French Open: Senkrechtstarter Daniel Altmaier - „Ich wusste, dass ich meinen Weg gehen würde“
Daniel Altmaier ist die Sensation der French Open 2020 - noch keinen Satz hat der Qualifikant bislang abgegeben. Zufall? Nein: Auch sein hammerhartes Trainingsprogramm in der Vorbereitung macht sich in Paris bezahlt.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
04.10.2020, 11:48 Uhr
Wer in den Weiten des Internets nach dem Namen „Altmaier“ sucht, landet dieser Tage unweigerlich erst mal beim getreuen Helfer von Kanzlerin Angela Merkel. Beim unübersehbaren Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Man muss schon „Daniel“ oder „Tennis“ hinzufügen, um direkt auf den Mann zu stoßen, der gerade eine der verrücktesten deutschen Sportgeschichten eines sowieso schon verrückten Jahres schreibt.
Daniel Altmaier, 22 Jahre alt, zuhause im niederrheinischen Kempen, ist gerade die Sensationsnummer der French Open in Paris – ein junger Mann, der mit geradezu irritierender Selbstverständlichkeit von den Qualifikationsplätzen des Stadion Roland Garros inzwischen auf dem Centre Court gelandet ist. Und der nach sechs Siegen, drei davon im Bewerbungsturnier, drei davon im Hauptfeld, jetzt als stolzer Achtelfinalist des größten Sandplatzturniers der Welt grüßt.
Altmaier stellt gerade ein wenig die Tenniswelt auf den Kopf, schließlich ist es das allererste Grand-Slam-Turnier, bei dem er aufschlagen darf. Aber mögen sie auch alle von Überraschung schreiben und reden, vom French Open-Märchen – er selbst, Altmaier, sieht sich nicht als Wunderknabe: „Ich wusste, dass ich meinen Weg gehen werde“, sagt er, „früher oder später.“
Altmaier: Vorbereitung auf 2020 in Argentinien
Vielleicht hat seine Erfolgsgeschichte noch im alten Jahr begonnen, im Winter 2019/2020, als Corona vor allem noch eine Biersorte war. Und nicht ein Virus, das die Welt und auch die Welt des Sports lahm legte. Altmaier war in jener Zeit in Argentinien, in der Heimat seines Trainer Francesco Yunis, und nach all den verletzungsbedingten Tief- und Rückschlägen, die er in seiner jungen Karriere schon erlebt hatte, konnte er damals „eine erste echte Vorbereitungszeit“ auf eine kommende Saison bestreiten.
Altmaier duellierte sich im Training mit vielen der besten Sandplatzspezialisten der Welt, er bekam auch ein Gefühl, was es bedeutet, „dauernd das Niveau dieser Jungs zu halten.“ Altmaier hatte „Riesenspaß“ an der Sache, an diesem Trip abseits der eingefahrenen Routine. „Wenn du etwas erreichen willst, musst du eben auch aus deiner Komfortzone heraus“, sagt Altmaier nun in Paris, nachdem er sich als Senkrechstarter mit einem souveränen, hochverdienten 6:2, 7:6 (7:5), 6:4-Sieg über den Weltranglisten-Achten Matteo Berrettini schon ins French Open-Achtelfinale vorgekämpft hat. Nächster Gegner ist jetzt der solide Spanier Pablo Carreno Busta, der bei den US Open kürzlich von der Disqualifikation Novak Djokovics profitiert hatte und danach das Halbfinale nach 2:0-Satzvorsprung noch gegen Alexander Zverev verlor.
Altmaiers Fitnessprogramm: "Mehr als Rocky"
Altmaier war nach seinem Trainingscamp im Winter einige Wochen ordentlich in der Welt herumgereist, er stand rund um Platz 400 der Rangliste und verdingte sich bei Challenger-Turnieren in den USA, in Thailand, Australien und Mexiko. Später kehrte er nach Argentinien zurück, von dort kam er im März „noch gerade so mit dem Notflieger“ der Bundesregierung nach Deutschland. „Kaum einer hat in diesem Jahr mehr Matches auf dem Buckel als ich“, sagt Altmaier, der auch im Frühling und Sommer schnell wieder aktiv wurde. Und wahrscheinlich hatte sich auch kaum einer ein so hartes Programm aufgeladen wie der Bursche vom Niederrhein, der sich als extrem ehrgeiziger Selbstoptimierer im Lockdown erwies. Bei einem 11-Wochen-Trainingsblock waren ihm zeitweise auch argentinische Fitnesscoaches via Internet zugeschaltet, um das persönliche Übungsprogramm zu überwachen. „Mehr als Rocky im Film“ habe er gemacht, sagt Altmaier, „ich war richtig beseelt, weil ich merkte, wie ich immer mehr aus mir rausholen konnte.“
Paris, dieses plötzliche Tennis-Paradies für ihn, betrachtet Altmaier mit einer fast schon grotesken Nüchternheit. Er sieht sich – „ohne Arroganz“ – als selbstverständlichen Teil dieser Grand-Slam-Aufführung, nicht als hereingeplatzten Zufallsgast. Altmaier hat, und das ist gut so, schnell vergessen, wer er bisher war und was er bisher erreicht hat. Das war noch nicht viel, aber es zählt eben auch nicht viel im Hier und Jetzt. „Wenn du gut vorbereitet bist, und das bin ich, dann geht eine ganze Menge“, sagt er. Wie gegen Berrettini. Den Nummer-Acht-Mann sezierte Altmaier wie ein Versuchsobjekt, ehe er ihn nach allen Regeln der Kunst besiegte.
Beim Einschlagen habe ihm der Italiener wohl mit hammerharten Bällen imponieren wollen, „eine Art Einschüchterungsversuch“. Doch im Match habe er gemerkt, dass Berrettini „viel vorsichtiger, langsamer, unsicherer“ war: „Der schaltete einen Gang runter, war nervös.“ Altmaier aber ganz und gar nicht. Der agierte, so empfand es Altmeister Boris Becker, „als ob er schon seit Jahren auf der großen Tour ist und mit den Topleuten spielt.“
Jetzt gegen Carreno Busta - "Werde ihm nichts schenken"
18 Tage ist Altmaier nun schon in Paris. Er ging zunächst anonym seiner Arbeit nach, als Nummer 186 der Welt ohne besondere Meriten nicht verwunderlich. Doch nun steht er als steiler Aufsteiger schon etwas länger unter Beobachtung, und es macht ihm bisher nichts aus. Was sein Coach, der Ex-Profi Yunis, von ihm verlangt, sich wirklich nur auf das jeweilige Match, auf den jeweiligen Gegner zu konzentrieren und alles Drumherum auszublenden, gelingt Altmaier bestens. „Es läuft bisher alles nach Plan, in einer ganz ordentlichen Linie“, sagt Altmaier.
Er weiß allerdings auch, dass es nun schwieriger wird in der zweiten Woche dieser Grand-Slam-Herausforderung. Er ist kein Träumer. Gut möglich, dass Altmaier gegen Carreno Busta sogar erstmals in seinem Leben über fünf Sätze gehen muss. Carreno Busta sei bekannt als jemand, der anderen nichts schenke, wurde Altmaier im Pressegespräch vorgehalten. Er konterte das so: „Ich werde ihm auch nichts schenken.“ Busta? Basta!
Wie auch immer das Pariser Abenteuer für ihn ausgehen mag, Altmaier nimmt die French Open als willkommenen Erweckungsmoment. Er war einst das größte Talent im deutschen Tennis neben Zverev. Dann kam 2018, das verlorene Jahr. Das Verletzungsjahr, er hatte Probleme mit der Bauchmuskulatur, mit der Schulter. Er verschwand im Niemandsland, sackte in der Rangliste ab. Aber auf der kleineren Tennistour, bei den weithin unbeobachteten Challenger-Turnieren, begann er seinen langen Marsch durch die Institutionen, zurück in die Weltspitze. Roland Garros 2020 beschleunigte nun diese Mission, das Sandplatz-Major im Herbst wirkte wie ein Katapult. Altmaier ist auf einmal in aller Munde, in der Hackordnung rückt er erstmals dicht an die Top 100 heran. „Es ist aber erst der Anfang, nicht das Ende“, sagt Altmaier. Daniel Altmaier, wohlgemerkt.