Jürgen Melzer im Interview: „Man sollte die DNA des Tennis nicht verändern“

Jürgen Melzer wird dem Österreichischen Tennis Verband mindestens drei weitere Jahre als Sportdirektor erhalten bleiben. Im Interview mit tennisnet.com geht der legendäre Linkshänder aber vor allem die globalen Fragen des Tennissports an.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 16.12.2023, 07:36 Uhr

Jürgen Melzer glaubt an eine starke ATP-Tour
© GEPA Pictures
Jürgen Melzer glaubt an eine starke ATP-Tour

tennisnet: Herr Melzer. Lassen Sie uns … mit Golf beginnen. Sie waren vor ein paar Wochen zu Gast beim Ryder Cup in Rom. Gibt es im Tennissport etwas Vergleichbares mit diesem Event?

Melzer: Das war das Geburtstagsgeschenk zu meinem 40. Geburtstag von einem meiner besten Freunde. Wir haben sogar die ganze Woche in Rom verbracht. Es war richtig, richtig cool, ein tolles Erlebnis. Ich bin wahrscheinlich noch nie so viel spaziert wie in dieser Woche. Am ehesten kommt natürlich der Laver Cup in die Nähe, da gibt es aber bei weitem noch nicht diese Tradition. Und auch nicht diesen Stellenwert. Wenn man gesehen hat, wie die Burschen dort abgehen, weil so viel an Prestige auf dem Spiel steht - das kann man fast atmen, wenn man da auf dem Grün steht. Ich war zum Glück dabei, als Victor Hovland vom Grün eingechippt hat. Das werde ich nie vergessen. Die Leute sind explodiert, er selber auch. Das kann man fast nicht beschreiben. Für einen Sportfan ist das fast ein Muss, wenn man die Möglichkeit dazu hat.

tennisnet: Nun hat sich einer der europäischen Protagonisten, Jon Rahm, für sehr viel Geld von der PGA Tour zur LIV Tour verabschiedet. Die wird bekanntlich aus Saudi-Arabien finanziert. Im Tennis könnte es eine ähnliche Entwicklung mit der sogenannten „Premium Tour“ geben. Würde der Tennissport so etwas vertragen?

Melzer: Zunächst einmal zu Jon Rahm: Jeder, dem 450 Millionen US Dollar angeboten werden, hat das Recht, darüber nachzudenken. Er wird für Generationen ausgesorgt haben. Alle, die darüber urteilen, haben sich den Schuh noch nicht selbst angezogen. Aber im Golf haben wir gesehen, dass es gefährlich ist, die Spieler nicht zu informieren. So wie das beim Merger zwischen der PGA und der LIV Tour offenbar passiert ist. Braucht das Tennis jetzt auch eine „LIV Tour“? Ich war immer ein großer ATP-Sympathisant. Ich glaube, dass sich im Golf die PGA Tour durch die neue Konkurrenz extrem weiterentwickelt hat. Und man merkt aktuell auch auf der ATP Tour, dass es durch den Einfluss der PTPA (Professional Tennis Players Association) einige Fortschritte gegeben hat. Ich denke da etwa an die finanzielle Absicherung der Spieler. Wie viel das im Augenblick ist, ist noch Nebensache. Aber es tut sich was. Ich persönlich würde mich freuen, wenn keine Premium Tour käme. Ich glaube, dass eine Tour, bei der man an den richtigen Stellen Verbesserungen anbringt und im Dialog mit den Spielern bleibt, die bessere Lösung ist. Aber so wie es den Golfsport nicht umgebracht hat, würde es auch den Tennissport nicht umbringen.

Jürgen Melzer zur Veränderung von Formaten: "Da bin ich ganz bei Zverev"

tennisnet: Was macht Sie da so optimistisch?

Melzer: Das Wichtigste in unserem Sport sind die Grand Slams. So viel Geld kann man in andere Turniere gar nicht reinstecken, dass dieses wichtiger würde als ein Major. Tennis ist ein Traditionssport. Auch wenn man nicht an jeder Tradition festhalten muss. Am Ende des Tages ist es eine Frage von Angebot und Nachfrage: Wenn es diese Tour gibt, die Fans sie sehen wollen und die Spieler hingehen, dann wird sich die ATP etwas überlegen müssen.

tennisnet: An der von Ihnen angesprochenen Tradition wird ja auch mit neuen Formaten gekratzt, wie etwa dem Ultimate Tennis Showdown. Wir haben bei den Erste Bank Open in Wien ein wenig herumgefragt, ob sich die Spieler so ein Format auch einmal bei einem 250er-Turnier vorstellen könnten. Ergebnis: Alexander Zverev, Daniil Medvedev, Gael Monfils oder Stefanos Tsitsipas wollen an der Tradition des Spielformats festhalten. Lediglich Dominic Thiem hat sich interessiert für etwas Neues gezeigt. Wo stehen Sie in dieser Frage?

Melzer: Als ich im ATP-Council gesessen bin, hatten wir mit Roger Federer oder Andy Murray ganz große Traditionalisten dabei. Ich kann hier nur eine ganz persönliche Antwort geben: Ich bin komplett bei Zverev und dem Rest. Man sollte die DNA des Sports nicht verändern. Weil der Tennissport ist im Top-Segment ja auch nach wie vor erfolgreich. Das Problem bei den 250ern ist nicht das Spielformat. Sondern das Fehlen der Topspieler.

"Der nächste Schuss der ITF muss sitzen"

tennisnet: Apropos DNA: Die ITF hat vor ein paar Jahren massiv in die DNA des Davis Cups eingegriffen. Ihr deutsches Pendant als Davis-Cup-Kapitän Michael Kohlmann hat gemeint, der nächste Schuss des Weltverbandes muss sitzen, wohl nach 2024. Haben Sie eine Lösung für diesen Wettbewerb?

Melzer: Bin ich ganz beim Kohle. Ich hoffe, dass die ITF das Gespräch mit den Topspielern sucht und nicht wie beim letzten Mal einen Alleingang startet. Wenn das passiert, wird auch das richtige Format gefunden. Die Generationen haben sich natürlich geändert. Mein Gefühl ist, dass es früher mehr wert war, für sein Land zu spielen. Ich bin schwerst dafür, dass wieder Home-and-Away-Ties kommen. Denn selbst wenn 800 Leute für Dich klatschen so wie bei unserem Spiel gegen Pakistan, ist das etwas anderes, als wenn man irgendwo spielt, wo man nicht daheim ist. Der Gegner aber auch nicht. Bei den Finals vor ein paar Wochen hat es mit der Stimmung gepasst. Aber ich finde auch: Der nächste Schuss muss sitzen.

tennisnet: Eine erfreuliche Nachricht gibt es dieser Tage ja auch: Leander Paes, einer ihrer ehemaligen Doppelpartner, ist in die International Tennis Hall of Fame in Newport gewählt worden. Was können Sie uns über Paes erzählenß

Melzer: Der Leander war wahrscheinlich einer der talentiertesten Spieler, mit dem ich jemals einen Platz teilen durfte. Er ist eine absolute Doppel-Legende, hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Nur Olympiagold fehlt ihm. Zum Grand Slam hat ihm lange Australian gefehlt, dort hat Leander schließlich mit Radek Stepanek gewonnen. Für mich ist er einfach ein genialer Tennisspieler, wahrscheinlich der beste Netzspieler, den es im Doppel je gegeben hat. Wie schnell er war, wie er immer durchgegangen ist - und er hat einem immer geholfen, wenn man selbst am Netz gestanden ist. Als extrovertierter Typ hat Leander auch polarisiert. Auch weil er, wenn man das so formulieren möchte, die Regeln ganz gut auszunutzen wusste. Wenn man mit ihm gespielt hat, war immer das Gefühl da: Er steht voll hinter Dir. Solange er an die Partnerschaft geglaubt hat. Er hat einem so viel Selbstvertrauen gegeben. Und ich habe meinen einzigen Masters-1000-Titel mit ihm gewonnen. Dazu kommt: Ich habe auch für´s Einzel einiges von ihm mitgenommen.

tennisnet: 2010 in Shanghai haben Sie mit den Neu-Hall-of-Famer in Shanghai gewonnen. Können Sie persönlich mit dem Konzept dieser Ruhmeshalle, das ja in den großen US-amerikanischen Sportarten große Tradition hat, etwas anfangen?

Melzer: Dadurch, dass ich so weit weg davon bin, in die International Tennis Hall of Fame aufgenommen zu werden …

tennisnet: Kleiner Einspruch! Sie waren der bislang letzte Spieler, der gleichzeitig im Einzel und im Doppel unter den Top Ten klassiert war.

Melzer: Das wird nicht reichen … was auch vollkommen in Ordnung ist. Ich glaube, das Leben vom Leander hätte sich nicht großartig verändert, wenn er jetzt dort nicht aufgenommen worden wäre. Es ist natürlich eine Ehre, auch weil man sieht, dass eine Karriere auch von anderen als erfolgreich wahrgenommen wird. 

tennisnet: Zum Abschluss noch ein Wort zu Joel Schwärzler. Welche Ziele gibt es für 2024, was dürfen die österreichischen Tennisfans realistischerweise von ihm erwarten - vielleicht schon einen Angriff auf die #NextGen Finals?

Melzer: Das große Thema ist: Joel muss sich als Tennisspieler weiterentwickeln. Im kommenden Jahr werden die French Open, Roehampton, Wimbledon und die US Open die einzigen Juniorenturniere sein. Sein persönliches Ziel ist es, ein Junioren-Grand-Slam-Event zu gewinnen. Für mich steht aber definitiv im Vordergrund, wie sich Joel auf der Männertour etabliert, wie er Fuß fasst, wie schnell wir den Sprung weg von den Futures schaffen. Die #NextGen Finals sind überhaupt kein Thema, da ist er noch zu weit weg. Wenn das passiert, nehmen wir es natürlich. Aber es wäre eine riesige Überraschung. Realistischerweise gibt es einige Spieler, die in seinem Alter noch besser sind. Uns steht viel Arbeit bevor, damit sich Joel in allen Belangen verbessert. Dem werden wir uns widmen. Joel muss jetzt vom Kind zum Tennismann werden.

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Samstag
16.12.2023, 08:02 Uhr
zuletzt bearbeitet: 16.12.2023, 07:36 Uhr

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