Als Hendrik Dreekmann seine große Chance nicht nutzte
Wir blicken auf den Sensationslauf von Hendrik Dreekmann bei den French Open 1994 zurück, der mit einem bitteren Aus enden sollte.
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
01.06.2014, 17:18 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel
Es ist ein Stück deutsche Tennisgeschichte, die sich vor 20 Jahren, am 1. Juni 1994, auf dem Court Central im Stade Roland Garros in Paris abspielte. Der 19-jährige Hendrik Dreekmann war kurz davor, als dritter deutscher Herrenspieler in der Open Era nach Boris Becker und Michael Stich ins Halbfinale der French Open einzuziehen. Doch Dreekmann konnte keinen seiner sechs Matchbälle im Viertelfinale gegen den Schweden Magnus Larsson nutzen und schied aus. tennisnet.com blickt auf das French-Open-Turnier zurück, das Dreekmanns Karriere definieren sollte.
Kein Sieg in der Vorbereitung
Acht deutsche Herren standen im Jahr 1994 im Hauptfeld der French Open. Boris Becker fehlte in jenem Jahr wegen einer Verletzung. Angeführt wurde das deutsche Kontingent von Michael Stich, der als Nummer zwei der Weltrangliste ins Turnier ging. Von Stich versprachen sich die deutschen Fans einiges in Paris. Denn der Elmshorner hatte in der Vorbereitung auf die French Open das Turnier in München gewonnen sowie mit dem deutschen Team beim World Team Cup triumphiert. Dort hatte Stich unter anderen den Weltranglisten-Ersten Pete Sampras und den späteren French-Open-Sieger Sergi Bruguera bezwungen. Doch Stich konnte die Erwartungen nicht erfüllen und schied in der zweiten Runde gegen den US-Amerikaner Aaron Krickstein glatt in drei Sätzen aus.
Die deutschen Farben in Paris musste nun jemand anderes hochhalten. Und es war nicht Marc-Kevin Goellner , Carl-Uwe Steeb oder Bernd Karbacher , der dies tat, sondern ein Spieler, den keiner auf dem Zettel hatte - der 19-jährige Hendrik Dreekmann. Der Bielefelder ging als Nobody ins Turnier und präsentierte sich in den Tagen von Paris dem weltweiten Sportpublikum. In der Vorbereitung auf die French Open hatte Dreekmann bei fünf Sandplatzturnieren (vier ATP-Turniere und ein Challenger) keinen einzigen Sieg eingefahren. Der 19-Jährige startete als Nummer 89 der Weltrangliste und ohne viel Selbstvertrauen in sein zweites Grand-Slam-Turnier und seine ersten French Open.
"Henner" spielt sich in die öffentliche Wahrnehmung
Die Auslosung meinte es jedoch gut mit dem Teenager. In der ersten Runde traf Dreekmann auf den rumänischen Qualifikanten Adrian Voinea . Dreekmann besiegte Voinea in vier Sätzen und feierte seinen ersten Erfolg bei einem Grand-Slam-Turnier. Voinea hatte übrigens ein Jahr später in Paris ebenfalls einen Sensationslauf, der mit einem Sieg über Boris Becker bis ins Viertelfinale ging. Doch zurück zu Dreekmann. In der zweiten Runde sorgte der Bielefelder dann für größere Schlagzeilen, in dem er den spanischen Sandplatzwühler Carlos Costa , damals Nummer 15 der Welt und heute Manager von Rafael Nadal , in drei Sätzen aus dem Turnier nahm. Es folgte in der dritten Runde eine Energieleistung. Dreekmann gewann gegen den US-Amerikaner Richey Reneberg nach 0:2-Satzrückstand sein erstes Fünfsatzmatch.
In der zweiten Woche bei einem Grand-Slam-Turnier trennt sich die Spreu vom Weizen - Dreekmann war mittendrin im großen Grand-Slam-Geschäft. Im Achtelfinale zeigte der 19-Jährige seinem Landsmann Stich, wie man Aaron Krickstein besiegt - und zwar glatt in drei Sätzen. Nach diesem klaren Erfolg gegen den US-Amerikaner stieß Dreekmann ins Viertelfinale vor. Neben der deutschen Presse nahmen nun auch die internationalen Journalisten Notiz vom Bielefelder. Im Überraschungsviertelfinale wartete der 24-jährige Schwede Magnus Larsson, zum damaligen Zeitpunkt die Nummer 46 der Weltrangliste. Dreekmann machte im Viertelfinale auf dem Court Central im Stade Roland Garros dort weiter, wo er aufgehört hatte - mit Sandplatztennis vom Allerfeinsten und seiner starken Vorhand. Den ersten Satz gewann "Henner", wie der Deutsche genannt wurde, mit 6:3.
Larsson denkt bereits an seine Wäsche
Nachdem auch der zweite Satz im Tiebreak mit 7:1 an den Deutschen ging, war die Tür zum Halbfinale weit aufgestoßen. Dreekmann spielte seinen Stiefel herunter und legte im dritten Satz immer mit seinem Aufschlag vor. Als der Deutsche sein Aufschlagspiel zum 5:4 durchbrachte, war der Einzug ins Halbfinale zum Greifen nahe. Erst recht, als Dreekmann wenig später bei Larssons Aufschlagspiel 15:40 und somit zwei Matchbälle hatte. Doch dann nahm das Unheil seinen Lauf. Mit zwei starken Aufschlägen wehrte der Schwede die Matchbälle ab und schaffte den Ausgleich. "Er hat richtig gut gespielt. Ich hatte keine Chance. Er hat die ganze Zeit den Ball im Aufsteigen genommen. Ich habe mich überhaupt nicht wohl auf dem Platz gefühlt, aber bei 5:4, 15:40, wenn du dein Aufschlagspiel hältst, bist du immer noch im Match", kommentierte der schlaksige Schwede hinterher.
Dreekmann brachte sein anschließendes Aufschlagspiel durch und hatte bei 6:5-Führung seinen dritten Matchball, den Larsson mit einem Ass zunichtemachte. Es folgte Matchball Nummer vier für den Deutschen, was sich später als die größte Chance herausstellte. Larsson musste über den zweiten Aufschlag gehen, Dreekmann attackierte diesen und wurde vom Schweden mit dessen Vorhand passiert. Den fünften Matchball wehrte Larsson erneut mit seiner Vorhand ab, um anschließend Dreekmann mit einem Doppelfehler Matchball Nummer sechs zu geben. "Ich habe darüber nachgedacht, dass ich meine Wäsche abgegeben habe und ich diese nicht vor dem nächsten Tag zurückbekommen würde. Daher war es besser, dass ich noch etwas bleibe", scherzte Larsson nach dem Match. Den sechsten Matchball wehrte Larsson mit einem starken Aufschlag ab und rettete sich schließlich mit einem Ass in den Tiebreak.
"Ich hätte nichts tun können"
"Ich denke nicht, dass ich einen Fehler auf dem Platz gemacht habe, weil er unglaublich aufgeschlagen hat. Ich hatte keine Chance, den Punkt zu machen. Ich hätte nichts tun können", erklärte Dreekmann später. Es kam, wie es kommen musste. Larsson gewann den Tiebreak mit 7:3, verkürzte in den Sätzen. Dreekmann und sein Spiel brachen komplett ein. Larsson brauchte nur 43 Minuten, um die Sätze vier und fünf mit 6:0, 6:1 zu gewinnen. "Bei 3:0 im vierten Satz war mein Gedanke, dass ich den Satz abhaken sollte, um mich auf den fünften Satz zu konzentrieren. Aber das hat nicht funktioniert. Ich wusste nicht, was ich machen sollte nach dem dritten Satz. Ich habe nur über die sechs Matchbälle, die ich hatte, nachgedacht. Und dann war der vierte Satz vorüber." Larsson brauchte nur den Ball im Spiel zu halten und auf die Fehler des Deutschen zu warten.
Dabei hätte es noch etwas schlimmer kommen für Dreekmann. Im fünften Satz verkürzte er auf 1:3, nachdem er zuvor einige Breakbälle abwehren konnte. Der 19-Jährige ließ sich nach dem gewonnen Aufschlagspiel von den Zuschauern feiern und entging somit einem weiteren 0:6. "Ich muss zugeben, dass ich sehr viel Glück hatte. Ich hatte all das Glück, das man bei solchen Dingen braucht. Ich habe nicht daran gedacht, das Match zu gewinnen. Ich wollte einfach meinen letzten Punkt im Turnier gut zu Ende spielen", gestand Larsson nach seinem unverhofften Einzug ins Halbfinale.
Pizzeria und Heirat mit Susen Tiedtke
Dreekmann wäre im Falle des Sieges im Halbfinale auf einen weiteren ungesetzten Spieler getroffen, auf den Spanier Alberto Berasategui , der im Halbfinale dann Larsson glatt in drei Sätzen bezwingen konnte. Während Larsson nach dem denkwürdigen Viertelfinale bei den French Open fortan eine gute Karriere hinlegte (sieben Titel, Nummer zehn der Welt), musste sich Dreekmann mit viel weniger zufrieden geben. Nach dem bitteren Aus bei den French Open kassierte der Deutsche im Anschluss sechs Auftaktpleiten in Folge. Dreekmann versank im Mittelmaß. Ihm wurde vorgeworfen, sein Talent zu verschleudern. Die Karriere-Bilanz des Ostwestfalen: Platz 39 in der Weltrangliste und zwei Finalteilnahmen bei ATP-Turnieren.
Dreekmann trat 1999 aufgrund von Verletzungen schon recht früh zurück und eröffnete eine Pizzeria. 2002 startete er sein Comeback und brachte selbst Roger Federer beim Rasenturnier in Halle/Westfalen an den Rand einer Niederlage. Doch viel mehr außer der Heirat mit Weitspringerin Susen Tiedtke war vom talentierten Deutschen nicht mehr zu vernehmen. Dreekmann war der Anfang von deutschen Spielern, die trotz guter Aussichten im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers tragisch scheiterten und folglich oft etwas despektierlich als "Dreekmänner der Nation" bezeichnet werden sollten .