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French Open 2021: Die seelenlose, denkwürdige Nachtshow des Roger Federer

Roger Federer hat bei den French Open 2021 in einem spektakulären Dritt-Runden-Match Dominik Koepfer besiegt. Es könnte die letzte Partie des Maestro in Roland Garros überhaupt gewesen sein.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 06.06.2021, 12:34 Uhr

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Roger Federer - letzter Auftritt in Roland Garros?
© Getty Images
Roger Federer - letzter Auftritt in Roland Garros?

Es war genau eine halbe Stunde nach Mitternacht, als in London ein prominenter Tennis-Zuschauer einige Worte in sein Smartphone tippte und dann auf Twitter absetzte. Es ging um die French-Open-Partie zwischen Roger Federer und seinem deutschen Herausforderer Dominik Koepfer, die in diesem Moment auf die Zielgerade einbog, nach schon mehr als dreistündigem, erbitterten Kampf. Der Ausgang des Spiels interessiere ihn nicht, verkündete der dreimalige Grand Slam-Champion und zweifache Olympiasieger Andy Murray, aber die Art und Weise, wie ein 39-jähriger nach zwei Knieoperationen um 0.30 Uhr in einem menschenleeren Stadion um einen Sieg kämpfe, sei eine „Inspiration“ für ihn. 18 Minuten nach dieser vieltausendfach geteilten Murray-Botschaft gewann Federer die ebenso denkwürdige wie dubiose Nachtshow, 7:6 (5), 6:7 (3), 7:6 (4) und 7:5 leuchtete als Schlussabrechnung auf den großen Anzeigetafeln des Center Court auf. „Wie ein angeschlagener Boxer“ sei er über die Ziellinie getaumelt, gab Federer später, noch tiefer in der Nacht, zu Protokoll: „Am Ende geht es nur über Adrenalin und Emotionen.“

Federer hat in den letzten 23 Jahren Dutzende, Hunderte von Spielen gewonnen. Es gab unscheinbare Siege, wichtige Siege, strahlende Siege, triumphale Siege. Aber einen Sieg wie den gegen Koepfer, der am 5. Juni begann und um 0.48 Uhr am 6. Juni endete, gab es noch nie für Federer. Federer siegte ohne das, was Tennis für ihn ausmacht – Fans, ein gefülltes Stadion, Atmosphäre und das sichere, selbstverständliche Gefühl, „um etwas zu spielen.“ Stattdessen erlebte er bei seinem 1246. Sieg als Berufsspieler eine seelenlose Spätvorstellung, ein Geisterspiel, das bis in die Geisterstunde hineinreichte. Federer ist keiner, der sich über die Mechanismen des Geschäfts beschwert, er weiß, dass diese Nachtshows in einem beinahe menschenleeren Stadion ein Diener vor den TV-Interessen sind, aber eben auch eine unverzichtbare Geldquelle für die von der Corona-Pandemie heftig gebeutelten Veranstalter. Was nichts daran änderte, dass er sich zeitweise orientierungslos fühlte in dieser kalten Grand Slam-Welt: „Ich musste mich antreiben und versuchen, an die Menschen zu denken, die das jetzt vor dem Fernseher verfolgen“, sagte Federer, „und ich erinnerte mich auch an den Traum, den ich als Kind hatte, nämlich einmal auf diesem Centre Court zu stehen.“

Federer mit Blick auf Wimbledon

Federers Mission in Paris dürfte mit den fast vierstündigen, auszehrenden Rutschübungen unter den Flutlichtstrahlern beendet sein. Alle Zeichen deuteten zur Mitte des Grand Slam-Spektakels auf einen Rückzug des Maestro, dessen Partie gegen Koepfer erst die sechste bei seinem Verletzungscomeback in dieser Spielserie war. Roland Garros hatte er stets nur als Durchgangsstation betrachtet, als Gelegenheit, Matchpraxis für die anstehende Rasensaison zu sammeln. Eine knappe Stunde nach dem grimmigen Sieg gegen Koepfer sagte der 39-jährige Veteran bereits, er müsse sich daran erinnern, „wofür ich hierher gekommen bin, was mein Ziel ist.“ Und gab sich dann gleich die Antwort hinterher: „Das Ziel ist nicht, die French Open zu gewinnen.“

Nicht weil er es nicht wollte, sondern weil es unrealistisch wäre. Schon in der nächsten Partie gegen den draufgängerischen, formstarken Italiener Matteo Berrettini (Weltrangliste: 9) hätte Federer als klarer Außenseiter gegolten, zumal nach der Marathon-Strapaze im Spiel gegen Koepfer. „Für was soll ich ein Risiko eingehen, wenn ich es nicht muss“, sagte der von den Anstrengungen gezeichnete Federer. Im Blick hatte der 20-malige Grand Slam-Champion da bereits seinen kommenden Auftritt beim ATP-Turnier in Halle (ab 14. Juni), der einzigen Chance für ihn, sich unter Wettkampfbedingungen auf Wimbledon einzuspielen. „Dort muss ich topfit sein. Dort will ich um den Titel spielen. Auf Sieg“, sagte Federer.

Koepfer kassiert Strafpunkt

Koepfer, den gedrungene, bullige Kämpfer aus dem Schwarzwald, hatte sein Jugendidol bis ans Limit gefordert in den langen, einsamen Stunden auf dem Centre Court. Bei 1:1-Satzgleichstand führte der Deutsche im dritten Durchgang mit Break, doch Federers Entfesselungsaktion konnte er nicht verhindern. Anfang des vierten Satzes handelte sich Koepfer sogar einen Strafpunkt ein, als er auf die andere Seite des Platzes marschiert war, einen umstrittenen Ballabdruck kontrolliert und dann noch wütend in den Sand gespuckt hatte. Es war eine Fußnote im größeren Drama dieses erstaunlichen, erinnernswerten Spiels, von dem sich Federer gegenüber den wenigen Zuschauern so verabschiedete: „Danke, dass ihr alle nicht eingeschlafen seid.“

Jan-Lennard Struff setzte derweil seinen Erfolgszug fort und rückte mit einem beachtlich souveränen 6:4, 7:6, 6:2-Sieg über den spanischen Teenager Carlos Alcaraz zum zweiten Mal ins French Open-Achtelfinale ein. Der 31-jährige Sauerländer trifft dort auf den argentinischen Flitzer Diego Schwartzman, der am Samstag Philipp Kohlschreiber mit 6:4, 6:2 und 6:1 ausgeschaltet hatte. „Ich gehe mit dem Gefühl auf den Platz, dass ich gewinnen kann. Dass hier noch mehr geht für mich“, sagte Struff. 

Hier das Einzel-Tableau bei den French Open

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