Ein Spätzünder und Diplomat aus Serbien

Der Serbe ist einer der Topfavoriten auf den Titel bei der Turnierpremiere in Düsseldorf.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 13.05.2013, 09:15 Uhr

Auf dem April-Cover der serbischen Ausgabe des Fitness-Magazins „Men’s Health“ schauen ihm seine Landsleute direkt in die dunkelbraunen Augen. Das heißt, wenn man sich nicht von den verzierten Armen ablenken lässt, die der gezeichneten
 Version einer Boa Constrictor gleichkommen... Beides ist nicht selbstverständlich. Auf dem Tennisplatz hat sich Janko Tipsarevic zum Nummer-eins-Repräsentanten der verglasten Profi-Sonnenbrille gemausert. Und auch ohne den markanten Augenschutz wäre der ATP-Top-Ten-Profi wohl Belgrads Sport-Botschafter Nummer eins. Wenn da nicht ein gewisser Novak Djokovic das Tennis-Racket noch ein bisschen besser schwingen würde...

Ressentiments gegen die aktuelle Nummer eins der
 ATP-Tour gibt es nicht. Man schätzt und respektiert sich
 freundschaftlich. Djokovic gehörte sogar zu den Gästen auf der Hochzeit von Tipsarevic mit Biljana Sesevic. Seit der 28-Jährige 2010 das Lebensbündnis mit der TV-Moderatorin einging, geht es in der Weltrangliste für den Rechtshänder steil bergauf. Was kein Zufall sein dürfte. Bruder Veljko meint sogar: „Janko hätte früher heiraten sollen.“

Mit Nutella und Weißbrot kommt man nicht weit

Der Erfolgsweg von Tipsarevic ist von harter Arbeit geprägt, von stundenlangem Training, von Disziplin, die er in jungen Jahren nicht immer hatte. Doch Erfahrung macht klug. „Ich esse vor Matches meist nur Nudeln mit Olivenöl. Mit Nutella und Weißbrot kommt man auf Dauer nicht weit“, sagt Tipsarevic. Er muss es wissen. Im vergangenen Jahr hat er drei Kilogramm Gewicht verloren, fühlt sich nun besser, fokussierter.

Und auch konditionsstärker. Wie das knappe Fünf-Satz-Aus 2012 bei den US Open in New York gegen den Spanier David Ferrer unterstrich. Im Entscheidungssatz gab es nach 271 Minuten Spieldauer ein 4:7 im Tiebreak. „Da hat Janko trotz der Niederlage erstmals gezeigt, dass er die Fitness für ein Top-Spiel über die volle Distanz hat“, betont sein Trainer Dirk Hordorff.

Defensiv muss er noch lernen

Der 56-jährige gebürtige Hamburger, der auch lange Rainer Schüttler gecoacht hatte, arbeitete mit seinem Schützling Anfang des Jahres im Schatten der Wolkenkratzer der katarischen Hauptstadt Doha. „Offensiv ist Janko einer der besten Spieler der ATP-Tour. Defensiv kann er sicher noch einige Dinge verbessern“, betont Hordoff. Um auch weiterhin zu den stärksten zehn Cracks zu gehören. Da kommen schon mal schnell acht, neun Trainingsstunden am Tag zusammen.

Tennislegende und Eurosport-Analyst Mats Wilander aus Schweden traut Tipsarevic eine weitere Verbesserung im Ranking zu: „Er kann an die besten vier Spieler herankommen, wenn er zum richtigen Zeitpunkt auf dem Feld durch kalkuliertes Risiko seine Bälle ins Ziel bringt.“ Novak Djokovic, Andy Murray, Roger Federer oder auch Rafael Nadal werden den „Spätzünder“ sicher genau beobachten. Lange pendelte Tipsarevic im Ranking zwischen Platz 30 und 100. Erst seit November 2011 darf sich der Serbe zu den Assen der Branche zählen. Da gewann er in Kuala Lumpur und in Moskau seine ersten beiden ATP-Turniere, erreichte in Eastbourne und in Delray Beach das Finale, in Montreal das Halbfinale und kam beim ATP-Masters-1000-Turnier in Miami in die Runde der besten Acht. Ergab in der Weltrangliste Platz acht.

Vorausgegangen waren diesen Einzelerfolgen zwei Mannschaftssiege „für das Selbstvertrauen“ und „für die serbische Seele“. Ende Mai 2009 sicherte sich Tipsarevic mit Viktor Troicki und Doppelspezialist Nenad Zimonjic unerwartet den World Team Cup im Rochusclub. 2010 ging auch der Davis Cup nach Belgrad, wobei er vor allem im Halbfinale gegen Tschechien auftrumpfte, als er Tomas Berdych und Radek Stepanek im Einzel bezwang. Als Lohn gab es für Tipsarevic vom serbischen Staat einen Diplomatenpass, der diverse Visa überflüssig macht und ihm an Flughäfen viel Zeit spart, „...wenn man bei der Einreise an den meist verwaisten Diplomatenschalter darf. Sogar in Shorts und Schlapfen“, wie der Profi schmunzelnd erklärt.

Botschafter Serbiens

Tipsarevic liegt es am Herzen, sein Heimatland Serbien in der Öffentlichkeit gut zu vertreten. Deshalb freute er sich über den zweiten Sieg bei der Mannschafts-Weltmeisterschaft im vergangenen Mai im Rochusclub ganz besonders. Sein spektakulärer 7:5,-7:6-Erfolg im Finale über den Tschechen Tomas Berdych zählte zu den absoluten Höhepunkten der Turnierwoche. Beim frühen Break im ersten Satz zum 2:1 hatte Tipsarevic per Zehn-Meter-Rutscher einen Netzball noch in Berdychs Feld gedrückt. Das Publikum war entzückt. 2013 hofft er beim Power Horse Cup auf ähnlich Spektakuläres.

Der „kleine“ WM-Siegerpokal, sein persönliches Exemplar, steht im heimatlichen Belgrad. Neben wahrer Literatur. Tipsarevic schätzt Klassiker, liest gern schwere Kost des Philosophen Friedrich Nietzsche. Den russischen Schriftsteller Dostojewski hat er so ins Herz geschlossen, dass er einen seiner Kernsätze stets mit sich trägt. „Beauty will save the world“, entnommen aus dem Klassiker „Der Idiot“, steht auf dem linken Arm in japanischen Schriftzeichen. Es ist eines von vier Tattoos.

Von Michael Jordan lernen

Mehr sollen es in naher Zukunft nicht werden. Und auch den Bücherwurm hat Tipsarevic etwas aus seinem Kopf vertrieben. „Wenn man ein Top-Spieler im Tennis sein will, muss man immer fokussiert sein. Ob nun gegen Roger Federer oder die Nummer 1000 der Weltrangliste. Wenn man nicht so denkt, hat man eine Top-Position auch nicht verdient.“ Dass Misserfolge zum (Sportler-)Leben gehören, weiß
 nicht nur Tipsarevic, der sich schließlich erst nach fast
 vier Jahren auf der ATP-Tour dauerhaft unter den Top 100 etabliert hat und von den Weltbesten trotzdem noch ein gutes Stück entfernt ist.

Basketball-Legende Michael „Air“ Jordan, der die Chicago Bears zwischen 1991 und 1998 zu sechs NBA-Meisterschaften und die USA zweimal zu Olympia-Gold geführt hatte, betonte einmal: „Ich bin in meinem Leben immer und immer und immer wieder gescheitert. Und habe trotzdem hohe Ziele erreicht, weil ich nie aufgegeben und immer an mein Talent geglaubt habe.“ Dem kann Tipsarevic in Anbetracht seiner eigenen Laufbahn nur zustimmen: „Das ist eines der besten Zitate, die ich kenne.“(Text: Presseaussendung Power Horse Cup; Foto: Jürgen Hasenkopf)

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13.05.2013, 09:15 Uhr