
SPOX/Tennisnet: Mit in Portugal dabei ist auch der neue Head of Men's Tennis Boris Becker. Welche Vorteile erwartet sich die Mannschaft dadurch?
Stebe: Schon alleine die Anwesenheit von Boris Becker spornt uns an. Wir werden mit ihm sicherlich viele Gespräche über die anstehenden Matches führen. Wir wollen wissen, was er denkt, was er glaubt, wie wir an die Matches herangehen sollen. Er kann Ruhe und Vertrauen in das Team bringen.