French Open: Philipp Kohlschreiber - Das starke Lebenszeichen des Veteranen
Philipp Kohlschreiber zeigte mit seinem Sieg über Aslan Karatsev, dass nach wie vor mit ihm zu rechnen ist. In der dritten Runde trifft der Deutsche nun auf Diego Schwartzman.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
04.06.2021, 19:13 Uhr

Es war im Frühling 2020, in der ersten Welle der Corona-Pandemie, als Philipp Kohlschreiber (37) beschloss, sich erst mal aus der Tretmühle des Tourbetriebs zu verabschieden. Der Spaß am Tennis war ihm sowieso schon länger verlorengegangen: Der Körper spielte Mitte Dreßsig nicht mehr mit, es zwickte an allen Ecken und Enden, besonders die Hüften bescherten dem altgedienten Nomaden heftige Schmerzen. Kohlschreiber, eine feste Größe in Tennis-Deutschland seit anderthalb Jahrzehnten, verschwand von der Bildfläche, aus der öffentlichen Wahrnehmung, man wusste gar nicht mehr so recht, ob er nun noch Tennisprofi war – oder auch nicht. Er war es dann zwar noch, aber nach einem halbjährigen Sabbatical hatte der Augsburger zwar wieder zu Fitness gefunden, zu mehr aber auch nicht. „Tiefschläge“ habe er serienweise dann wieder ab dem Herbst einstecken müssen, sagt Kohlschreiber, „es war eine Zeit, die nicht sehr angenehm war.“
Lange hat Kohlschreiber auf einen Moment warten müssen, der ihm wieder wirklich Selbstvertrauen bescheren könnte. Auf der großen Tour verlor er tatsächlich sogar seit Februar 2020, dem Turnier in Dubai, jedes seiner Spiele – stets musste er nach der ersten Runde schon wieder seine Tennistaschen zusammenpacken. „Ich bin viele Abende in ein Hotelzimmer gekommen und war einfach unglücklich“, sagt Kohlschreiber. Es half ihm zwar, dass er bei kleineren Challenger-Turnieren einige Erfolgserlebnisse hatte. Aber auf den größeren Bühnen zog er regelmäßig enttäuscht von dannen, im Frühling rutschte er erstmals seit 2006 wieder aus den Top 100 heraus (aktuell: 132). Das wiederholte Scheitern nagte an ihm, so sehr, dass er zum ersten Mal ernsthafter ans Aufhören dachte. Vor kurzem, am Rande des Neckar Cup in Heilbronn, meinte Kohlschreiber, wenn die Saison 2021 unbefriedigend verlaufe, könnte es dann auch die letzte gewesen sein. „Man muss sehen, wie es für mich läuft“, so Kohlschreiber.
Siege über Verdasco und Karatsev
Und nun das. Die French Open 2021. Das Turnier, bei dem der ehemalige Top 20-Spieler schon zweimal ins Achtelfinale vorgerückt war. Das Turnier, das ihn nun möglicherweise doch noch auf eine versöhnlichere Schlussetappe seiner langen, wechselvollen Karriere schicken könnte. Erst siegte Kohlschreiber zum Auftakt im Ü35-Duell gegen den Spanier Fernando Verdasco, dann gelang ihm ein mehr als beachtlicher, fast schon sensationeller Vier-Satz-Sieg gegen den Australian Open-Halbfinalisten Aslan Karatsev (Russland). Auf Außenplatz 7 wirkte es so, als habe Kohlschreiber wieder den alten Weltklassespieler in sich geweckt, einen Mann, der in seiner Laufbahn nur zu gern die Favoriten stolpern ließ und ihnen jede Menge Kopfschmerzen bereitete. „Es braucht manchmal einfach so ein Spiel, in dem es Klick macht“, befand TV-Experte Boris Becker, „Kohlschreiber ist immer noch ein großartiger Spieler. Und er wirkt richtig fit und drahtig.“
Dabei war Kohlschreiber, der gebürtige Ausgsburger, nur einer unter vielen deutschen Siegertypen, schließlich rückten (neben dem bereits dreimal siegreichen Alexander Zverev) auch noch der Schwarzwälder Dominik Koepfer und der Sauerländer Jan-Lennard Struff am Donnerstag in die dritte Runde vor – das beste DTB-Ergebnis seit 1993, damals hatten sogar fünf Spieler die dritte Runde erreicht (Michael Stich, Marc-Kevin Goellner, Carl-Uwe Steeb, Bernd Karbacher, Patrik Kühnen). Koepfer durfte sich über eine Traumverabredung mit Maestro Roger Federer freuen, Struff erwartete die prickelnde Partie gegen den als Nadal-Erben gehandelten 18-jährigen Spanier Carlos Alcatraz. Und Kohlschreiber wartete auf Diego Schwartzman, den Weltranglisten-Zehnten aus Argentinien, einen unermüdlichen Flitzer mit dem Hang zu Marathonmatches im Sand. „Viele Ballwechsel, viel Tennis, viel Maloche“, prophezeite sich Kohlschreiber da.
Kohlschreiber ohne Angst vor der Karriere danach
Der Veteran hat keine Angst, irgendwann seinem Sport Lebwohl zu sagen. Dem Sport, der sein Leben in den letzten drei Jahrzehnten diktierte. Als er sich 2020 die nötige Auszeit genommen hatte, genoss er das ungezwungene, freischwebende Dasein. Keine Verpflichtungen, kein Druck, kein Leben nach Terminkalender. Stattdessen mehr Zeit mit seiner Frau Leni, Zeit auch, um sich um den Baufortschritte seines Hauses im Münchner Süden zu kümmern. Zeit, um in den Tag hineinzuleben. „Ich bin auch ohne Tennis gut klargekommen“, sagt Kohlschreiber, „ich werde sicher nicht in ein tiefes Loch fallen, wenn ich nicht mehr auf der Tour unterwegs bin.“
Kohlschreiber hat seinen Ehrgeiz. Er sucht stets nach der guten Performance, er geht auf den Platz, „weil ich heute noch so gewinnen will wie am ersten Profitag. Das ist in meiner DNA so drin.“ Aber die absolute Verbissenheit, der fanatische Erfolgsdrang sind gewichen auf seine alten Tage. Kohlschreiber will „alles geben“, aber sein Beruf, sein Sport – er soll ihm vor allem auch Spaß machen, ein gutes Gefühl geben. In Paris passt gerade alles zusammen bei ihm, der Erfolg, die Freude am Spiel, auch wieder die Lebenszeichen von den Fantribünen. „Es ist ein schönes Turnier, aus vielen Gründen“, sagt Kohlschreiber. Ein Turnier, bei dem seine Mission noch nicht am Ende ist.
Hier das Einzel-Tableau in Roland Garros