Daniel Brands - Ein Riese als neuer Rasenmeister
Furchtlos, frech und couragiert. Das zeichnet die Spielweise von Daniel Brands in diesen Tagen von Wimbledon aus.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
27.06.2010, 11:09 Uhr

Von Jörg Allmeroth
London. Der Mann hat Mut. Auch wenn es gar nicht ums Tennis geht. Und so wird sich Daniel Brands am Sonntag sein Deutschland-Trikot aus dem Koffer schnappen und sich auf den Weg machen, um irgendwo in London keineswegs klammheimlich die Truppe von Jogi Löw seelisch-moralisch und auch mal mit „ordentlichem Gebrüll“ zu unterstützen. Kneifen und Bangemachen gilt nun mal nicht für Brands (22) in diesen verrückten Tagen, in denen er sein größtes Tennisabenteuer erlebt. In denen er mal kurz den amtierenden Weltmeister Nikolay Davydenko von den gepflegten Grüns des All England Clubs vertreibt, in denen er auch ein hitziges Skandalspiel gegen den Rumänen Victor Hanescu übersteht, dabei vier Matchbälle abwehrt und nun als letzter Deutscher aus SW 19 grüßt. „Ich lebe wie in einem Traum“, sagt Niederbayer Brands, einer der vielen DTB-Profis, die sich in der Welt des Wanderzirkus gerade beharrlich weiter nach vorne schieben, nicht sprungartig, sondern solide und schön Stück für Stück.
Aus lichter Höhe von 1,96 Meter betrachtet der Deggendorfer die Welt des Wanderzirkus schon etwas länger. Doch was er nun im Frühling und Sommer 2010 sieht, ist so erfreulich wie noch nie in seiner Laufbahn. Denn der tüchtige Niederbayer scheint endlich den Anschluß an die erweiterte Weltspitze gefunden zu haben, ein Spieler, der von seinem Naturell und seiner Statur stark an den sympathischen Alexander Popp erinnert, den einstigen Wimbledon-Spezialisten und zweimaligen Viertelfinalisten. Wie Popp ist auch Brands einer, der nicht viel Worte und Aufhebens um sich macht und der am liebsten seinen Schläger sprechen läßt, offenbar besonders gern im legendären All England Club.
Brands ist wie geschaffen für das Powerspiel auf dem Rasen, mit seinem harten, kompromisslosen Aufschlag und wuchtigen, manchmal überwältigend schnellen Grundschlägen kann er vielen Ärger bereiten. Auch einem wie dem Tschechen Tomas Berdych, dem er am Montag im Achtelfinale gegenüber tritt, als Übriggebliebener des 18-köpfigen deutschen Kontingents hier in Wimbledon. „Meine Reise kann noch weitergehen“, sagt Brands, der in der Weltrangliste auf Platz 98 geführt wird, sich nach dem Turnier aber weitere zehn bis fünfzehn Ränge nach oben verbessern wird. Erstaunlich cool präsentierte sich der Debütant auch am Freitagabend, als sein Gegenüber Hanescu durchdrehte, in die Richtung von lärmenden Zuschauern spuckte und dann das Spiel so offenkundig abschenkte, dass ihm eine 12.000-Euro-Strafe aufgebrummt wurden. „Der war so sauer, weil ich diese Matchbälle abgewehrt habe. Am Ende hatte er einen richtigen Black-Out“, sagt Brands.
Brands, der stille Riese, konzentriert sich ohnehin am liebsten auf sich selbst. Und weil der zupackende Rechtshänder gerade erst so richtig auf den Dreh im Tennisgeschäft gekommen ist, prophezeit ihm nicht nur ein Beobachter wie Davis Cup-Teamchef Patrik Kühnen noch „eine starke, erfolgreiche Zeit“ und eine „vielversprechende Zukunft“. Wo genau das alles enden soll, weiß auch Brands selbst nicht genau: „Ich setze mir keine vermessenen Ziele. Aber ich denke, dass ich die Top 30 schaffen kann.“ Wie eine Initialzündung wirkte für Brands der letztjährige Auftritt bei den Münchner BMW Open – bei seinem erklärten Lieblingsturnier wirbelte der Turm von Deggendorf damals fast rauschhaft über den Sand und war erst im Halbfinale zu stoppen. „Das Turnier zeigte mir eigentlich zum ersten Mal: Ich kann mit den wirklich Guten mithalten, ich muss mich nicht verstecken“, sagt Brands, „ich bin da mit einem guten Schub Selbstbewusstsein weggefahren.“ Jedenfalls reichte das Auftanken fürs eigene Ego auch noch umgehend für den ersten Sieg über einen Top 10-Spieler – das Geschenk einer Wildcard von Hamburgs Turnierchef Michael Stich nahm Brands im Sommer 2009 artig entgegen und revanchierte sich für so viel Vertrauen mit dem Coup gegen Frankreichs Gilles Simon.
Auf die harte Tour gelangte Brands im letzten Herbst erstmals in die Top 100. Um sich den Traum dieses Grenzübertritts zu erfüllen, zögerte der Beinahe-Zwei-Meter-Mann nicht, auch wieder etwas kleinere Challenger-Bühnen zu betreten und dort eifrig Punkte zu sammeln. Mit dem Sieg in Eckental und dem Halbfinalvorstoß in Aachen war es dann endlich geschafft. „Das ist schon ein stolzes Gefühl. Auch, weil man weiss, dass einem das nicht in den Schoß gefallen ist“, sagt Brands, „dahinter steckt viel harte Arbeit, viel Entbehrung. Und ein gutes Team.“ Zur Mannschaft hinter dem bayrischen Hünen zählen neben Trainer Markus Wislsperger auch Konditionstrainer Dieter Berlacher und Mentalcoach Thomas Baschab.
Nun soll der Aufschwung anhalten. Brands weiß, dass es nun noch schwerer wird für ihn in dieser dünnen Höhenluft. Sich nach oben zu kämpfen, ist das eine. Sich dort oben zu behaupten und noch weiter zu verbessern, ist eine Herausforderung, die ihm aufs neue alles abverlangen wird. Aber Brands ist keiner, der vor solchen Aufgaben zurückzuckt. Er stellt sich ihnen eher frohgemut als verzagt. „Ich will noch mal eine Schippe drauflegen“, sagt er, der unübersehbare Niederbayer.(Foto: J. Hasenkopf)