Kevin Krawietz und Andreas Mies - Zwei höllisch gute Partner im siebten Himmel
82 Jahre lang hat es gedauert - nun aber hat mit Kevin Krawietz und Andreas Mies endlich wieder ein rein deutsches Doppel einen Titel bei einem Grand-Slam-Turnier gewonnen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
10.06.2019, 14:45 Uhr
Es war in aller Herrgottsfrühe am Pfingstsonntag, zu sehr vorgerückter Stunde, als Andreas Mies noch einmal der Gedanke in den Kopf schoß: „Das alles ist doch ein Witz hier, oder?“
Er bejahte es für sich. Es war ja wirklich ein Witz. Ein „richtig dickes Ding“. Ein „Hammer“. Aber, vor allem: Es war ein irrer deutscher Grand Slam-Sieg, ein Sieg wie kein anderer jemals zuvor. Schwarz-rot-goldene Tennisgeschichte im Doppel, ganz urplötzlich in Paris. Mies (28), der Kölner, war ein Teil dieser Underdog-Saga, dieser Tellerwäscher-Millionärs-Nummer, der andere Teil war Kevin Krawietz (27), das ewige Talent aus Coburg, Juniorensieger in Wimbledon mal vor zehn Jahren, aber danach auch in der Versenkung verschwunden.
Karnevalsfeier mitten in Paris
Nun waren sie, gekrönt am 8. Juni 2019, French Open-Gewinner, die ersten deutschen Champions seit den fernen Tagen von Gottfried von Cramm und Henner Henkel 1937 (French Open, US Open). Zwei höllisch gute Partner im siebten Himmel, ebenso ungläubig wie überglücklich nach einem Siegeslauf ohne Beispiel, nach einer wunderlichen Abenteuerreise. „Es ist Wahnsinn, es ist verrückt ohne Ende, es ist nicht in Worte zu fassen“, sagte Krawietz leicht verwirrt, auch noch einen Tag nach dem 6:2, 7:6-Sensationscoup gegen die Franzosen Jeremy Chardy/Fabrice Martin. Da lag hinter ihm und Kumpel Mies eine Karnevalsfeier mitten in Paris, mit viel Humba-Humba-Täterä, viel Halligalli, viel Schampus, viel Wein und Bier. „Es ging hoch her, sehr hoch sogar. Man wird nicht jeden Tag Grand-Slam-Sieger“, meinte Mies. Den Eiffelturm wollten sie eigentlich auch noch abreißen im Rausch der Nacht, aber dann ließen sie ihn in Ruhe, am Morgen danach stand das Wahrzeichen noch.
Aber anderswo, auf der Grand Slam-Anlage von Roland Garros, waren die Grundfesten und Gewißheiten schon erschüttert, deutlich ins Wanken geraten. Krawietz und Mies, konnten diese beiden unbekannten Deutschen aus der Zweiten Liga wirklich Grand Slam-Sieger sein, ein Duo, das zum allerersten Mal bei den French Open sein Glück versuchte? Sie konnten – und wie. Als sie am ersten Turnier-Dienstag auf Außenplatz 8 auch gegen zwei Franzosen zur Auftaktpartie antraten, gegen Arnaud Rinderknech und Maurice Guinard, waren die Deutschen noch namenlose Randerscheinungen, Mitläufer in der großen Grand Slam-Karawane. Aber nach insgesamt sechs großartigen Siegen in dreizehn Tagen hatten sie sich auf einmal in eine neue Tennis-Dimension katapultiert – als perfektes Paar, das stets an den Herausforderungen wuchs und im Endspiel schließlich sein absolutes Meisterstück ablegte. Selbst nach dem Matchball gaben sie ein Bild der totalen Harmonie ab, als Synchron-Abtaucher in die „terre battue“.„Es war nicht einfach nur ein Sieg, es war auch ein Stück richtige Tenniskunst. Ein Erfolg, hochverdient“, sagte Boris Becker, der Eurosport-Experte.
Krawietz und Mies blieben cool und locker
Vor anderthalb Jahren begann der unglaublich kurze Weg in die Grand-Slam-Herrlichkeit. Da beschlossen Krawietz und Mies, es Seite an Seite zu versuchen – Mies, der Mann der starken Emotionen und des manchmal überschießenden Temperaments. Und Krawietz, der Ausgeglichene, der Gelassene, der selbst im dicksten Trubel entspannt wirkende Typ. Sie sind ein bisschen wie Feuer und Eis, aber das ist ganz und gar kein Problem. Ihre Talente können sich, wie in den French-Open-Tagen, wunderbar ergänzen. Dass sie das Finale ohne jedes Nervenflattern über die Bühne brachten, erstaunte sie aber beide schon: „Wir sagten uns: Cool und locker bleiben“, so Mies, „aber dann waren wir auch cool und locker. Einfach grandios.“ Sie waren auch von der ersten Minute an so voll giftiger Entschlossenheit, dass ihre Gegner, die Lokalmatadoren aus Frankreich, komplett überrumpelt wirkten. Den Ton gaben Krawietz und Mies vor, den Takt und den Rhythmus. Und auf der Tribüne feierten Freunde, Bekannte und die Familie. Sie feierten das Wunder von Paris.
580.000 Euro, das war der Betrag, der auf dem großen Siegerscheck für die beiden tüchtigen Deutschen stand. Es war der dickste Batzen, den sie beide je verdient hatten. Aber es war erstmal irgendwie egal, die Zahlen zählten nicht. „Grand Slam-Sieger, das bleibt für immer. Das haben nicht so viel geschafft“, sagte Krawietz. Er hatte genau wie Mies das Gefühl, „dass dies auch nicht das Ende ist, sondern der Anfang“: Wir müssen uns vor niemandem verstecken.“ Sie beide würden gerade erst merken, „was noch möglich ist, was noch kommen kann.“
Zunächst kommt nun, rein faktisch, die Rasensaison. Sie werden wohl in Halle und dann in Wimbledon spielen. Und ganz am Ende des Jahres könnten sie in London auch noch mitmischen, wenn die ATP-Weltmeisterschaft im Doppel ausgespielt wird. „Kneif mich mal´, ob das wahr ist“, hat Mies einen Bekannten abends nach dem Triumph gebeten, in einer eher ruhigen Minute, „es war natürlich rhetorisch gemeint.“ Aber im nächsten Moment, so Mies, habe er sich dann wieder gefragt: „Sind wir hier in einem Film?“