French Open 2022: Carlos Alcaraz - der steile Aufstieg von "Carlito"
Carlos Alcaraz spielt am morgigen Dienstag bei den French Open 2022 gegen Alexander Zverev um den erstmaligen Einzug in das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers. Der Aufstieg des spanischen Teeangers in die Weltspitze ging rasant vonstatten.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
30.05.2022, 15:39 Uhr
Was ihn an Carlos Alcaraz am meisten verblüffe, wurde Mats Wilander dieser Tage einmal gefragt. Da mußte der ehemalige Weltranglisten-Erste und siebenmalige Grand-Slam-Champion nicht lange überlegen: „Das Selbstverständnis, mit dem er sich auf der großen Bühne bewegt“, sagte der 57-jährige Schwede, ein geschätzter TV-Experte, „es wirkt bei ihm alles so, als ob er sich seit vielen Jahren in der Weltspitze bewegen würde.“ Wilander kennt sich aus in diesen Angelegenheiten, als er 1982 den ersten von drei Titeln im Stade Roland Garros gewann, war er gerade einmal 17 Jahre alt.
Alcaraz, der Mann, der Alexander Zverev am Dienstag im Viertelfinale der French Open gegenüberstehen wird, ist – genau genommen – noch ein Newcomer. 2022 ist erst die zweite Saison, die er im großen Tourtennis absolviert. Doch was für eine Saison ist das für den kürzlich 19 Jahre alt gewordenen Spanier: Als er zu den Grand Slam-Rutschpartien unterm Eiffelturm anreiste, hatte er bereits vier Titel im Gepäck, zwei davon auf Masters-Niveau. Beim Topwettbewerb in Madrid schlug er Anfang Mai auf dem Weg zum Pokalcoup hintereinander die Großmeister Rafael Nadal und Novak Djokovic – um dann im Finale Zverev ganze vier Spiele beim 6:3, 6:1 zu gewähren. In gespielter Demut, aber keineswegs ganz falsch im Kern erklärte Zverev damals: „Er ist der beste Spieler der Welt im Moment.“
Alcaraz mit dem besten Punkteschnitt auf der Tour
Alcaraz´ schneller Aufstieg dokumentiert seine außergewöhnliche Klasse: Vor zwei Jahren pendelte er noch auf Plätzen jenseits der 300 in der Weltrangliste herum, 2021 brach er im Frühling gerade unter die Top 100 durch. Nun wird er wie selbstverständlich als Top Ten-Spieler geführt, Platz 6 in der Bestenwertung weist ihn als einen der engsten Verfolger der ganz großen Branchennamen aus. In der Jahreswertung 2022 hat Alcaraz sogar bei nur sieben gespielten Turnieren den besten Punkteschnitt, besser noch als die vor ihm liegenden Konkurrenten Nadal und Stefanos Tsitsipas (Griechenland). Woran viele Kollegen zeit ihrer Karriere hartnäckig scheitern, hat der bullige, gedrungene Alcaraz schon früh erreicht: Konstanz auf hohem, sogar höchstem Niveau. Und praktisch keine Aussetzer bei der heraufordernden Tingeltour über Kontinente und durch Zeitzonen.
Alcaraz hatte sich ähnlich früh wie sein Landsmann Nadal die nötige Wettkampfhärte bei kleineren Turnieren geholt- gegen viel ältere, erfahrenere Gegner. Sein Spiel wirkt ausgereift, variabel, kreativ. Man merkt ihm die Schule seines Trainers Juan Carlos Ferrero an, der es als Profi auf Platz eins und auch auf den French-Open-Thron brachte.Ferrero und Alcaraz verbindet die Abneigung zu eintönigem Bumm-Bumm-Tennis von der Grundlinie, das Nein zu einer Haltung, die nur auf Geschwindigkeit und Kraft setzt. Und trotzdem gilt auch dies: Kaum einer im gesamten Tenniszirkus kann so gewaltig auf den Ball einprügeln wie Alcaraz, wenn der es denn will und für geboten hält. „Unmenschlich“ sei der Druck, den „Carlito“ ausüben könne, wurde selbst Djokovic kürzlich zitiert, „da kannst du dir vorkommen wie ein Sandsack.“
Keine leichten Partien gegen Korda und Khachanov
Alcaraz erscheint auch nervlich gefestigt genug, um schon früh Grand-Slam-Erfolge ernsthaft ins Auge fassen zu können. Immer wieder entfesselte er sich in dieser Saison bei Toppartien aus Bedrängnis und Not, gewann ein ums andere Mal die alles entscheidenden Big Points. Als er in der zweiten French Open-Runde gegen seinen ausgebufften Landsmann Albert Ramos Vinolas einen Matchball abzuwehren hatte, tat er es ohne Anflug von Panik und Hektik. In jenem Spiel holte er auch noch ein 0:3-Defizit im fünften Satz auf. Seitdem geriet er bei diesen French Open überhaupt nicht mehr in Bedrängnis und siegte in den keineswegs leichten Partien gegen den Amerikaner Sebastian Korda und den Russen Karen Khachanov ohne Satzverlust.
Auch Zverev wird das Selbstbewusstsein des jungen Spaniers zu spüren bekommen, der mit viel Rückenwind in die zugespitze Turnierphase hineinsegelte. Der Olympiasieger lamentierte leicht vergrätzt nach seinem glanzlosen Achtelfinalerfolg über Bernabe Zapata Miralles, Alcaraz erhalte in Paris eine unangemessene Vorzugsbehandlung, er habe bisher zu oft auf dem Centre Court gespielt. Die „anderen Spieler“, so Zverev, würden zu oft links liegen gelassen. Um selbst zur besten Sendezeit auf den besten Courts aufzuscheinen, muss Zverev allerdings am besten eins tun: Alcaraz schlagen.
Hier das Einzel-Tableau in Roland Garros