Julian Knowle im Interview: „Da blutete mir das Herz“
Julian Knowle hat 26 Jahre auf der ATP-Tour verbracht. Die ehemalige Nummer 86 im Einzel konzentrierte sich ab 2005 voll auf das Doppel, in dem er 2007 die US Open gewann. Im vergangenen März verkündete er sein Karriereende, heute ist er als Trainer von Österreichs Nummer zwei, Dennis Novak, tätig.
von Lukas Zahrer
zuletzt bearbeitet:
29.07.2019, 10:33 Uhr
Im Interview mit tennisnet vor den Generali Open in Kitzbühel spricht Knowle über sein Karriereende, seine beidhändige Technik und gibt Einblicke in die Arbeit mit Novak. Er erinnert sich an zwei emotionale Momente beim ATP-Turnier in der Gamsstadt und erklärt, warum er die gleichen Preisgelder bei Grand Slams zwischen Damen und Herren hinterfragt.
Herr Knowle, wie gefällt Ihnen Ihre neue Rolle als Touring-Coach?
Julian Knowle: Sehr gut, denn ich habe das Gefühl, dass ich Einiges weitergeben kann. Bis zu einem gewissen Grad spiele ich die Matches gedanklich selbst mit. Ich spüre im Körper ein ähnliches Level an Adrenalin, wie wenn ich selbst auf dem Platz stehen würde.
War es Ihr Plan, dass Sie nach ihrer aktiven Karriere eine Trainerrolle übernehmen?
Knowle: Ich hatte keine genauen Vorstellungen, aber die Aufgabe hat mich natürlich interessiert. Nach 26 Jahren im Profigeschäft habe ich einen großen Erfahrungsschatz. Mir ist wichtig, die richtige Altersklasse zu trainieren. Ich bin aktuell gut aufgehoben bei Spielern, die technisch fertig ausgebildet sind und ins Wettkampftennis einsteigen wollen. Um konkrete Schläge von jüngeren Spielern technisch umzulernen, fehlt mir im Moment noch die Erfahrung.
Sie galten mit ihrer beidhändigen Technik in den Grundschlägen als Exot. Wie kam es dazu, dass Sie sowohl Vor- und Rückhand, als auch den Volley beidhändig spielen?
Knowle: Als Jugendlicher war ich klein und schmächtig. Mein Schläger war mir zu schwer. Ich konnte ihn mit nur einer Hand schlichtweg nicht halten. Da nahm ich immer meine zweite zur Hilfe und erlernte mir im Spiel gegen die Wand selbst eine Technik. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, wohin die Reise gehen würde.
Gab es nie einen Trainer, der Ihnen diese Technik ausredete?
Knowle: Es gab einen Präzedenzfall. Im Vorarlberger Tennisverband hatte ich einen um zwei Jahre älteren Kollegen, der ebenfalls alles beidhändig spielte. Er war in seiner Altersklasse ganz vorne dabei. Seine Technik stellten die Trainer auf eine einhändige um, zu einer Profikarriere reichte es in der Folge aber nicht. Daher war es mein großes Glück und Pech zugleich, dass die Trainer meine Technik unberührt ließen. Heute würde ich einem Spieler vom Bihänder sofort abraten. Bei der aktuellen Athletik im Profitennis hättest du damit keine Chance mehr.
Knowle über Dennis Novak: "Harte Matches bringen ihn weiter"
Eine solche Technik mussten Sie Ihrem Schützling Dennis Novak nicht ausreden. Zu Beginn einigten Sie sich auf eine Zusammenarbeit bis Wimbledon. Welche Abmachung gilt aktuell?
Knowle: Die erste Periode verlief für beide Seiten positiv. Dadurch verlängerte sich unsere Zusammenarbeit, ohne je detailliert darüber gesprochen zu haben, bis zum Ende des Jahres.
Sie sollen vor allem im taktischen Bereich einen großen Einfluss auf Novak haben. Wie sieht die Zusammenarbeit im Detail aus?
Knowle: Die Taktik war in meinen Augen immer eine meiner großen Stärken. Ich legte viel wert darauf. Oft ist es an der Umsetzung gescheitert, weil mir mein Spiel zu wenige Möglichkeiten gab. Einerseits soll Dennis ideal auf die Gegner eingestellt sein. Ich analysiere sie im Detail und gebe ihm eine im Idealfall erfolgreiche Taktik mit auf den Platz. Diese Taktik muss auf das Spiel von Dennis ausgerichtet sein. Es macht dabei wenig Sinn, wenn ich von ihm etwa vier Serve-and-Volley-Punkte pro Game verlange. Auf der anderen Seite arbeiten wir in Turnierwochen am Fine-Tuning in seinem Spiel.
Erzählen Sie uns bitte davon.
Knowle: Das geschieht in enger Abstimmung mit Wolfgang Thiem, der mit Dennis in Wien arbeitet. Der Austausch funktioniert ausgezeichnet: Ich notiere, was mir auf der Tour auffällt. Dann trainiert Wolfgang mit Dennis zwischen den Turnieren genau an diesen Punkten. Nach einer Periode in der Südstadt bekomme ich wiederum mitgeteilt, was im Training gut und was weniger gut funktionierte.
In den letzten Wochen wurde bekannt, wie viel Top-Spieler für Datenanalyse und Scouting des Gegners ausgeben. Ist die taktische Vorbereitung in den letzten Jahren deutlich professioneller geworden?
Knowle: Heute haben vor allem junge Spieler in diesem Bereich noch viele Reserven. Es ist eine Frage der Philosophie: Manche behaupten, das eigene Spiel muss so gut sein, dass sich der Gegner anpassen muss. Andere schauen fast nur darauf, was die andere Seite des Platzes macht. Ich bin Fan von einer Mischung beider Komponenten. Man sollte sich nicht komplett verdrehen, aber sollte auch nicht permanent in die Stäken des Gegners spielen.
Was ist mit solch einer gesunden Mischung für Novak in den nächsten Wochen und Monaten möglich?
Knowle: Sein Ziel ist es, im Laufe des Jahres die Top-100 zu knacken. Spielerisch hat er das drauf. Die Ergebnisse der letzten Wochen waren sehr stabil, mit Ausnahme der French Open. Zuletzt hatte er in Gstaad etwas Pech bei der Zulosung der Qualifikanten. Aber ich bin auf lange Sicht nicht unglücklich, wenn er harte Matches bekommt. Auf diesem Niveau hatte er noch nicht allzu viele, und sie werden ihn in Zukunft weiterbringen. Dann ist es eine Frage der Zeit, bis er Leute wie Richard Gasquet oder Pablo Andujar schlägt. Es spricht nichts dagegen, dass er nicht eines Tages in die Top-50 kommen kann.
Zuletzt betreuten Sie zusätzlich das Doppel Oliver Marach/Jürgen Melzer. Arbeiten Sie in Zukunft auch mit dem ÖTV-Duo?
Knowle: Es hat sich in Wimbledon gut ergeben, weil ich ohnehin vor Ort war. Es gab eine Anfrage von Jürgen für die restliche Saison, aber das geht sich aus zeitlichen Gründen nicht aus. Sie spielen oft nicht dieselben Turniere wie Dennis, der in meinen Planungen derzeit Vorrang hat. Zudem versprach ich Marc-Andrea Hüsler (Schweizer Top-300-Spieler, Anm.), bei ein paar Wochen auszuhelfen. Vielleicht ergibt sich bei den US Open etwas, aber wir haben keine fixe Abmachung. In Kitzbühel werde ich nur mit Dennis arbeiten.
Im April waren Sie mit Hüsler bereits ein paar Wochen in Mexiko unterwegs. Das Reisen ist für Sie kein Problem?
Knowle: Meine zwei Kinder sind zu Hause, ich bin aber viel unterwegs. Es ist schon die größte Herausforderung. Ich nehme es aber in Kauf, weil es eben dazu gehört. Wenn der Job von zuhause aus zu machen wäre, wäre es ideal.
Sie leben in Wien und könnten etwa als Trainer im Leistungszentrum in der Südstadt arbeiten.
Knowle: Im Moment ist das für mich nicht vorstellbar. Ich möchte die Matches live sehen und die Atmosphäre spüren. Vor Ort kann ich mich am besten einbringen.
Knowle plant Abschiedsturnier bei US Open 2020
Im vergangenen März fassten Sie den Entschluss, ihre Karriere zu beenden. Wie geht es Ihnen körperlich?
Knowle: Bis zu diesem Zeitpunkt stand ich voll im Training. Seither spielte ich fast gar kein Tennis. Nach jeder Trainingseinheit meldete sich der Körper. Fast jede Woche gab es ein neues Wehwehchen: Sei es der Rücken, die Wade, die Leiste. Ich konnte die nötigen Umfänge eines Profis nicht im Ansatz trainieren.
Sie haben noch ein Protected Ranking. Wollen Sie dieses noch nutzen?
Knowle: Bis September 2020 gilt mein Ranking von 68. Falls ich einen Partner finde, will ich beim einen oder anderen Grand Slam noch einmal Spaß haben und den Auftritt genießen. Ein ernsthaftes Comeback ist aber ausgeschlossen.
Ist Ihnen die Entscheidung schwer gefallen?
Knowle: Es war eine große Herausforderung, mir einzugestehen, dass es nicht mehr reicht. Als ich in Wimbledon auf der Tribüne saß und auf den Platz hinunterschaute, blutete mir das Herz. Ich muss zugeben, das Tour-Leben nicht ausreichend geschätzt zu haben, weil es für mich selbstverständlich war. Inzwischen weiß ich, dass ich auf der Trainerseite besser aufgehoben bin.
Sie schafften es dennoch, sich außergewöhnlich lange auf der Tour zu halten. Wie gelang Ihnen das?
Knowle: Ich kann mich gut erinnern, dass ich ab dem Alter von 32 Jahren bei so gut wie jeder Pressekonferenz die Frage nach meinem Karriereende gestellt bekam (lacht). Durch meinen leichten Körperbau war ich gesegnet, von schweren Verletzungen blieb ich verschont. Abgesehen davon war es eine Motivationsfrage. Bis zuletzt glaubte ich in jedem Training fest daran, mich verbessern zu können. Mein Alter war für mich nie ein Kriterium. Tennisspieler zu sein ist ein großartiger Job.
War es Ihr absoluter Traumberuf?
Knowle: Im „Alltag“ gibt es wenige Berufe, in denen man annähernd so viel verdienen kann wie als Tennisprofi – selbst als Doppelspieler. Außerdem bist du stets dein eigener Chef. Wenn du die größten Turniere der Welt spielen kannst, fehlt es dir an sehr wenig. Abgesehen von den Reisestrapazen ist es ein Leben, von dem viele Menschen träumen. Es gibt zwar in jeder Karriere Rückschläge, aber ich setzte mir immer neue Ziele. Das war essenziell, um nicht die Orientierung zu verlieren.
Haben Sie ein konkretes Abschiedsturnier im Kopf?
Knowle: Ich denke dabei an die US Open 2020. Es wäre schön, am Ort meines größten Triumphes mein letztes Turnier zu spielen.
Dort feierten Sie 2007 an der Seite von Simon Aspelin den Turniersieg im Doppel. Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem damaligen Partner?
Knowle: Wir sind regelmäßig in Kontakt. Zuletzt saßen wir in Bastad länger zusammen. Er ist aktuell noch Turnierdirektor von Stockholm. Da die Lizenz aber weiterverkauft wird, möchte er im Sportmanagement Fuß fassen.
Julian Knowle über Big-3: "Hoffe, sie spielen noch 25 Jahre"
Sind auf der Tour weitere Freundschaften mit anderen Spielern entstanden?
Knowle: Zuletzt hatte ich viel mit Alex Peya zu tun. Uns verbindet eine ähnliche Leidensgeschichte. Auch mit Jürgen Melzer gibt es einen regelmäßigen Austausch. International schreibe ich mit Daniel Nestor häufig. Die Szene der Doppelspieler ist wie eine große Familie.
Am Rande des Wimbledon-Finalwochenendes äußerten Sie sich auf Twitter über die Bezahlung im Profitennis. Sie hinterfragten, ob Damen dieselben Preisgelder wie die Herren bekommen sollten. Was sind Ihre Überlegungen dabei?
Knowle: Ich weiß, dass es ein sehr sensibles Thema ist. Ich will dabei niemandem zu nahe treten. Der Markt bestimmt den Preis. Es reicht aus, die Ticketpreise für das Damenfinale mit jenem der Herren vergleichen. Man merkt sofort, welches Produkt sich besser verkauft. Es soll sich jeder selbst ein Bild davon machen. Das hat auch mit den drei derzeitigen Ausnahmeathleten bei den Herren zu tun.
Sie sprechen über Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic.
Knowle: Sie sind Gold wert für das Tennis. Das Herrenfinale war sensationell. Hoffentlich spielen die noch weitere 25 Jahre. Auch das Halbfinale Federer gegen Nadal war unglaublich – darauf brennen die Leute.
Gutes Stichwort, um kurz vom Tennis abzuschweifen: Eine brennende Leidenschaft für Sie ist der AC Milan. Wie schwer ist es zurzeit, ein Rossonero zu sein?
Knowle: Mir tut es weh, wenn ich auf die andere Seite von Mailand blicke. Mit Antonio Conte als Trainer schätze ich Inter sehr stark ein. Milan wurde von der Europa League ausgeschlossen. Es war ein guter Schachzug, nicht Einspruch einzulegen, denn so bleiben sie weiterhin auf dem Transfermarkt aktiv. Für den Titel hätte es wohl ohnehin nicht gereicht. Ich bin von den möglichen Neuzugängen noch nicht überzeugt, aber die Verantwortlichen wissen sicher besser, was sie tun. Es ist ohnehin egal, wer spielt. Es wird meiner Anhängerschaft keinen Abbruch tun. Ich hoffe, Milan qualifiziert sich bald wieder für die Champions League.
Zum Schluss noch einmal zurück zum Tennis. Die Generali Open in Kitzbühel stehen an. Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an das Turnier?
Knowle: Ich freute mich immer auf das Turnier, auch wenn ich in der Höhe nie besonders gut zurechtkam. Mir kommen zwei Ereignisse in den Sinn. Mit 18 Jahren eröffnete ich im Jahr 1992 mit einer Wild Card den Center Court. Nach sechs Matchbällen verlor ich die Partie gegen Christian Saceanu. Ein richtig bitterer Moment.
Sie haben aber auch eine positive Erinnerung?
Knowle: 20 Jahre später schloss ich Frieden mit der Niederlage. Im Jahr 2012 holte ich nach einigen abgewehrten Matchbällen mit Frantisek Cermak den Titel im Doppel. Bei der Siegerehrung war meine kleine Tochter dabei. In Wien hat es in fünf Finals nie gereicht, deshalb hat mich der Sieg in Kitz besonders gefreut.