Jürgen Melzer im Interview: „Glaube, dass Djokovic 2025 um alle Grand-Slam-Titel mitspielt“

Österreich spielt Anfang 2025 im Davis Cup gegen Finnland. ÖTV-Kapitän Jürgen Melzer nimmt sich im großen tennisnet-Interview aber auch andere Themen vor - wie etwa die Zusammenarbeit zwischen Novak Djokovic und Andy Murray

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 05.12.2024, 10:13 Uhr

Jürgen Melzer und Novak Djokovic bei den French Open 2010
© Getty Images
Jürgen Melzer und Novak Djokovic bei den French Open 2010

Tennisnet: Herr Melzer. Conor Niland beschreibt in seinem Buch „The Racket“ den schwierigen Weg in die erweiterte Weltspitze des Tennissports. Sie müssten ja Kollegen auf der Tour gewesen sein …

Jürgen Melzer: Conor ist ja der Davis-Cup-Kapitän von Irland, wir haben uns also erst in diesem Frühjahr gesehen. Gespielt haben wir allerdings nie gegeneinander. Das war dadurch bedingt, dass er sich eher auf der Challenger-Tour aufgehalten hat. Und ich doch auf der großen Spur spielen durfte.

Tennisnet: Niland beschreibt auch, dass er früh einige Angebote von US-Colleges bekommen hat. Nun haben Sie bis vor kurzem Joel Schwärzler betreut, einen der besten Junioren der Welt. Wie viele Anfragen sind auf Joel von verschiedenen Universitäten eingeprasselt?

Melzer: Es sind definitiv Colleges auf uns zugekommen, die immer wieder gefragt haben, ob Interesse besteht. Im Endeffekt war das für den Joel aber nie ein Thema, weshalb wir die Geschichte auch früh abgeblockt haben. Es hat sich dann schnell herumgesprochen, dass er nicht aufs College will. 

Tennisnet: Können Sie der Idee aber grundsätzlich etwas abgewinnen?

Melzer: Das College hat definitiv seine Benefits, weil man die Möglichkeit bekommt, absolut professionell zu trainieren. Es ist aber auch eine Typsache, ob man das Leben am Campus mag. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Spielerinnen und Spieler, die sich hingehen, können aber in jedem Fall davon profitieren. Auch davon, in einem Team zu trainieren. Und es gibt ja genügend Beispiele von College-Spielern, die es unter die Top 100 geschafft haben.

Melzer: “Die Tendenz geht Richtung Sand”

Tennisnet: Kommen wir zur Aktualität. Österreich ist in der ersten Runde des Davis Cups mit einem Heimspiel gegen Finnland bedacht worden. Wie schätzen Sie dieses Duell mit ein, zwei Tagen Abstand zur Auslosung ein?

Melzer: Es hätte viel schlimmer kommen können, schon einmal reisetechnisch. Da wären Australien, die USA oder Argentinien auswärts möglich gewesen. Ich möchte aber schon betonen, dass wir alles andere als Favorit gegen Finnland sind. Dennoch: Wenn alles gut zusammenläuft an diesem Wochenende und wir an unser Limit gehen können, dann sind Otto Virtanen und Emil Ruusuvuori im Bereich des Möglichen. Wir sind Außenseiter. Aber mit einer Chance für eine Heim-Überraschung.

Tennisnet: Sie wollten sich ja mit ihren Spielern über die Belagswahl abstimmen … da gibt es ja möglicherweise unterschiedliche Prioritäten.

Melzer: Zunächst einmal haben sich schon alle in Frage kommenden Spieler bereit erklärt, dabei zu sein. Das stimmt mich positiv. Und zeigt auch, dass es ihnen wichtig ist, für ihr Land zu spielen. Der Belag ist noch nicht hundertprozentig entschieden. Die Tendenz geht Richtung Sand, weil wir natürlich wissen, was der beste Belag für die Finnen ist - und das ist Indoor Hartplatz. 

Tennisnet: Die Finnen haben ja auch den regierenden Wimbledon-Champion Harri Heliovaara im Gepäck. Andererseits bieten Sie mit Lucas Miedler und Alexander Erler ein eingespieltes, erfolgreiches Duo auf. Das sich aber getrennt hat. Ein Problem?

Melzer: Luci und Alex haben sich ja erst Ende der Saison getrennt. Und der Davis Cup findet sehr früh im Jahr statt. Da hätten die beiden bei einem nicht so guten Einstieg in die Saison vielleicht auch nur zwei, drei Partien gespielt. Die Trennung wird null Einfluss haben. Die beiden haben so lange miteinander gespielt - und mir auch gleich gesagt, dass sie im Davis Cup gerne gemeinsam antreten. Auf Erler und Miedler war in den letzten Jahren immer Verlass. Die haben auch Matches gewonnen, wenn sie nicht so gut in Form waren. So ein Doppel ist viel wert.

“Wenn viele Spitzenspieler auf einem Fleck sind, kommen viele Leute”

Tennisnet: Ist das Format 2025 des Davis Cups für Sie schon wieder nah genug dran an der klassischen Version?

Melzer: Es ist immer noch etwas anderes. Weil man im Finalturnier eben nicht diese klassische Heim-Auswärts-Atmosphäre hat. Es wird sicher ein gutes Event werden. Die Italiener haben in den letzten Jahren bewiesen, dass sie das gut können. Und dass auch viele Leute kommen, wie zuletzt bei den ATP Finals. Wenn man dort aber etwa gegen Kroatien spielt, wird es dennoch eine andere Stimmung sein als in Zagreb oder wenn die Kroaten auswärts bei uns antreten. Aber dass es eine zweite Runde mit Heim-Auswärts gibt, finde ich gut.

Tennisnet: In Málaga haben die Italiener gegen die Niederlande im Finale gespielt. Zumindest im TV sah das atmosphärisch gut aus. Wie hat es Ihnen gefallen?

Melzer: Die haben dort einen super Job gemacht. Natürlich: Wenn Spanien ins Finale gekommen wäre, hätte eine andere Stimmung geherrscht. Aber es war gut! Wenn viele Spitzenspieler auf einem Fleck sind, kommen viele Leute, um das zu sehen. Das wird immer ziehen. 

Tennisnet: Nun sind die österreichischen Tennisfans seit den Zeiten von Thomas Muster durch Sie und fast direkt nachfolgend Dominic Thiem mit Erfolgen verwöhnt. Aktuell ruhen viele Hoffnungen eben auf Joel Schwärzler. Gibt es in den Jahrgängen danach auch jemanden, der Joel mittelfristig zur Seite springen kann?

Melzer: Da fällt mit sofort Thilo Behrmann ein, der zwei Jahre jünger ist als der Joel und in seinem Jahrgang zu den besten fünf Spielern der Welt gehört. Thilo ist ein Versprechen für die Zukunft - und ein ganz anderer Typ als der Joel. Aber um nichts schlechter. Im Moment hat er sogar eine bessere Ranglisten-Position als der Joel in jenem Alter. Fairerweise muss man aber auch sagen: Stand jetzt sind wir weit weg von einem Top-50-Spieler. Da ist eine Lücke entstanden. Was für ein kleines Land wie Österreich aber auch normal ist. Dass sich Top-Ten-Spieler nicht am laufenden Band produzieren lassen, erleben wir gerade auf die harte Tour. Aber das Schöne am Tennis ist, dass es sich auch schnell wieder in die andere Richtung entwickeln kann. Aber wird dürfen weder dem Joel noch dem Thilo zu viel Druck auferlegen. Man muss beiden Zeit geben.

“Djokovic und Murray finde ich unglaublich”

Tennisnet: Eine Sache noch: Novak Djokovic hat sich zumindest einmal für die Australian Open Andy Murray als Coach geholt. Was halten Sie von dieser Liaison?

Melzer: Djokovic/Murray finde ich unglaublich. Ich glaube, dass das für das Tennis extrem gut ist. Eine riesige Schlagzeile, aber eben nicht nur das: Murray kann Djokovic sehr viel weiterhelfen. Es gibt wenige, die so einen hohen Tennis-IQ haben wie Andy Murray. Da kann selbst ein Djokovic noch etwas lernen. Die Frage ist ja: Wem hört der Nole überhaupt noch zu? Und da hat er mit Murray jetzt jemanden, mit dem er auf Augenhöhe diskutieren kann. Und das kann diese Partnerschaft sehr erfolgreich machen.

Tennisnet: Beeindruckt Sie die offenbar immer noch riesige Motivation von Novak Djokovic, sich mit 37 Jahren noch so zu schinden? 

Melzer: Novak muss anders und intelligenter trainieren als damals, als er noch 30 war. Dieses Pensum kann er nicht mehr fahren. Er muss sich, die Bereiche, die er verbessern will, genau aussuchen. Ein Körper in diesem Alter regeneriert anders. Aber genau dafür hat er sich ja auch Murray ins Boot geholt. Denn der hat in den letzten Jahren das alles ja auch durchgemacht. Und ein Andy Murray kann ein Motivations-Boost sein. Da kann eine neue Freude entstehen, die er auf den Platz und ins Training bringt. Für Nole geht es ja nur noch um die Grand-Sams. Wenn er bei einem 1000er früher verliert als sonst, dann wird das nicht so schlimm sein. Ich glaube, dass Novak Djokovic 2025 um alle Grand-Slam-Titel mitspielen wird.

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05.12.2024, 07:58 Uhr
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