"Williams-Duell? Habe mich zurückgehalten"

Sein wilder Aufschlag wurde zum Markenzeichen, sein Duell mit Serena und Venus Williams legendär: Karsten "Katze" Braasch. Im Interview mit SPOX und Tennisnet spricht der 49-Jährige über seine Reise um die Tennis-Welt, den Geschlechterkampf in Australien, bemerkenswerte Begegnungen mit Superstars wie Pete Sampras, den Werdegang von Boris Becker und sein Image, das auch durch Kippen und Bierchen geprägt wurde.

von Felix Götz
zuletzt bearbeitet: 28.06.2017, 11:56 Uhr

Karsten Braasch (r.) gewann im Laufe seiner Karriere sechs ATP-Doppel-Titel

SPOX/Tennisnet: Herr Braasch, im März haben Sie die deutschen Hallenmeisterschaften im Einzel und im Doppel gewonnen und angekündigt, in Ihrer Altersklasse die Nummer 1 der Welt werden zu wollen. Sind Sie auf einem guten Weg?

Karsten Braasch: Ich will zumindest in absehbarer Zeit die Nummer 1 in Deutschland werden. Ich behaupte, dass es derzeit keinen besseren 50er in Deutschland gibt als mich - und das soll die Rangliste darstellen. Aktuell belege ich nämlich nur Platz drei, die größeren Turniere stehen aber jetzt erst an. Anfang Juli spiele ich in Essen und in Barcelona, Ende des Jahres fahre ich zur Weltmeisterschaft. Die steigt in Miami und tut deshalb gar nicht weh. (lacht)

SPOX/Tennisnet: Dann sind Sie also immer noch viel unterwegs?

Braasch: Die Reisestrapazen und der Stress halten sich in Grenzen. Als ich beispielsweise das letzte Mal in Barcelona war, habe ich das direkt genutzt, um mit meiner Freundin Urlaub zu machen. Das war großartig, weil Spielbeginn nie vor 18 Uhr war. Man konnte tagsüber Sightseeing machen und Spaß haben, abends hat man dann noch ein bisschen Tennis gespielt.

SPOX/Tennisnet: Selbst spielen ist die eine Sache, Ihr Hauptaugenmerk richtet sich allerdings auf das Coaching. Wen trainieren Sie denn so?

Braasch: Kinder, Jugendliche, Erwachsene - alles ist dabei. Ich bin in mehreren Vereinen und auch ein bisschen privat tätig. Drei Mal in der Woche helfe ich einem befreundeten Tennistrainer in Velbert, einmal die Woche bin ich in Langenfeld. Und zwei Mal die Woche bin ich in Köln und spiele mit der Tochter eines Mannschaftskollegen, die ziemlich ambitioniert ist. So habe ich eine schöne Abwechslung in meinem Leben.

SPOX/Tennisnet: Käme es für Sie theoretisch in Frage, als Coach noch einmal auf der ATP-Tour unterwegs zu sein?

Braasch: Früher hätte ich gesagt, dass das genau das ist, was ich machen will. Jetzt fühle ich mich aber mit meiner Lebenssituation sehr wohl. Ich sag mal so: Ich will es nicht ausschließen. Falls ein Angebot kommen sollte, müsste es sich lohnen. Es ist sicher nicht der einfachste Job, von einem Spieler oder einer Spielerin abhängig zu sein. Wenn der oder die dann irgendwann keine Lust mehr auf einen hat, ist das relativ doof.

SPOX/Tennisnet: Sie sind im Ruhrgebiet groß geworden, wo bekanntlich so ziemlich jeder Junge Fußballer werden möchte. Wie kamen Sie zum Tennis?

Braasch: Ich habe erstmal mit Leichtathletik angefangen. Sprinten, Weitsprung, Weitwurf - da war ich recht gut drin. Dann bekam ich Wachstumsstörungen in der Hüfte und durfte ein Jahr keinen Sport treiben. Als ich grade wieder mit Leichtathletik angefangen hatte, ging der ganze Mist in der anderen Hüfte los. Wieder musste ich aussetzen. Da mein Vater die acht oder zehn Mark Mitgliedsbeitrag pro Monat nicht umsonst bezahlen wollte, meldete er mich ab. Als ich wieder fit war, wollte ich wieder Leichtathletik machen, doch der Verein forderte, dass ich eine neue Aufnahmeprüfung mache. Das war meinem Papa zu doof. Er nahm mich mit in den Tennisklub, wo ich erstmal umsonst mitmachen durfte, weil er Mitglied war. Dann bekam ich ein paar Trainerstunden, hatte Spaß und war relativ schnell erfolgreich.

SPOX/Tennisnet: Wussten Sie damals schon, dass es zum Profi reichen könnte?

Braasch: Nein. Ich wurde mit 12 Jahren zwar Vize-Westfalenmeister und war zwei Jahre später in meiner Altersklasse die Nummer fünf oder sechs in Deutschland. An eine Profikarriere dachte ich trotzdem nicht. Ich hatte einfach tierischen Spaß und machte immer weiter. Dann kamen viele Kleinigkeiten, Zufälle und glückliche Umstände dazu, die mich haben immer besser werden lassen. Mit 18 wurde ich schließlich deutscher Jugendmeister. Aber: Die gleichaltrigen Spieler wie Boris Becker oder Carl-Uwe Steeb waren zu diesem Zeitpunkt längst Profis. Nur mal zur Einordnung: Als Boris 1985 Wimbledon gewann, war ich beim Juniorenturnier in Wimbledon dabei - und habe in der zweiten Runde verloren.

SPOX/Tennisnet: Wann erfolgte der Schritt zum Profi?

Braasch: Erstmal machte ich Abitur, musste dann zur Bundeswehr. Dort hatte ich das Glück, nach drei Monaten in eine Sportförderkompanie zu kommen. In dieser Zeit gab es immer häufiger den Gedanken, es einfach mal als Profi zu versuchen. Das habe ich schließlich auch gemacht.

SPOX/Tennisnet: Wie lief es am Anfang?

Braasch: Am Ende des ersten Jahres stand ich in der Weltrangliste irgendwo so um Nummer 360 herum. Ein Jahr später war es die Nummer 250. Ich bin einfach dabeigeblieben und es hat immer besser funktioniert. Ab der zweiten Jahreshälfte 1993 spielte ich dann sehr anständig.

SPOX/Tennisnet: Sogar verdammt gut. 1994 erreichten Sie die beste Platzierung Ihrer Karriere und standen auf Rang 38 der Welt. Von 1992 bis 1995 standen Sie bei 15 von 16 Grand-Slam-Turnieren im Hauptfeld. Welche Highlights sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Braasch: Das größte Highlight für mich war der Davis Cup 1994 gegen Spanien in Halle, als ich an der Seite von Michael Stich im Doppel antrat und wir die Partie gewannen. Wie wir gefeiert wurden, diese Emotionen, als die Nationalhymne gespielt wurde - diese Stimmung werde ich niemals vergessen.

SPOX/Tennisnet: Sie setzten aber auch Ausrufezeichen, als Sie auf sich alleine gestellt waren.

Braasch: Stimmt. 1994 in Hamburg schlug ich Ivan Lendl, in Key Biscayne Stefan Edberg. In San Jose spielte ich einmal ein fantastisches Match gegen Michael Chang. Das habe ich zwar verloren, wenn aber 10.000 Amerikaner 20 Minuten nach dem Spiel - ich hatte so lange Autogramme geschrieben - einen mit Standing Ovations verabschieden, ist das auch ein großartiges Gefühl.

SPOX/Tennisnet: Und dann wäre da noch der Auftritt gegen Pete Sampras 1995 in Wimbledon, als sie 6:7, 7:6, 4:6 und 1:6 den Kürzeren zogen.

Braasch: Ich durfte in Wimbledon das Turnier auf dem Center Court gegen den Titelverteidiger eröffnen. Mit meiner Spielweise brachte ich die Zuschauer auf meine Seite und machte Sampras lange Zeit das Leben schwer.

SPOX/Tennisnet: Ihre Spielweise war von einem ziemlich speziellen Aufschlag geprägt, der im Laufe der Jahre zu einem richtigen Markenzeichen wurde.

Braasch: Nennen wir ihn einmal etwas unkonventionell. (lacht) Klar, der trug dazu bei, dass mich die Leute irgendwie mochten, weil man so einen Aufschlag nicht so häufig zu sehen bekommt. Aber am Ende zählt nur das, was rauskommt. Und die Qualität war bei meinem Aufschlag zumindest phasenweise vorhanden.

SPOX/Tennisnet: Auch der Rückhand-Slice war bei Ihnen ziemlich speziell.

Braasch: Den musste ich einsetzen, weil ich Rückhand-Topspin nicht konnte. Ich habe wirklich alles versucht. Beidhändig, einhändig - nichts hat funktioniert.

SPOX/Tennisnet: Ab 1996 ging es erstmal bergab. Warum?

Braasch: Ich hatte mir einen Bandscheibenvorfall eingefangen, musste operiert werden, fiel ein halbes Jahr aus, verlor meinen Ranglistenplatz und musste wieder in der Quali oder bei Challenger-Turnieren spielen. Mir wurde damals klar, dass ich noch härter als vorher trainieren müsste, um nochmal unter die ersten 100 zu kommen. Da ich schon fast 30 war, sagte ich mir: Ne, das ist mir zu anstrengend. Schließlich konzentrierte ich mich in den letzten Jahren meiner Karriere auf das Doppel.

SPOX/Tennisnet: Die letzte Zeit Ihrer Laufbahn war die Zeit nach Boris Becker, Steffi Graf und Michael Stich. Und damit die Zeit, in der Nicolas Kiefer herauskam, Tommy Haas mal die Nummer 2 der Welt war oder Rainer Schüttler das Finale der Australian Open erreichte - also durchaus erfolgreiche Spieler. Trotzdem hatte man den Eindruck, dass für die verwöhnten deutschen Fans und die Medien nichts gut genug war. Das war ziemlich ungerecht, oder?

Braasch: Ja, das war unfair. Rainer war mal die Nummer 4 oder 5 in der Welt, Tommy wie schon angesprochen die Nummer 2. Wenn ich der zweitbeste Sportler in meiner Sportart bin und es immer nur heißt: 'Der hat keinen Grand-Slam-Titel gewonnen, der hat hier wieder verloren' oder was weiß ich nicht alles. Man geht in Deutschland sehr kritisch mit seinen Sportlern um - nicht nur im Tennis. Man wird immer mit vergangenen Helden verglichen und kann so kaum mehr gut wegkommen. Der Sport ist und war schon immer ein schnelllebiges Geschäft. Nur ganz große Sportler wie beispielsweise Boris haben eine längere Halbwertszeit.

SPOX/Tennisnet: Apropos Becker. Ganz abgesehen von den jüngsten Meldungen über angebliche Geldsorgen hat er sich in den vergangenen Jahren in der Gunst der Deutschen durch seine Tätigkeit als Trainer von Novak Djokovic oder als TV-Experte wieder weit nach vorne gebracht. Zuvor hatte man, Stichwort Fliegenklatschenmütze, teilweise Mitleid. Wie bewerten Sie seine Entwicklung?

Braasch: Boris hat unglaublich viel Ahnung von diesem Sport. Das hat er sowohl als Djokovic-Coach als auch als TV-Experte bewiesen. Gerade als TV-Experten finde ich ihn fantastisch. Den ganzen anderen Quatsch, den er zuvor mit Pocher und so weiter gemacht hat, den braucht kein Mensch. Boris gehört einfach zum Tennis, da ist er gut aufgehoben. Das ist bei mir ähnlich. Ich will nichts anderes als Tennis und wahrscheinlich kann ich auch nichts anderes. Denn da hab ich in meinen Augen richtig Ahnung von. So ist es bei Boris auch. Er soll das machen, was er kann.

SPOX/Tennisnet: Wie war während der Karriere Ihr Verhältnis zu Becker?

Braasch: Neutral, würde ich sagen. Boris hatte immer seinen Stab mit Physiotherapeut, Bespanner und Trainer - da gab es wenig Berührungspunkte. Natürlich ist man sich mal über den Weg gelaufen und hat sich dann auch begrüßt, aber wir waren in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal gemeinsam beim Abendessen oder so. Das war mit anderen Spielern, die wie ich ohne Coach durch die Welt gereist sind, anders. Da hat man auch mal abseits des Platzes Zeit miteinander verbracht.

SPOX/Tennisnet: Das Leben auf der Tour ist besonders. Sie haben Ihre Karriere aber auch dazu genutzt, um über den Tellerrand hinauszublicken, oder?

Braasch: Ich habe es als Privileg empfunden, um die Welt reisen zu dürfen und hatte auch immer das Gefühl, dass ich gerne wiedergesehen wurde. Ich war in Ländern, in die viele andere Menschen in ihrem ganzen Leben nicht kommen. Und natürlich habe ich versucht, Land und Leute kennenzulernen. Mal zwei Tage an ein Turnier dranzuhängen, mal mit dem Leihwagen in Australien die Küste entlang zu fahren. Man muss ja nicht nur Tennisplatz, Hotel und Restaurant sehen. Das hat mir viel für mein Leben gebracht. Auch Dinge zu sehen, die mir bewusst gemacht haben, wie gut es mir geht.

SPOX/Tennisnet: An welche Situation denken Sie dabei?

Braasch: Wenn ich in Indien auf dem Weg vom Hotel zur Anlage durch einen Slum gefahren bin, dann konnte ich nur dankbar sein für das Leben, das ich führen darf. Mir ist natürlich bewusst, dass es auch in den USA oder in Deutschland Menschen gibt, denen es nicht sonderlich gut geht. Trotzdem können wir in Deutschland nur dankbar sein, vor allem wie vergleichsweise sicher wir nach wie vor leben.

SPOX/Tennisnet: Für einen Spieler wie Sie, der meist nicht zur absoluten Spitze zählte, war das Touren finanziell gar nicht so einfach. Sie haben einmal erzählt, dass es eine Saison gegeben habe, in der Sie sogar draufgezahlt haben.

Braasch: Das stimmt. Das war in dem Jahr, als ich es im Einzel nach meiner Verletzung noch einmal versucht habe und im Doppel noch nicht ganz so gut war. Ich hatte zuvor aber gut verdient und kam entsprechend gut durch. Hätte ich die ersten fünf Jahre meiner Laufbahn Minus gemacht, hätte ich wahrscheinlich aufgehört.

SPOX/Tennisnet: Wie schwierig war der Anfang?

Braasch: Da hatten einige von uns Glück, dass sie die Bundesliga im Rücken hatten. Wir erhielten von den Vereinen Geld, mit dem wir reisen konnten. Die Zeiten waren damals eben anders. Gerade in den letzten Jahren sind die Preisgelder richtig gestiegen. Für die erste Runde bei den diesjährigen French Open gab es 35.000 Euro. In Australien gab es dieses Jahr um die 130.000 für die dritte Runde. Ich stand auch mal in Melbourne in der dritten Runde - und habe 21.000 bekommen. Für die erste Runde gab es bei meinen ersten Australian Open um die 6000 Dollar. Wenn du heute unter den ersten 100 bist, verdienst du sehr gut. Ich stelle das nur fest, beklage mich in keiner Weise.

SPOX/Tennisnet: Sie waren außerdem als Lebemann verschrien, der sich gerne mal ein Bierchen und ein paar Zigaretten gönnte. Nervt Sie dieses Image eigentlich?

Braasch: Ich habe mich nie über mein Image beschwert. Ich habe Zeit meines Lebens geraucht und das auch nie versteckt. Ich war nur ein bisschen unglücklich darüber, dass das sehr häufig erwähnt wurde in den Medien. Man muss das nicht so breittreten, das ist meine Privatsache. Wir wissen alle, dass Rauchen schlecht ist. Mein Gedanke war immer: Vielleicht bin ich für den einen oder anderen jungen Tennisspieler ein Vorbild. Was sollen Eltern diesen Kindern erzählen, wenn sie mit dem Rauchen anfangen. Dann heißt es: 'Das macht der Karsten doch auch.' Diese Vorstellung gefiel mir nie. Und das mit dem Biertrinken wurde häufig übertrieben dargestellt.

SPOX/Tennisnet: Inwiefern?

Braasch: Wenn ich zum Abendessen mal zwei oder drei Bier getrunken habe, weil es mir einfach geschmeckt hat, dann war das doch in Ordnung. Das hat aber manchmal ganz merkwürdige Ausmaße in den Medien angenommen. Ich erinnere mich noch an eine Geschichte einer Hamburger Boulevardzeitung 1994. Ich hatte in Hamburg Lendl geschlagen, bekam dann aber von Yevgeny Kafelnikov so richtig den Arsch versohlt. In der Zeitung stand am nächsten Tag, dass das ja nicht anders zu erwarten gewesen sei, weil Karsten Braasch natürlich wieder als letzter die Spieler-Party verlassen hätte. Aber ich sage Ihnen mal was: Ich bin gar nicht auf der Party gewesen. Ich habe mir einen Redakteur dieser Zeitung zur Brust genommen. Aber was erst einmal verbreitet wurde, wirst du kaum wieder los.

SPOX/Tennisnet: Nicht nur die Medien, auch mancher Kollege von Ihnen hat zu diesem Image beigetragen. Thomas Muster erzählte einmal in einem Interview, dass Sie während eines Matches bei den Australian Open den Schiedsrichter gefragt hätten, ob man hier rauchen dürfe. Als dieser verneinte, seien Sie zum Qualmen auf die Toilette gegangen.

Braasch: Die Geschichte stimmt nicht. Das Ganze spielte sich bereits eine Woche vorher in Sydney ab und war wie folgt: Ich fragte den Supervisor, ob ich theoretisch während eines Matches Pause machen darf, um eine zu rauchen. Ob das überhaupt ginge. Er hat dann im Regelbuch gesucht und gesagt, dass das nicht erlaubt sei. Während er im Regelbuch blätterte, kamen einige Leute vorbei und bekamen mit, worum es geht. Dann machte die Geschichte die Runde und es wurde erzählt, dass ich es gemacht hätte. Dabei fragte ich nur, ob man denn rauchen dürfte.

SPOX/Tennisnet: Mit der legendären Geschichte um ihre Duelle mit Serena und Venus Williams in Melbourne 1998 ist es ähnlich. Die Story, als Sie im Geschlechterkampf zunächst Serena mit 6:1 und dann Venus mit 6:2 geschlagen haben, gibt es in den verschiedensten Varianten. Also: Wie kam es wirklich zu diesem Auftritt?

Braasch: Angefangen hat es damit, dass Serena und Venus nachgefragt haben, ob es eine Regel gebe, wonach Frauen nicht auf der Herren-Tour mitspielen dürfen. Diese Regel gab es nicht. Als ich einen oder zwei Tage später im ATP-Büro war, kamen beide wieder und meinten, sie hätten jemanden gesehen, den sie schlagen könnten. Sie hatten allerdings keine Ahnung, wen sie gesehen hatten. Also studierten die beiden den Media Guide und suchten nach dem Spieler. Sie fanden ihn aber zunächst nicht.

SPOX/Tennisnet: Was geschah dann?

Braasch: Irgendwann wurden Serena und Venus gefragt, was sie glauben, ab welcher Ranglistenposition sie einen Profi bezwingen würden. Sie antworteten: Ab der Nummer 200. Ich war damals die 203 der Welt und meinte, dass wir das gerne ausprobieren können. Ich hatte ohnehin nichts mehr zu tun und flog erst in der nächsten Woche weiter in die USA.

SPOX/Tennisnet: Haben die beiden die Herausforderung sofort angenommen?

Braasch: Venus und Serena sind erstmal gar nicht darauf eingegangen. In der Zwischenzeit hatten sie den Spieler gefunden, es handelte sich um Francisco Clavet, der damals im Achtelfinale stand. Da wäre ich beinahe vor Lachen am Boden zusammengebrochen. Gegen den hätten die Williams-Schwestern vermutlich keinen Punkt gewonnen, weil der so gut wie keinen Fehler machte und sich sehr gut bewegte.

SPOX/Tennisnet: Wie ging es weiter?

Braasch: Venus und Serena gingen wieder und die von der ATP fragten mich, ob ich das wirklich machen würde. Ich sagte zu. Die ATP ging schließlich auf die WTA zu, die ging zu den Williams-Schwestern und dann sagten auch die zu.

SPOX/Tennisnet: Das Match stieg schließlich an einem Dienstag - ein Satz gegen Serena, einer gegen Venus.

Braasch: Und medientechnisch war ganz schön was los, weil Serena und Venus nach ihrem Doppel in der Pressekonferenz meinten: 'Das war heute einfach, aber morgen kommt ein hartes Match.' Da bohrten die Journalisten natürlich nach und Serena verriet, dass sie gegen einen Mann antreten werde. Sie hatte übrigens keine Ahnung, wer ich bin und konnte nicht mal meinen Namen nennen. Schließlich waren beim Match auf Platz 17 nahezu alle Presseleute dabei, die überhaupt beim Turnier anwesend waren.

SPOX/Tennisnet: Haben Sie mal dran gedacht, was los gewesen wäre, wenn Sie verloren hätten?

Braasch: Nein. Mir war völlig klar, dass ich nicht verlieren kann. Im Endeffekt habe ich mich dann auch noch - ich weiß, das klingt böse - zurückgehalten. Ich setzte meinen ersten Aufschlag überhaupt nicht ein, sondern spielte den Ball einfach nur rein.

SPOX/Tennisnet: Waren die Williams-Sisters nach dem Match nicht beleidigt?

Braasch: Beleidigt waren sie nicht, sie haben es relativ sportlich genommen. Ein paar Monate später traf ich Venus bei den French Open wieder. Ich sah sie schon aus einiger Entfernung auf mich zukommen und merkte, dass sie versucht hat, mich nicht zu sehen. Sie schaute bewusst an mir vorbei. Ich grinste nur und schaute ihr noch einige Meter hinterher. Plötzlich drehte sie sich um und sagte: 'Karsten. Das, was in Australien stattgefunden hat, ist nie passiert.'

SPOX/Tennisnet: Wie haben die männlichen Kollegen auf Ihren Triumph reagiert?

Braasch: Verrückt war, dass das australische Fernsehen während einer Pause auf dem Center Court live zu unserem Match geschaltet hat. So konnten einige Spieler die Partie von ihrem Hotelzimmer aus verfolgen - auch Sampras. Er kam später auf mich zu und meinte nur: 'Gut gemacht, Junge.'

SPOX/Tennisnet: Ihr Bekanntheitsgrad ist durch diesen Auftritt nach oben geschossen, oder?

Braasch: Definitiv. Diese Geschichte ist mit meinem Namen verbunden und war weltweit ein Thema. Es würde mich nicht wundern, wenn die Geschichte im nächsten Jahr bei den Australian Open noch einmal ausgegraben wird. Dann feiern wir nämlich 20-jähriges Jubiläum. (lacht)

von Felix Götz

Mittwoch
28.06.2017, 11:56 Uhr