French Open 2020: Zverev und Ferrer - "Der Trainer, der mich am besten versteht"
Die French Open 2020 sind das erste Turnier, das Alexander Zverev und David Ferrer als Spieler-Coach-Gespann gemeinsam bestreiten. Vor nicht allzu langer Zeit hat Zverev seinen nunmehrigen Trainer in die Rente verabschiedet.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
01.10.2020, 12:23 Uhr
Der 19. Juli 2014 gehört nicht zu den Tagen, an die sich Alexander Zverev gern zurückerinnert. Er war gerade 17 Jahre damals, er stand nach einem mehr als erstaunlichen Siegeslauf plötzlich im Halbfinale am heimischen Hamburger Rothenbaum, und er war beim sommerlichen German-Open-Spektakel erstmals so richtig ins Blickfeld der deutschen Sportfans gerückt. Zu dumm nur, dass der Newcomer in der Runde der letzten Vier dann auf einen gewissen David Ferrer traf, einen Veteranen der Tennistour, einen der besten Sandplatzspieler der jüngeren Zeit. Zverev bekam eine kostenlose Lehrstunde, er gewann ein einziges Spiel, am Ende, nach einem flüchtigen, 56-minütigen Auftritt, leuchtete ein 6:0, 6:1-Sieg für den Spanier auf der Anzeigetafel auf. „Er hat mich vernichtet “, sagt Zverev über das zweifelhafte Vergnügen vor gut sechs Jahren, „er spielte mich ruckzuck vom Platz weg, wie nichts.“
Die Gegner von einst sind die Verbündeten im Hier und Jetzt. Wenn Zverev in diesen Tagen im Pariser Stadion Roland Garros aufschlägt, bei den French Open 2020, dann ist der spanische Altmeister Ferrer als coachender Stratege an seiner Seite. Erstmals schaut Ferrer dem Weltranglisten-Siebten bei einem Turnier nun auch vor Ort über die Schulter, bei den US Open war er wegen der streng limitierten Zugangsbeschränkungen noch zuhause geblieben. „Ein großer Spaß“ sei die frische Allianz mit Zverev, sagt Ferrer, „und eine große Ehre.“ Zverev, so Ferrer, „ist ein Mann, dem alle Türen offen stehen.“
Sportliche Achterbahnfahrt für Zverev und Ferrer
Am Mittwochabend erlebte und durchlebte Ferrer genau wie Zverev selbst eine sportliche Achterbahnfahrt, einen vierstündigen Marsch durch alle Höhen und Tiefen, ehe das Vorrücken des Deutschen in die dritte Runde nach einem 2:6, 6:4, 7:6 (5), 4:6, 6:4 über den Franzosen Pierre-Hugues Herbert feststand. Ferrer hatte dabei ganz andere Orientierungsschwierigkeiten als der zuweilen irrlichternde Zverev: Der 38-jährige Übungsleiter verlief sich mehrfach, bevor er seinen Beobachtungsposten auf dem Centre Court einnehmen konnte. „Ich dachte eigentlich, ich kenne alle Wege hier“, schmunzelte Ferrer, „aber bisher war ich eben nur auf den Courts zuhause.“
Dort war Ferrer einer jener Männer, die man zu keinem Zeitpunkt als Gegner zugelost bekommen wollte. Den prägendsten, liebevoll gemeinten Spitznamen für den Marathon-Mann mit den flinken Beinen erfand einst TV-Experte Brad Gilbert – der frühere Topprofi verlieh ihm den Titel „Das kleine Biest“. Ferrers Namen schrieb Gilbert in seinen berühmt-berüchtigten Tweets dabei „Ferrrerrr“ aus, angeblich, um die besondere Grimmigkeit des Musterathleten auszudrücken.
Ferrer als unüberwindlicher Block
Und tatsächlich: Mit seinen 1,75 Metern lehrte der Unermüdliche die körperlich Größeren und physisch insgesamt Stärkeren regelmäßig das Zittern. Ferrer brachte immer noch einen weiteren, einen letzten Ball übers Netz. Oder er lief den Mann von der anderen Seite des Netzes einfach in Grund und Boden. „Ich hatte immer eine optimistische Grundeinstellung, wenn ich auf den Platz ging. Ich glaubte stets an meine Chance“, sagt der Spanier. Japans Ass Kei Nishikori sagte ehedem, Ferrer sei wie „die chinesische Mauer“ - „unüberwindbar, ein mächtiger Block.“ Tommy Haas, Zverevs Vorgänger als langjährige Nummer 1 in Deutschland, nannte Ferrer „eine menschliche Ballmaschine, höchst effektiv und präzise.“ Bei den US Open einst an Ferrer gescheitert, grummelte Haas: „Der Kerl ist völlig verrückt.
Ferrer stand in anderthalb Jahrzehnten als Profi oft im Schatten der Branchenstars, daheim in Spanien klaute ihm Matador Rafael Nadal die Schlagzeilen. Aber mit seiner Attitüde des Niemals-Aufgebens erwarb sich der Schwerstarbeiter einhellig die Anerkennung seiner Kollegen. Der große kleine Mann hatte allerdings auch seine speziellen Momente, ganz besonders in den Jahren 2012 bis 2014, zwischenzeitlich sprang er damals bis auf Platz 3 der Weltrangliste vor. 2013 stand er im French Open-Finale, verlor gegen Nadal. Spät in seiner Laufbahn modellierte Ferrer sein Spiel um, vom reinen Abwehrkünstler und Dauerläufer wurde er zum durchaus gefürchteten Allrounder. „Was ihn stets auszeichnete“, sagt der alte Weggefährte Nadal, „ist sein Arbeitsethos. Er gab nichts verloren, keinen Punkt, keinen Satz, kein Match. Er brachte immer das Bestmögliche an jedem Tag.“
Nachfolger von Ferrero und Lendl
Zverev hat seinen neuen Partner bereits in höchsten Tönen gelobt, eher sogar geadelt. „Er ist der Trainer, der mich am besten versteht. Und mit dem ich mich am besten verstehe“, sagt der 23-jährige, der immerhin schon zwei Weltranglisten-Erste beschäftigte, Juan Carlos Ferrero (Spanien) und den exilierten Amerikaner Ivan Lendl. „Kampfschwein“ nannte Boris Becker am Mittwoch den unverdrossenen Zverev, der gegen Herbert wieder einmal einen Satzrückstand wettmachte – mit dem inzwischen gefürchteten lakonischen Auftreten. Ferrer dürfte es als größtmögliches Kompliment für seinen deutschen Boss empfunden haben, dem er selbst bescheinigt, „dass er große Fortschritte bei seiner Haltung auf dem Platz macht: „Er akzeptiert viel besser die schwierigen Situationen, die es in einem Match gibt. Und macht einfach weiter.“
Zverev, so Ferrer, suche nach Lösungen und kreiere „keine neuen Probleme.“ Ganz so, wie es der Spanier will: „Mein Ziel ist, immer eine Atmosphäre der Positivität zu schaffen. Dass Sascha gute Gedanken hat.“ Die wird er auch brauchen in Runde drei, gegen den Italiener Marco Cecchinato – der stand 2018 schon einmal im Pariser Halbfinale. Und hatte auf dem Weg dorthin auch Novak Djokovic geschlagen.
Hier das Einzel-Tableau bei den French Open