Pro Thiem - oder pro Nadal?
Wird Rafael Nadal am Sonntag um seinen zehnten Titel bei den French Open spielen? Oder zieht Dominic Thiem als zweiter Österreicher in das Finale eines Grand-Slam-Turniers ein? Ein kleines Pro und Contra.
von Björn Walter/Jens Huiber, Björn Walter
zuletzt bearbeitet:
08.06.2017, 11:10 Uhr
Von Björn Walter
Contra: Thiem kann den Everest nicht bezwingen
Dominic Thiem hat mit dem Sieg gegen Novak Djokovic einen 8000er bestiegen. Dass er nun auch noch Rafael Nadal, den Mount Everest unter den Sandplatzspielern, bezwingt, kann ich mir nur schwer vorstellen. Die Begründung lieferte Thiem gleich selbst: Nach seinem Triumph gegen den "Djoker" freute er sich darüber, jeden der "Big Four" nun mindestens einmal bezwungen zu haben. Fügte aber umgehend hinzu, dass ihm bisher noch keine zwei Siege in Folge gegen diese Großkaliber gelungen seien.
Die Erinnerungen an das Masters-Turnier in Rom sind noch frisch: Thiem hatte Nadal mit einer famosen Vorstellung in seine Einzelteile zerlegt, um nur einen Tag später gegen Djokovic selbst unter die Räder zu geraten. Möglicherweise hat der junge Österreicher daraus seine Lehren gezogen. Dennoch sollte er Nadals matte Vorstellung im Foro Italico nicht als Referenz heranziehen.
Faktor Chatrier
Unbenommen. Thiem war der bessere Spieler in diesem Match und hat völlig verdient gewonnen. Das Duell auf dem Court Philippe Chatrier findet allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen statt. Auf dem Campo Centrale in Rom ist der Auslauf viel geringer als auf dem größten Sandplatz der Welt. Für Thiems permanentes Trommelfeuer waren diese kompakten Bedingungen ideal. Verteidigungskünstler Nadal findet auf dem Chatrier jedoch ein Terrain vor, das ihm ermöglicht, viele Bälle des Angreifers zu neutralisieren.
Zudem verfügt der Spanier über einen gewaltigen Erfahrungsvorsprung. Nadal steht bereits zum zehnten Mal im Halbfinale von Roland Garros. Das Erreichen dieser Runde war in der Vergangenheit auch immer gleichbedeutend mit dem Titelgewinn in Paris. Für Dominic Thiem ist es hingegen erst die zweite Halbfinal-Teilnahme überhaupt bei einem Major. Mit dem Centre Court in Paris machte er gar erst einmal Bekanntschaft - 2014 verlor er ausgerechnet dort gegen Rafael Nadal.
Statistiken sind vielleicht Schall und Rauch, die momentane Form des "Stiers von Manacor" ist ein Naturereignis. Nadal bringt wieder mehr Spin auf die Kugel. Auch Länge und Intensität in den Grundschlägen erinnern an alte Glanzzeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass "Rafa" am Freitag permanent aus der Defensive heraus agieren wird. Eine Thiem-Dominanz, wie zuletzt in Rom, sehe ich nicht. Vielmehr rechne ich damit, dass Nadal seinen Gegner immer wieder in die passive Rolle drängt.
Mit 4000 Umdrehungen über Schulterhöhe
Die Wetterprognose ist zwar nicht perfekt für einen hohen Ballabsprung, dennoch dürfte der Nadal-Topspin bei vorausgesagten 24 Grad Celsius besser greifen als am kühlen Viertelfinal-Mittwoch. Keine guten Nachrichten für Thiems einhändige Rückhand, die bei Dauerbeschuss über Schulterhöhe nicht immer stabil erscheint. Wird es also warm und trocken, hat der 23-Jährige kaum eine Chance gegen das "Sandplatz-Monster" von der Baleareninsel.
Die klimatischen Bedingungen sind jedoch nur ein Randaspekt. Robin Söderling und Novak Djokovic werden vorerst die einzigen bleiben, die Nadal in dessen "Wohnzimmer" bezwingen konnten. Der höchste Gipfel unter den Sandplatzspielern bleibt für Dominic Thiem in Roland Garros eine zu große Herausforderung. Mit all seiner Klasse und dem Selbstvertrauen der letzten Monate wird Rafael Nadal am Freitag in sein zehntes French-Open-Finale einziehen!
Von Jens Huiber
Pro: Dominic Thiem wird am Freitag Geschichte schreiben
Der Sieg gegen Novak Djokovic kann für Thiem wirklich eine Initialzündung gewesen sein: Erstaunlicherweise liegt ihm das Spiel des Weltranglisten-Zweiten wesentlich schlechter als das von Nadal. Die bisherige Saison von Thiem ist von einer steten Verbesserung geprägt: Australien durchschnittlich, Rotterdam aufgrund einer kleinen Verletzung ebenfalls, dann der Sieg in Rio (ohne dort einen vor ihm platzierten Spieler schlagen zu müssen), in Indian Wells gegen Wawrinka ganz knapp dran, dann der einzige wirkliche Aussetzer gegen Coric in Miami.
Seitdem aber: Ein sehr gewinnbares Match gegen Goffin in Monte Carlo, Finale Barcelona, Finale Madrid, Halbfinale Rom. Dreimal Nadal, nur ein Satz war dabei nicht umkämpft, der zweite in Barcelona. Thiem wird das gesamte Turnier in Rom nicht überbewerten, weder die Matchbälle, die er gegen Querrey abwehren musste, noch die Partien gegen Nadal und Djokovic. Aber: Wenn Thiem "normal" spielt, wie er es in Madrid im Finale eigenen Angaben nach gemacht hat, ist er mit Nadal auf Augenhöhe.
Der Maitre-Faktor
Die Verbesserungen, die Dominic Thiem seit dem letzten Jahr in seinem Spiel gemacht hat, sind signifikant: Vor allem beim Return. Thiem variiert seine Position, blockt mit Vorhand und Rückhand, kann aber auch zwei Meter hinter der Grundlinie das Spiel eröffnen. Thiem setzt den Slice nicht als Notschlag, sondern als taktisches Mittel ein. Sein Aufschlag ist noch variabler geworden.
All das darf man der Zusammenarbeit mit Günter Bresnik zuschreiben, den die L´Équipe am Dienstag zum "Maitre Günter" geadelt hat. Wer Coach und Spieler in diesen Tagen in Paris beobachtet, sieht eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, es werden Übungseinheiten unterbrochen, um einzelne Spielzüge zu besprechen. Thiem braucht keinen "Supercoach", solange es der Günter mit ihm aushält. Sagt er. Günter Bresnik hält es sehr gut mit seinem Spieler aus. Und wird ihm die richtigen Tipps mit auf den Weg geben. Das betrifft auch den Umgang mit dem Chatrier, auf dem Thiem erst ein einziges Match bestritten hat.
Der Faktor Physis
Wenn man Rafael Nadal aus der Nähe beim Training zusieht, wirkt der Tennisplatz um einiges kleiner als vom Regelbuch eigentlich vorgeschrieben. Der Spanier ist erstaunlich groß, der linke Oberarm braucht keinen Vergleich mit dem Oberschenkel eines Radlers bei der Tour de France zu scheuen. Tatsächlich hat sich aber Dominic Thiem gerade in dieser Hinsicht ebenfalls unheimlich verbessert, sein Physio Alex Stober spricht von einem perfekt ausbalancierten Körper.
Thiem hat bis jetzt zwar zwei Stunden länger gespielt als Nadal, bei einer Turnierdauer von mittlerweile knapp zwei Woche wird dies am Freitag nicht ins Gewicht fallen. Thiem ist in dieser Hinsicht in eine Liga mit etwa Andy Murray aufgestiegen, auch wenn der Schotte deutlich athletischer ist. Er lässt sich von Nadal nicht mehr überpowern. Wenn er sich so leichtfüßig bewegt wie, da ist es wieder, in Rom, stehen die Chancen ausgezeichnet, dass Dominic Thiem am Freitag als zweiter Österreicher nach Thomas Muster 1995 in das Finale eines Grand-Slam-Turniers einzieht.
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