Jan-Lennard Struff im Interview: "Ich wollte unbedingt eine Tommy-Haas-Kappe"
Jan-Lennard Struff hat eine Einladung zum Turnier in Saudi-Arabien angenommen und bereitet sich unter anderem mit dem Diriyah Tennis Cup auf die neue Saison vor. Zu seinem Antritt beim umstrittenen Event äußerte er sich schon im Vorfeld. Im Interview mit tennisnet spricht der 29-Jährige über die mentale Gesundheit von Tennisprofis und seine Doppel-Pläne für 2020.
von Lukas Zahrer
zuletzt bearbeitet:
15.12.2019, 12:32 Uhr
Außerdem analysiert er seinen größten Tick, erklärt, was Kappen von Tommy Haas so perfekt machten und beschreibt, warum ihn Putzfrauen heimlich dabei helfen mussten, in seine Schule einzubrechen.
tennisnet: Herr Struff, ich muss gleich zu Beginn etwas unangenehm werden. Sie müssen mir nämlich ihren größten Tick erklären.
Jan-Lennard Struff: Gerne.
tennisnet: Sie drehen den Schläger in Ihrer Hand – sogar mitten im Ballwechsel. Das ist verrückt.
Struff: Wenn mich jemand darauf anspricht, ist es schon krass. Ich denke überhaupt nicht daran. Es müssten bis zu drei Umdrehungen sein zwischen den Schlägen.
tennisnet: Auch kurz vor dem Aufschlag drehen Sie ihr Racket einmal kurz.
Struff: Da greife ich nur nach, drehe den Schläger aber nicht. Oder doch? Ich weiß es tatsächlich nicht. Kann schon sein.
tennisnet: Auch ich selbst habe Ticks. Meist sind sie bei mir aber eine Kopie von Freunden. Ich frage mich: Hat jemand vor Ihren Augen den Schläger derart gedreht?
Struff: Nein. (Überlegt lange) Na gut, vielleicht doch. Mein Vater hat mich früher trainiert. Er hat das hin und wieder getan, aber bestimmt nicht so extrem. In meinem Spiel ist es schon lange verankert. Ich könnte mich an keinen Spieler erinnern, der das in dieser Art und Weise gemacht hätte.
tennisnet: Eine umfassende tennisnet-Videoanalyse zeigt: Nach dem Aufschlag verzichten Sie auf den Dreher. Haben Sie das gewusst?
Struff: Da fehlt mir aber wahrscheinlich die Zeit. Gute Beobachtung, danke! Ich muss das mal mit meinen Trainern besprechen (lacht).
tennisnet: Ein weiteres Markenzeichen ist Ihre Kappe, die auf dem Platz immer tief im Nacken sitzt, wie auch jetzt während unseres Interviews.
Struff: Früher bewunderte ich Tommy Haas, ja ich verehrte ihn sogar. Er trug die Kappe auch immer verkehrt. Was er mir aber voraus hatte: Seine Kappen waren komplett abgeschlossen, hatten kein Loch auf der Rückseite. Ich fand die so geil, ich kann es gar nicht anders sagen. Zu finden waren solche Kappen aber nirgends, Internet-Shops gab es ja noch nicht. Ich wollte unbedingt eine haben.
tennisnet: Auch heute haben Ihre Kappen Löcher, Sie tragen Sie in jedem Match.
Struff: Ich muss mit Kappe spielen, sonst fühle ich mich nackt. Ich berühre sie vor jedem Punkt, das ist Teil meines Rituals. Daher würde ein Kopfband, mit dem ich es eine Zeitlang probierte, auch nicht funktionieren.
tennisnet: Für Matches von Tommy Haas und Co. sollen Sie schon als kleines Kind nachts aufgestanden sein, um etwa die Australian Open zu sehen.
Struff: Das stimmt, und zwar meistens zusammen mit meiner Mutter. Wenn ein spannendes Match anstand, sind wir um fünf Uhr auf, schnappten uns die Decke und etwas zum Frühstücken und legten uns auf die Couch. Ich weiß es noch genau: Um 7.40 Uhr ging die Schule los, ich konnte daher bis exakt 7.20 Uhr schauen.
tennisnet: Ein Kampf um jede Minute?
Struff: Manchmal kam ich zu spät. Der Eingang zur Sporthalle meiner Schule war meistens schon geschlossen, doch ich wusste, dass die anderen noch ewig zum Umziehen brauchten. Die Putzfrau hat mich dann reingelassen, wenn sie mich klopfen hörte. Ich schlich mich durch die Tür und mischte mich in die Gruppe, die gerade beim Aufwärmen war. Ich weiß gar nicht, ob die Lehrer das so genau mitbekommen haben.
tennisnet: Das Fernsehen früh am Morgen ließ Ihnen Ihre Mutter durchgehen?
Struff: Ja klar, warum nicht? Dafür bin ich abends früher ins Bett. Es war ohnehin klar, dass das Abitur oberste Priorität hat. Zuerst mussten die Hausaufgaben erledigt werden. Was danach passierte, war egal. Tennis war die große Leidenschaft, ich wollte schon immer Profi werden.
tennisnet: Ihnen wird nachgesagt, dass Sie Teamwettkämpfe genießen. Aktuell finden sich im ATP-Kalender gleich drei davon. Frage an den Tennis-Fan Struff: Wo würden Davis Cup, Laver Cup und ATP Cup in Ihrem persönlichen Ranking stehen?
Struff: Ich fand den Laver Cup sehr attraktiv, auch wenn ich die genauen Regeln bezüglich der Aufstellungen für die Matches bis heute nicht ganz durchblickt habe. Es sah ganz cool aus. Für Platz eins reicht es aber nicht.
tennisnet: Sondern?
Struff: Der neue Davis Cup war ganz gut, auch wenn mir ein paar Dinge nicht gefallen haben. Allen voran muss ein anderer Termin her. Den Davis Cup vom alten Format würde ich sofort auf Nummer eins wählen. Best-of-five, Heim- oder Auswärtsspiele – das war ein Traum. Vielleicht erleben wir solch eine Stimmung beim ATP Cup, wenn wir gegen Australien spielen.
Jan-Lennard Struff: „Tennis verlangt eine mentale Härte“
tennisnet: Fühlen Sie sich auf der Tour abseits der Teamwettkämpfe manchmal einsam?
Struff: Klar. Dafür habe ich mein Team dabei, mit dem ich etwas unternehmen kann. Außerdem gibt es ein paar Kollegen, mit denen man abends essen gehen kann. Über das Handy telefoniere ich per Video mit meiner Freundin telefonieren, wenn ich sie und unseren Sohn vermisse. Trotzdem ist Tennisprofi mein Traumberuf. Ich fühle mich privilegiert, dass ich ihn ausüben darf und kann.
tennisnet: Sie achten also darauf, dass Sie sich mit Ihrem Trainerteam auch privat gut verstehen?
Struff: In erster Linie ist die Beziehung eine geschäftliche. Ich verstehe mich aber menschlich mit beiden sehr gut.
tennisnet: Sie engagierten schon zeitig einen Physiotherapeuten, der Sie auf der Tour begleitet, als Ihr Ranking noch nicht so gut war. Sie investieren also viel Zeit und Geld in die körperliche Fitness. Investieren Sie auch in ihre mentale Gesundheit?
Struff: Es ist ein Thema, das kaum angesprochen wird, weil es als Schwäche interpretiert wird, wenn man sich mentale Hilfe holt. Damit stimme ich überhaupt nicht überein. Ich spreche viel mit Carsten (Arriens, Struffs Trainer, Anm.) über solche Themen. Er ist dafür ein sehr guter Ansprechpartner. Wir reden über meine Ausrichtung und das Engagement für den Sport. Tennis verlangt eine gewisse mentale Härte. Alles komplett mit sich selbst auszumachen, wäre der falsche Weg. Es ist absolut wichtig, auch den Kopf zu trainieren. Dazu lese ich viele Bücher.
tennisnet: Können Sie uns einen Buchtipp verraten?
Struff: Einige Bücher, etwa Glückskinder von Hermann Scherer. Er ist ein Redner, der sich mit Mentalität und Hingabe beschäftigt.
Struff: „Das Gefühl, etwas zu verpassen, ist bei mir viel zu groß“
tennisnet: Sagt Ihnen das wienerische Wort Wurschtigkeit etwas?
Struff: Nicht unmittelbar.
tennisnet: Es bedeutet, dass einem manche Dinge egal sind. Diese Fähigkeit braucht doch jeder Tennisprofi, um sich nicht ständig für Niederlagen fertig zu machen, oder?
Struff: Da könnte ich bestimmt noch etwas abgezockter werden. Wir sind alle Menschen. Manche Niederlagen treffen mich dann doch. Dieses Gefühl beiseite zu legen ist schwierig. Aber ich gebe Ihnen haben Recht: Es ist wesentlich, Ergebnisse etwas zu filtern.
tennisnet: Ein Faktor, der Ihnen dabei helfen könnte, ist Ihre Familie. Sie bestreiten erstmals als Vater eine Saisonvorbereitung. Spüren Sie durch die Geburt Ihres Sohnes im Training zusätzliche Motivation?
Struff: Ich spüre in jedem Fall zusätzliche Müdigkeit (lacht). Abgesehen vom geringeren Schlaf spiele ich jetzt gewissermaßen auch für meinen Jungen. Das ist ein sehr interessantes Gefühl. Die Freude, nach Turnieren heim zu fliegen, ist riesig. Deshalb freue ich mich auch auf die zwei Wochen in der Heimat, bevor ich nach Australien reise. Ich versuche, meine Familie so oft es geht zu sehen. Sie werden bei vereinzelten Turnieren Europa mitkommen.
tennisnet: Hinter Ihnen liegt ein Familienurlaub in Südafrika. Sind Sie ein naturverbundener Mensch?
Struff: Alles, was am Meer liegt, finde ich faszinierend – auch wenn ich nur selten darin schwimmen gehe. In Südafrika war es dafür auch zu kalt. Mir ist wichtig, im Urlaub etwas zu erleben. Nach zwei, drei Tagen kann ich nicht mehr ruhig sitzen. Das Gefühl, etwas zu verpassen, ist bei mir viel zu groß. Ich glaube, ich muss nochmal nach Südafrika. Es gibt einfach zu viel dort zu erleben.
tennisnet: Von der Natur her hat Saudi-Arabien nicht so viel zu bieten.
Struff: Es gibt Wüsten.
tennisnet: Richtig. Und Straßen mit bis zu sieben Spuren. Sogar Autorennen haben darauf stattgefunden. Sie sagten einmal in einem Interview, dass Sie gerne schnell Auto fahren. Wäre das also etwas für Sie?
Struff: Ich war noch nie auf einer Rennstrecke. Irgendwie ist der Respekt davor zu groß. Ich bin auch noch nie Kart gefahren. Privat bin ich ein Typ, der gern so schnell wie möglich an Ziel kommt. Mir gefällt, dass Deutschland gefühlt das einzige Land ohne Tempolimit auf der Autobahn ist. Aber nicht falsch verstehen: Es muss immer noch sicher bleiben. Wenn die Familie mit im Auto sitzt, fahre ich deutlich entspannter.
tennisnet: In Ihrer freien Zeit vor dem Einladungsturnier in Diriyah gingen Sie nicht wandern oder Autofahren, sondern statteten der deutschen Botschaft in Riad einen Besuch ab. Worüber haben Sie sich mit den Mitarbeitern unterhalten?
Struff: Es war eine sehr entspannte Runde auf einem tollen Niveau. Wir wollten wissen, wie es ist, hier zu leben. Sie haben wiederum einige Fragen zum Tennisleben gestellt. Es war ein sehr offener Austausch und hat Spaß gemacht.
tennisnet: Auch ich möchte Sie noch über Ihr Tennisleben befragen. Es liegt das bis dato beste Jahr Ihrer Karriere hinter Ihnen. Während der Saison 2019 nannten Sie die Vorbereitung auf Teneriffa mit dem damaligen Thiem-Trainer Günter Bresnik stets als Auslöser für die Erfolge. Dort trainieren Sie in diesem Jahr nicht. Schade eigentlich, oder?
Struff: Dass ich in Saudi-Arabien ein paar Matches bekommen habe, ist auch ganz gut. Teneriffa war aber überragend. Es war die beste Vorbereitung, die ich je hatte: 22 Grad, kein Wind, immer Sonne.
tennisnet: Gab es auch diesmal die Möglichkeit, mit Bresnik zu trainieren?
Struff: Wir hatten kurz überlegt, mit Domi nach Miami zu gehen. Das war aber keine Option für mich. Bresnik war unter anderen mit Ernests Gulbis und Jerzy Janowicz dort auf Teneriffa, aber schon Anfang Dezember. Da war ich nach dem Davis Cup noch im Urlaub. Wir überlegten, selbst mit drei weiteren Spielern nach Teneriffa zu fliegen. Das Risiko, dass sich etwa einer verletzt und man dann zu dritt trainieren muss, sprach dagegen. Daher war der Plan, die Vorbereitung in Monte Carlo zu absolvieren. Dann kam das Angebot von Saudi-Arabien.
tennisnet: Sie warten noch auf Ihren ersten ATP-Titel. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, bei welchem Turnier sollte der Knopf aufgehen?
Struff: Da würde ich natürlich gleich das größte nehmen, für mich ist das Wimbledon. Ein Sieg in Deutschland hätte auch etwas, am liebsten in Halle. Aber das ist immer brutal gut besetzt. In diesem Jahr schaffte ich es endlich, eine Runde zu gewinnen (nach neun Niederlagen in Folge, Anm.)..Schon das war Erleichterung pur.
tennisnet: Im Doppel gelangen Ihnen schon drei Turniersiege. Welche Pläne hegen Sie für das Doppel in 2020?
Struff: Ich spiele mit Henri Kontinen. Ich freute mich sehr über die Anfrage, denn er ist ein ausgezeichneter Doppelspieler. Ich denke, das kann für mich nur gut sein. Zunächst war unklar, ob ich den Fokus so beibelassen soll. In der Vergangenheit wurde es etwas viel mit Einzel- und Doppel-Matches beim selben Turnier.
tennisnet: Wie weit ist die Turnierplanung fortgeschritten?
Struff: Wir fangen erst in Melbourne an. Das ist vielleicht nicht ideal, aber anders geht es nicht. Rotterdam, Indian Wells und Miami sind fix eingeplant. Dazwischen macht es mit unseren Davis-Cup-Einsätzen wenig Sinn. Wir planen für die gesamte Saison, müssen aber abwarten, wie es läuft.
Jan-Lennard Struff: Turniersiege im Doppel
Jahr | Turnier | Partner |
---|---|---|
2018 | Tokio | Ben McLachlan |
2019 | Auckland | Ben McLachlan |
2019 | Metz | Robert Lindstedt |