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Als Monica Seles und Jennifer Capriati das Power-Tennis erfanden

Am 6. September 1991, in einem dramatischen US-Open-Halbfinale, zeigten die beiden Jungstars einen Vorgeschmack auf das heutige Tennis.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 02.09.2016, 17:29 Uhr

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Aug 1991: Jennifer Capriati swings at the ball during the Mazda Tennis Classic at the La Costa Country Club in La Costa, California. Mandatory Credit: Mike Powell /Allsport

Schaut man sich heutzutage ein Match aus den 70er- oder 80er-Jahren an, wirkt vieles wie in Zeitlupe. Tennis wurde damals noch mit schweren Holzschläger gespielt, Handgelenksverletzungen à la del Potro, Djokovic oder Nadal waren in einer Zeit, in der der Ball mehr geschoben statt mit übermäßigem Topspin geschlagen wurde, quasi unbekannt. Taktische Finessen sowie das feine Händchen hatten einen deutlich höheren Stellenwert.

Dann kam Boris Becker und erfand den Aufschlag, Steffi Graf und Ivan Lendl die Power-Vorhand und kurze Zeit später drosch Andre Agassi in einem Match gegen John McEnroe den Return so schnell übers Netz, dass dieser danach entgeistert feststellte: "Ich habe noch nie jemanden den Ball so hart spielen gesehen."

Seles und Capriati zeigen die Zukunft des Tennis

Anfang der 90er-Jahre standen zwei Spielerinnen Pate für die weitere Entwicklung des Spiels: Monica Seles , die 1990 mit 16 Jahren und 6 Monaten die jüngste Siegerin der French Open wurde und ihren Triumph in Paris 1991 wiederholte, nachdem sie auch die Australian Open gewonnen hatte. Und Jennifer Capriati , die im März 1990 mit dem Einzug ins Finale von Boca Raton - bei ihrer ersten Turnierteilnahme überhaupt (!) - bis heute mit 13 Jahren und 11 Monaten die jüngste Spielerin ist, die je ein WTA-Finale erreichte.

Bei den US Open 1991 standen sich Seles (17 Jahre) und Capriati (15 Jahre) im Halbfinale gegenüber. Seles hatte es damals bereits auf Platz eins der Welt gebracht (und stand aktuell auf Rang zwei), Capriati war auf Position sieben platziert. Das Match der beiden gilt heute nicht mehr oder weniger als ein wegweisendes Spiel, das einen Blick in die Zukunft des Tennis offenbarte. Sowohl Seles als auch Capriati spielten Power-Tennis pur; Seles mit ihrer mit beiden Händen geschlagenen Vor- und Rückhand, Capriati ausgestattet mit einem der aufstrebenden Overhead-Schlägern von Prince mit vergrößertem Sweetspot und daraus resultiertender Extra-Power.

Flashback zum 6. September 1991

Am 6. September steht Capriati kurz vorm Einzug in ihr erstes Major-Finale. In einem Spiel, das aggressives Grundlinientennis in bislang kaum geartetem Ausmaß bietet (speziell von zwei Spielern zeitgleich), serviert "Jenny-Baby" zweimal zum Matchgewinn gegen Seles, beim Stand von 2:6, 6:3 und 5:4 sowie beim 6:5, aber kann sich nicht ins Ziel retten. Im Tiebreak des Entscheidungssatzes triumphiert schließlich Seles mit 7:3. "Es hat einfach nicht sollen sein", so Capriati nach ihrer Niederlage in einem Match, "in dem sich keiner von uns bis zum letzten Ball geschlagen geben wollte", wie Seles resümierte. US-Journalistin Mary Carillo bezeichnete das Spiel ob der Gewalt in den Schlägen undpassenderweise als "Big Babe Tennis".

Ebenfalls bemerkenswert: Insgesamt 18 Breaks setzte es in den knapp zwei Stunden, insofern war das Match auch ein Zeichen, dass bei dermaßen aggressiven Grundlinienspielern der Return nach und nach wichtiger werden sollte.

Seles holte sich im Anschluss ihren ersten von zwei Titeln in Flushing Meadows - im Finale mit einem 7:6 (1), 6:1 gegen die 34 Jahre alte Martina Navratilova, die im Halbfinale gegen die Nummer eins der Welt, Steffi Graf, gesiegt hatte.

Monica Seles und der bitterste Tag im Tennis

Die Karrieren von Seles und Capriati nahmen im Anschluss unterschiedliche Verläufe an, beide jedoch äußerst dramatische. Seles holte sich durch ihren Sieg die Nummer eins der Welt zurück, die sie bereits von März bis zum Beginn der US Open innehatte; sie blieb bis zu jenem tragischen Tag in Hamburg an der Spitze, als der fanatiasche Steffi-Graf-Fan Günter Parche sie niederstoch . Seles kam zweieinhalb Jahre später zurück auf die Tour, ließ ihren acht Grand-Slam-Siegen jedoch "nur" noch einen folgen - bei den Australian Open 1996 mit einem Finalsieg gegen Anke Huber. Ihr letztes Match spielte Seles bei den French Open 2003, nach denen sie aufgrund von anhaltenden Fuß- und Rückenproblemen eine Pause einlegte. Die 2007 gehegten Pläne um ein Comeback fanden 2008 ein Ende, als sie von ihrem Manager den finalen Rücktritt bekanntgeben ließ.

Jennifer Capriati dreht im zweiten Anlauf auf

Jennifer Capriati feierte ihren größten Sieg ein Jahr nach dem US-Open-Halbfinale, als sie die Olympischen Spiele in Barcelona gegen Steffi Graf gewann. Nach den US Open 1993, wo sie in Runde eins gegen Leila Meshki verlor, legte Capriati eine Pause ein. Der Druck, endlich ihr erstes Major-Turnier zu gewinnen, hatte überhand genommen; Capriati brach unter anderem darunter zusammen , bekam wegen Diebstahls Probleme mit der Justiz und wurde im März 1994 wegen Marihuana-Besitzes verhaftet. Ein Comeback-Versuch im November 1994 endete mit einer Erstrunden-Niederlage gegen Anke Huber, erst Anfang 1996 kam Capriati wieder Vollzeit auf die Tour zurück, wo sie die nächsten Jahre nicht mehr an ihr früheres Niveau anknüpfen konnte.

Bis zum Jahr 2000: Hier erreichte sie das Halbfinale der Australian Open und verbesserte sich bis zum Ende des Saison auf Rang 14 der Welt. Ihr Tennis-Märchen komplettierte sie 2001 mit dem Gewinn der Australian Open und der French Open; in Melbourne triumphierte sich auch 2002, als sie in einem dramatischen Finale gegen Martina Hingis nach Abwehr von vier Matchbällen siegte. Am 15. Oktober erreichte sie zudem die Topposition der Weltrangliste. Ihr letztes Profi-Match bestritt Capriati im November 2004, danach streiken Rücken und Schulter. Comeback-Gerüchte machen bis heute die Runde - so plante Capriati offenbar, bei den US Open 2014 teilzunehmen . Kurze Zeit später tauchte ein entsprechendes Trainingsvideo auf . Zu einem Comeback kam es jedoch bislang nicht.

von Florian Goosmann

Freitag
02.09.2016, 17:29 Uhr