WTA Finals: Duell der letzten Chance? Senkrechtstarterin Osaka steht Kerber im Weg

Die Siegerinnen der letzten beiden Major-Turnier stehen vorm Aufeinandertreffen in Singapur nach ihren Auftaktniederlagen mächtig unter Druck

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 24.10.2018, 09:50 Uhr

Naomi Osaka, Peking

Als Sascha Bajin kürzlich in Tokio ein Schnellrestaurant besuchte, war die Verblüffung groß. Denn kaum hatte er die Eingangstür betreten, musste er sich auch schon wie ein alter Bekannter der anderen Gäste fühlen. Bajin wurde freundlich begrüßt, manche Kunden schüttelten ihm die Hände oder baten ihn um ein gemeinsames Foto oder ein Autogramm. "Es war ein verrückter Moment", sagt Bajin, "so etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nie passiert."

Allerdings war in diesem Herbst schon etwas Einmaliges passiert für Bajin. Der Münchner Tennis-Globetrotter (34) war als Chefcoach mit dafür verantwortlich, dass die 21-jährige Naomi Osaka bei den US Open einen Sensationscoup landete und mit dem Finaltriumph über Serena Williams den ersten Grand-Slam-Titel ihrer jungen Karriere holte. Seitdem ist Osaka nicht nur weltbekannt, sondern daheim in Japan ein Megastar - und mit ihr auch Bajin zu bemerkenswerter Popularität gelangt. "Es ist Wahnsinn, was mit Naomi in Japan und in ganz Asien passiert", sagt Bajin.

Auch in Singapur, dem Schauplatz der WTA Finals, der inoffiziellen Frauentennis-WM, ist Osaka der Star unter den Stars der Branche, beim Saisonabschluss der acht besten Spielerinnen. Eine Mischung aus "Euphorie und Hysterie" umgebe Osaka, notierte ein lokales Blatt, "sie ist die ungekrönte Königin des Turniers."

Kerber & Osaka: Unglückliche Auftaktverliererinnen nun gegeneinander

Allerdings steht die schüchterne Majestät nach einer frustrierenden Auftaktniederlage gegen die Amerikanerin Sloane Stephens nun schon unter gehörigem Erfolgsdruck - und muss am Mittwoch im Match der unglücklichen Auftaktverliererinnen mit Angelique Kerber unbedingt gewinnen, um sich ihre WM-Hoffnungen aufrecht zu erhalten. Für Osaka wie für Kerber ist es so etwas wie ein Duell der letzten Chance, eine Alles oder Nichts-Partie. 3:1 führt Kerber im direkten Vergleich, mit der letzten Partie gegen die Senkrechtstarterin verbindet sich für die Deutsche eine ziemlich angenehme Erinnerung - denn dieses Duell fand in Wimbledon statt, in der dritten Runde bei ihrem sommerlichen Siegeszug im All England Lawn Tennis Club.

Osaka spielte ein paar Wochen später, Ende August und Anfang September, in New York genau so souverän und selbstsicher auf wie Kerber in Wimbledon. Nichts und niemand konnte sie stoppen bei ihrem imposanten US-Open-Erfolg, nicht einmal der Furor von Endspielgegnerin Serena Williams. Aber der Sieg hatte einen schalen Beigeschmack, denn über den Williams-Skandal und die anhebende, ausufernde Sexismus- und Rassismus-Debatte wurde die sportlich hochverdiente Siegerin glatt vergessen. "Es ist eine bittersüße Erinnerung geblieben", sagt Osaka, "es war einfach kein Moment da, in dem ich mich total freuen konnte."

Allerdings hielten Osaka und Bajin nach der brillanten US Open-Mission weiter hohes Niveau, von Akklimatisierungsprobleme im rauen Touralltag konnte keine Rede sein. Unter eindringlicher Beobachtung von Fans und Reporterscharen rückte die 21-jährige beim Turnier-Heimspiel in Tokio ins Finale vor, kam anschließend noch einmal ins Halbfinale von Peking. "Sie hat sich ihre hohe Intensität und ihren Ehrgeiz auch nach New York bewahrt. Das war extrem wichtig", sagt Bajin, "du solltest nach so einem Sieg nicht in ein tiefes Loch fallen."

Osaka-Job: Bajin mit Sechser im Lotto

Auch für ihn, den gebürtigen Münchner mit serbischen Wurzeln, ist das Tennisjahr 2018 so etwas wie die Entdeckung eines unbekannten Universums. Denn viele Jahre war Bajin zwar ein durchaus gefragter Mann in der Branche, aber nicht in leitender und entscheidender Position. Sieben Jahre war er Sparringspartner für Serena Williams und damit auch Teil des schillernden Williams-Clans, bevor er in identischer Position auch bei Viktoria Azarenka und Caroline Wozniacki arbeitete. Bei der WM 2017 saß er in Singapur noch als Angestellter der Dänin auf der Tribüne.

Kurz danach bot ihm der Manager Osakas den Job als Chefcoach an, Bajin, selten um ein Risiko verlegen, griff energisch zu - und hatte einen Sechser-Treffer im Lotto gelandet. Im Arbeitsverhältnis zueinander gilt: Gegensätze ziehen sich an und bewirken Erfolg, hier die äußerst scheue, zurückhaltende, sensible Osaka und dort der temperamentvolle, zupackende, aber auch einfühlsame Bajin. "Ich hoffe, wir können noch sehr lange zusammenarbeiten", sagt Bajin. Nun, bei der WM, könnte der deutsche Coach dafür sorgen, dass die Träume der deutschen Wimbledonsiegerin Kerber schon am Mittwoch platzen.

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
24.10.2018, 09:50 Uhr