Jurij Rodionov im tennisnet-Interview: „Mein Ziel ist es, mich in den Top-100 der Welt zu etablieren“
Jurij Rodionov darf auf ein bisher erfolgreiches Jahr 2020 zurückblicken, gewann im Februar gleich zwei Titel auf der Challenger-Tour. Im Interview mit tennisnet spricht der Österreicher über Neo-Trainer Javier Frana, seine lang- und kurzfristigen Pläne und erzählt, wie seine Russisch-Kenntnisse Jannik Maden und Mats Moraing in Nur-Sultan weitergeholfen haben.
von Michael Rothschädl
zuletzt bearbeitet:
27.03.2020, 14:23 Uhr
tennisnet: Ihr letztes Turnier vor der Unterbrechung haben Sie in Nur-Sultan gespielt. Hier gab es einen Zwischenfall mit deutschen Spielern wie Jannik Maden, die frühzeitig abreisen mussten, um nicht in Quarantäne gesteckt zu werden. Haben Sie ähnliche Erfahrungen in Kasachstan gemacht?
Jurij Rodionov: Im Prinzip waren es die gleichen. Das Problem mit den deutschen Spielern war, dass ihr Land zusammen mit Spanien und Frankreich besonders strikt eingestuft wurden. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie, wenn sie am Donnerstag nicht ausreisen, am Freitag in Quarantäne gesteckt werden. Das habe ich ihnen mitgeteilt, weil ich relativ gut russisch spreche. Ich habe das mitbekommen und ihnen gesagt, dass es jetzt ernst wird. Sie sollten ihr Konsulat anrufen und fragen, was sie tun sollen. Es war ein bisschen ein komisches Gefühl beim Turnier, weil irgendwie wollte niemand spielen. Jeder hat gefühlt, dass irgendwas nicht stimmt, dass das Turnier jederzeit abgebrochen werden könnte. Das war ein komisches Gefühl als Tennisspieler, denn normalerweise fährt man auf ein Turnier und will das Turnier spielen, fährt hin, um so gut zu spielen wie möglich. Das war eine sehr komische und bizarre Situation.
tennisnet: Immer wieder wurde der ATP schlechte Kommunikation im Zusammenhang mit der Coronakrise vorgeworfen – wie haben Sie den Austausch mit der ATP in den letzten Wochen erlebt?
Rodionov: Ideal war es nicht, weil niemand auf den Turnieren, nicht der Turnierdirektor, nicht der Supervisor, richtig gewusst hat, was wir machen sollen. Deswegen hat es mir persönlich kein wirklich gutes Gefühl gegeben, dieses Turnier zu spielen. Ich hatte nicht wirklich eine Sicherheit. Da hätte ich mir von der ATP ein bisschen mehr Kommunikation, mehr E-Mails erwartet. Aber für sie ist es auch keine leichte Situation. Auch für sie ist es das erste Mal, dass eine solche Pandemie ausbricht. Im Endeffekt war es aber nicht so schlimm, denn wir sind alle heil nach Hause gekommen.
tennisnet: Wie sieht ihr Training derzeit aus?
Rodionov: Mein Training besteht aus Ausdauerläufen und Stabilisationstraining. Ich gehe täglich laufen und absolviere jeden Tag ein Stabilisations-Programm. Das war es eigentlich. Ich versuche außerdem, auf meine Ernährung zu achten, mein Gewicht zu halten.
tennisnet: Weiß man schon, wann wieder auf dem Tennisplatz trainiert werden kann?
Rodionov: Leider weiß ich das nicht. Ich glaube, das offizielle Datum im Moment ist der 13. April, wobei das auch verlängert werden könnte. Ich hoffe, spätestens am 13. April. Das wichtigste ist aber, dass das Coronavirus sich nicht weiter verbreitet. Wenn die Zahlen geringer werden, dann kann man weiterschauen.
Das gibt mir viel Selbstvertrauen, das ich auf dem Platz ausstrahle.
Jurij Rodionov
tennisnet: Im Vorjahr haben Sie sich unter die Betreuung von Wolfgang Thiem begeben. Und seitdem scheint es für Sie wieder wirklich prächtig zu laufen – was hat sich für Sie konkret verändert?
Rodionov: Ich habe ein ideales Umfeld, habe sehr erfahrene Leute um mich, die mir in vielen Bereichen helfen können. Ich habe großes Vertrauen zu Wolfgang Thiem, Florian Pernhaupt, meinem Athletiktrainer, zu Javier Frana, meinem Touringcoach. Ich habe ein sehr umfangreiches Team, das mir sehr viel Selbstvertrauen gibt, das ich auch am Platz ausstrahle.
tennisnet: Javier Frana ist auch jener Name, der mit ihren Erfolgen im Februar immer wieder in Verbindung gebracht wird. Wie gestaltet sich das Training mit dem Argentinier?
Rodionov: Ich habe eigentlich nicht viel mit ihm trainiert, weil wir nur drei Wochen miteinander unterwegs waren. Für Individualtraining gab es jetzt keine Zeit. Wo er mir am meisten geholfen hat, war im mentalen Bereich, wie ich ins Match gehen soll, was ich in gewissen Situationen machen und denken soll. Er hat mir einen Matchplan gegeben, den ich auch ausgeführt habe.
tennisnet: Javier Frana hat unlängst in einem Interview gemeint, die Aufgabe eines Trainers sei es, dem Spieler dabei zu helfen, seine Identität zu finden. Haben Sie Ihre schon gefunden?
Rodionov: Ich würde sagen, dass es ein wandelnder Prozess ist. Man ist nie an der Spitze seiner Entwicklung, man kann sich immer weiterentwickeln, immer verbessern. Und genauso ist es mit der Identität eines Spielers. Aber Javier Frana hat damit natürlich recht. Er hat mir auch dabei geholfen, meinen Spielstil am Platz zu zeigen und hat mir beigebracht, was meine Stärken und Schwächen sind. Ich bin mir sicher, dass ich in den nächsten Monaten hart trainieren und noch besser werde.
tennisnet: Planen Sie eine längerfristige Zusammenarbeit mit Javier Frana?
Rodionov: Ja, die ist längerfristig geplant.
Nach der Coronakrise will ich einige ATP-250-Events spielen.
Jurij Rodionov
tennisnet: Im Februar hatten Sie gefühlt keinen Tag Pause. Wollen Sie diesen prall gefüllten Turnierplan die ganze Saison durchziehen?
Rodionov: Als ich nach Amerika geflogen bin, bin ich nicht mit der Erwartung dorthin gereist, dass ich zwei Challenger gewinnen und eine Semifinale spielen werde. Deswegen habe ich einfach jedes Match, jede Partie und jeden Sieg mitgenommen. Jetzt mit dem Virus ist es schwer zu sagen, weil jeder Spieler über mehr als zwei Monate kein Turnier spielen wird. Deswegen wäre es schon geplant, dass ich viele Turniere spielen werde. Ob es dann wirklich vier Turniere hintereinander werden, das weiß ich noch nicht. Da müssen wir abwarten, bis die Saison fortgesetzt wird.
tennisnet: Aktuell waren Sie eigentlich nur auf der Challenger-Tour unterwegs. Ist in diesem Jahr noch der Sprung auf die ATP-Tour geplant?
Rodionov: Auf jeden Fall, ich hatte ja eigentlich im Turnierplan nach Nur-Sultan einige Qualifikationen für ATP-250-Events vorgesehen, daraus ist leider nichts geworden. Nach der Coronakrise will ich schon einige 250er spielen – so circa 50:50 machen, vielleicht etwas mehr Challenger.
tennisnet: Durch Ihren Sprung im Ranking schaut es ja für die Qualifikationsfelder auch nicht schlecht aus…
Rodionov: Sehr gut sogar. Standpunkt jetzt wäre ich fast in jedem 250er in der Qualifikation, darauf lässt sich bauen. Und ja, ich freue mich schon – wie jeder Tennisspieler – wenn die Coronakrise vorbei ist, wieder Turniere zu spielen. (lacht)
tennisnet: Beim Davis-Cup mussten Sie Ihr Einzel zwar verloren geben, haben sich gegen Pablo Cuevas aber in starker Verfassung präsentiert. Welchen Stellenwert hat der Erfolg über Uruguay trotz Ihrer Einzelniederlage?
Rodionov: Natürlich einen großen. Vor allem daheim, in Premstätten, einen Sieg zu holen, war etwas ganz Besonderes. Ich muss sagen, ich bin gar nicht einmal so enttäuscht: Ich habe super gespielt, habe einen Ex-Top-20-Spieler an den Rand einer Niederlage gebracht. Die Stimmung war geil, das waren einfach super zwei Tage, die wirklich jeder im Team genossen hat. Ich bin stolz auf die Mannschaft.
Top-100 als großes Ziel
tennisnet: Direkt nach Ihrem Sieg über Uruguay wurde bekannt, dass es im ÖTV intern zu einem Konflikt mit Wolfgang Thiem gekommen ist. Thiem ist aber für Dennis Novak, Sebastian Ofner, Sie und natürlich Dominic Thiem verantwortlich. Können Sie zum jetzigen Zeitpunkt sagen, ob dieser Konflikt Auswirkung auf das Team, welches bei den Davis-Cup-Finals antreten wird, haben wird?
Rodionov: Ich glaube nicht, dass es Auswirkungen haben wird. Wo man trainiert ist eine Sache, aber das hat mit dem Davis Cup nichts zu tun. Denn der Davis Cup ist etwas ganz Besonderes, der Dennis (Anm. Dennis Novak) und der Ofi (Sebastian Ofner), die reißen sich jedes Mal darum, den Davis Cup zu spielen. Deswegen denke ich nicht, dass es irgendwelche Konsequenzen für den Davis Cup hat.
tennisnet: Sie haben jetzt im Februar eindrucksvoll bewiesen, dass sie auch Top-100-Spieler schlagen können. Was sind Ihre persönlichen Ziele für Ihre weitere Karriere?
Rodionov: Auf jeden Fall mich in den Top-100 zu etablieren, jahrelang gutes Tennis zu spielen, mein Spiel durchzuziehen und einfach Spaß zu haben. Und vielleicht ein bisschen was für die Pension zu verdienen.
tennisnet: Sie sagten „gutes Tennis zu spielen“: Im Februar haben Sie sich sehr stark präsentiert, wie viel Luft nach oben bleibt da noch?
Rodionov: Ich würde sagen, dass es immer Luft nach oben gibt – bei jedem Tennisspieler. Weil sonst gibt es keinen Grund, warum wir sechs Stunden am Tag am Platz stehen und trainieren. Bei mir ist definitiv noch Luft nach oben, aber das Niveau, das ich in den letzten Monaten – insbesondere im Februar – gezeigt habe, das war schon sehr gut. Das hat mich selbst sogar ein wenig überrascht, muss ich sagen. Nach der Pause muss ich jetzt an diese Leistungen, an diese Resultate anknüpfen. Aber ich werde in nächster Zeit auf jeden Fall alles dafür geben, dass ich das schaffe.