„Boris Becker hat elf Jahre meines Lebens verschlungen“

Ion Tiriac hat als Manager Boris Becker zum Star gemacht. Heute wird der Rumäne 81 Jahre alt.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 09.05.2020, 07:56 Uhr

Heute wird Ion Tiriac 81 Jahre alt. Vom Ruhestand ist der ehemalige rumänische Eishockey-Nationalspieler, Davis-Cup-Profi und langjährige Manager von Boris Becker aber noch weit entfernt. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa in Madrid spricht er über sein Verhältnis zu Boris Becker, seine Leidenschaft für phosphoreszierende Bälle, weiße Kleidung und die Nostalgie für einen Sport, in dem es noch ums Kleingeld für ein Essen unter Freunden ging.

Sie werden an diesem Samstag 81 Jahre alt. An der Energie, mit der Sie ans Werk gehen, scheint sich aber nichts geändert zu haben...

Energie habe ich, ja. Aber manchmal brauchst du auch eine kleine Atempause und die hatte ich noch nicht. Es ist sehr schwer, dafür zwei, drei Wochen zu finden. Im Sommer, den ich seit 40 Jahren in Afrika verbringe, habe ich keine Ferien. Beim Turnier in Madrid bin ich zwei oder drei Tage und dann muss ich wieder los. Ich werde meine Kinder in Monte Carlo sehen, auch arbeiten, in der kommenden Woche reise ich nach Russland, dann in derselben Woche weiter nach Deutschland. Ich lebe in einem Flugzeug.

Auf was sind Sie am meisten stolz?

Was mir am meisten gefallen hat, war Tennisspielen, als es kein Geld gab, keine Punkte, keinen Druck. Wenn du mit dem Zug in der dritten Klasse hingefahren bist und wir zu Zehnt am Tisch zum Abendessen saßen und jeder fragte: „Wie viel hast du? Ich habe einen Dollar"..."Ich habe eineinhalb"... „Gut, wir sind zehn und haben genug für sieben Pizzas." Man hat also sieben Pizzen geschnitten und miteinander geteilt. Das haben die Leute heute nicht. Der Sport ist eine Industrie, der Sport ist eine Riesensache, das Geld, die Millionen, in die sich der Sport verwandelt. Ich bin zum Glück nicht neidisch. Vielleicht, weil ich in anderen Sachen Erfolg hatte.

Man hat Sie stets über Ihre kreativen Einfälle charakterisiert. Gibt es eine Idee, die Sie sich für die Zukunft aufgehoben haben?

Ich habe möglicherweise mehr Ideen für den Sport und vor allem für das Tennis, weil ich Spieler, Trainer, Manager, Zuschauer und Organisator war... Ich weiß, was der Spieler braucht, was der Zuschauer braucht, was das Fernsehen braucht. Tennis kämpft mit anderen Sportarten um den Platz im Fernsehen, um die Sponsoren. Doch Tennis hat den Nachteil, dass auch innerhalb des Sports gekämpft wird.

Wie meinen Sie das?

DerDavis Cupkämpft gegen die ATP und die ATP gegen den Grand Slam. Wenn du eine kleine Sache ändern willst, antwortet man Dir: „Nein". Das ist schade. Ich zum Beispiel würde keinen Sportplatz für mehr als 15.000 Menschen anlegen, weil man dann den Ball nicht mehr sieht. Wenn der Ball phosphoreszierend wäre, würde man ihn viel besser sehen. Auf der anderen Seite würde ich die weiße Kleidung wieder einführen, weil das einfach viel mehr Klasse hat. Ja, es gibt Spieler, die elegant sind. Und es gibt einige, die aussehen, als kämen sie von einem Hippie-Konzert aus den 60ern. Jedem seine eigenen Ideen, aber mir gefällt das Klassische. Wimbledon hat auch Zugeständnisse gemacht, aber nur sehr wenige.

Was wird der Tenniswelt von Ihnen im Gedächtnis bleiben, wenn Sie sich zur Ruhe setzen?

Ich glaube nicht, dass man da an viel denken wird. Wenn du zwei Meter unter der Erde liegst, gibt es andere, die viel interessanter sind.

In Ihrer Zeit als Manager haben Sie Boris Becker entdeckt. Wer war größer, Becker oderGuillermo Vilas?

Vilas ist der beste Spieler aller Zeiten. Weil er ohne Talent, ohne eine spezielle Technik, mit sechs oder acht Stunden Training täglich all diese Grand Slams gewann. Das ist, als ob du sagst: Ein Seat tritt gegen einen Ferrari an und der Seat gewinnt. Da musst du Respekt haben vor diesem Seat, diesem Vilas. Jeder ist anders. Ein Talent wie Ilie Nastase kaufst du nicht alle Tage im Supermarkt. Die Art, wie Becker schlug, gibt's nicht jeden Tag. Vilas ist ein Arbeiter, wie es ihn vorher nicht gab. Ein Trainer sagte ihm: „Du bist im dritten Stock, spring ins Schwimmbecken". Er fragte nicht, ob Wasser drin ist. Er sprang.

Haben Sie noch Kontakt zu Boris Becker?

Ich sehe ihn manchmal, wir sprechen über unsere Kinder, über die Familie.

Aber haben Sie ein gutes Verhältnis?

Ich habe ihn nicht geheiratet. Aber er ist ein Typ, der elf Jahre meines Lebens verschlungen hat. Das kann man nicht vergessen.Ich habe ein absolut normales Verhältnis zu ihm. Wir trinken ein Bier, sprechen, aber wir besuchen uns nicht jeden Sonntag mit der Familie, weil jeder seine Arbeit hat.

Zur Person: Ion Tiriac wurde am 9. Mai 1939 in Kronstadt (Brasov) geboren. In Deutschland machte sich der Rumäne vor allem als Manager von Boris Becker einen Namen, den er zusammen mit Günther Bosch entdeckte und zum dreimaligen Wimbledonsieger machte. Als Manager, Unternehmer, Stratege und Strippenzieher ist Tiriac auch heute noch gut vernetzt.

von tennisnet.com

Freitag
09.05.2014, 07:16 Uhr
zuletzt bearbeitet: 09.05.2020, 07:56 Uhr