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Eine Lanze für Angie

Die Schmähkritik an Angelique Kerber nach ihrem US-Open-Aus ist völlig fehl am Platz und hilft in keinerlei Hinsicht weiter.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 30.08.2017, 19:20 Uhr

Angelique Kerber

Es ist doch verrückt. Da gewinnt Angelique Kerber im Vorjahr zwei Grand-Slam-Turniere, wird die Nummer eins der Welt - und kann sich im Folgejahr in den sozialen Medien vor hämischen und schadenfrohen Aussagen kaum noch retten, weil es nicht mehr läuft. "Nur noch eine Lachnummer", "Noch nie eine richtige Nummer eins gewesen", "Schwächste Nummer eins aller Zeiten" - und so weiter.

Tennis, und Sport allgemein, ist verdammt abhängig vom Selbstvertrauen; jeder, der selbst auf einem einigermaßen anständigen Niveau spielt, weiß das. Der Glaube an sich selbst, das tief verankerte Bewusstsein, Dinge in wichtigen Momenten bewältigen zu können, setzt die entscheidenden Prozente frei. Die Prozente, die es ausmachen, ob man einen Tiebreak mit 11:9 gewinnt oder verliert. Fängt das Selbstvertrauen an zu bröckeln, folgen Niederlagen, das Selbstvertrauen leidet weiter... ein Teufelskreis.

Angelique Kerber liegt aktuell auf Rang 16 im Jahres-Race, in einer Saison, in der sie gefühlt - und gemessen am Vorjahr - kaum ein Match gewonnen hat. Ihre Bilanz in 2017: 25 Siege bei 18 Niederlagen. Vor wenigen Spielzeiten noch hätte man sich die Hände danach geschleckt, dass eine deutsche Spielerin wieder beständig unter den Top 20 steht, geschweige denn zwei Majors ihr Eigen nennen kann. Im Speziellen Kerber, die vor sechs Jahren erst in New York ihren Durchbruch feierte, nachdem sie einige Monate zuvor frustriert mit einem Karriereende geliebäugelt hatte.

Für die neue Saison aus den Fehlern lernen

Das alles soll nichts beschönigen: Natürlich muss sich Kerber sachliche Kritik gefallen lassen, natürlich muss sie ihre Krise sachlich und schonungslos aufarbeiten, die Fehler suchen und analysieren. Wobei vieles gefunden scheint: zu wenig Urlaub vorm Saisonstart (weil sie früh wieder ins Training eingestiegen war), zu viel selbstauferlegter Druck (weil sie ihre Traumsaison unbedingt bestätigen wollte), womöglich auch zu viele öffentliche Auftritte (aber gehört es nicht dazu, Erfolge auch auszukosten und sich feiern zu lassen?), zu wenig Arbeit am Spiel (in einer längeren Off-Season muss der Aufschlag technisch endlich mal angegangen werden!). In vielen Belangen erinnert ihre Lage an Rainer Schüttler und "sein" Jahr 2003, auch er fiel 2004 und 2005 weit ab und gewann die engen, die kritischen Spiele eben nicht mehr.

Eine Frage, die einige stellen: Hat Kerber im Vorjahr über ihren Verhältnissen gespielt? Vielleicht. Aber selbst wenn - ist eine Saison wie 2016 dann nicht umso bemerkenswerter? Eine 180-Grad-Wendung von heute auf morgen zu schaffen, ist einfacher gesagt als getan. Wieder mal: Stichwort Selbstvertrauen. Und das muss sie sich erst wieder erarbeiten. Beleidigungen und Beschimpfungen in sozialen Medien sind hierbei nicht nur kontraproduktiv, sondern völlig unangebracht. Sie sind ein Zeichen dafür, wie wenig Ahnung diejenigen, die sie verbreiten, vom Sport haben.

von Florian Goosmann

Mittwoch
30.08.2017, 19:20 Uhr