Laura Siegemund im tennisnet-Interview: "Mein richtiges Comeback kommt erst noch"
Nach ihrem Kreuzbandriss machten der 30-Jährigen auch in der vergangenen Saison Blessuren zu schaffen.
Im tennisnet-Interview spricht Siegemund, Gewinnerin des Tennis Porsche Grand Prix' 2017, über die schlechteste Kofferpackerin auf Erden, eine Vorbereitung unter Palmen, italienische Leichtigkeit - und einen besonderen Sparringspartner.
von Ulrike Weinrich
zuletzt bearbeitet:
27.12.2018, 10:04 Uhr
tennisnet: "Sie haben die Festtage zum zweiten Mal nach 2016 nicht zuhause verbracht, sondern sind schon seit Mitte letzter Woche in Australien. Haben Sie irgend etwas vermisst?
Laura Siegemund: "Ich bin nicht so ein Weihnachts-Fanatiker, aber natürlich ist es eine Zeit, die man gerne mit der Familie verbringt. Diesmal ist es mir nicht so schwer gefallen, weil wir die Tage vor dem Abflug sehr viel zusammen unternommen haben. Zum Beispiel: Einen Weihnachtsmarkt nach dem anderen abzuklappern. Damit habe ich in kurzer Zeit sehr viel Zeit mit meiner Familie verbracht - und es kam richtig Weihnachtsstimmung auf.
Gute Kofferpackerin? Denkste!
tennisnet: "Sie waren nach der vierwöchigen Vorbereitung in Florida nicht einmal eine Woche daheim in Stuttgart, bevor der Flieger Richtung 'Down under' abgehoben ist. Sie müssen gut im 'Kofferumpacken' sein..."
Laura Siegemund: "Das sollte man meinen, aber ehrlich: Ich bin die schlechteste Kofferpackerin auf Erden. Ich denke immer, heute schaffst du es in einer Stunde, nachher dauert es dann doch wieder zwei, drei Stunden. Ein Drittel meines Lebens habe ich wohl 'verpackt' - aus- und eingepackt."
tennisnet: "Bei den Australian Open starten Sie mit ihrem Protected Ranking. Wie oft dürfen Sie es danach oder davor noch nutzen?"
Laura Siegemund: "Noch einmal. Allerdings werde ich es mir vermutlich noch etwas aufheben. Ich will mir gerade bei den ersten Turnieren im Jahr die Möglichkeit geben, mich erstmal einzugrooven und spare es mir eher für etwas später auf."
"Mir schadet es zumindest nicht, ab und zu die ein oder andere Sache etwas lockerer zu sehen" Laura Siegemund über die Auswirkungen der neuen italienischen Mentalität in ihrem Team
tennisnet: "Sie haben in der Off Season diesmal nicht zuhause trainiert, sondern waren im in der Nähe von Tampa am Golf von Mexiko. Warum das?"
Laura Siegemund: „Ich gehe da immer nach Gefühl. Die letzten Jahre war es mir immer wichtig, einfach mal einen Monat daheim zu sein. Beim Stammbäcker um die Ecke die Lieblingsbrötchen holen, einfach mal zuhause Alltag und Ruhe einkehren lassen - und dabei gut trainieren. Allerdings waren die Trainingsbedingungen nicht immer optimal. Teilweise war es nur möglich ,auf Teppichboden zu spielen, und es war oft schwer, gute Trainingspartner zu finden. Dieses Jahr habe ich dann zum ersten Mal gesagt: 'Ich habe Lust auf was Neues'."
Der Freund als Sparringspartner? Ein bisschen Zündstoff!
tennisnet: "Das Problem mit der Suche haben Sie jetzt nicht mehr. Ihr Sparringspartner Antonia Zucca ist auch Ihr Freund. Birgt das Zündstoff?"
Laura Siegemund: "Es ist Fluch und Segen zugleich. 'Anto' hat selbst auf der ITF-Tour gespielt und ist daher ein super Trainingspartner für mich. Er kennt den Tenniszirkus und kann sich gut in mich hineinversetzen als Spielerin. Aber wenn man beruflich und privat verbandelt ist, dann führt das natürlich auch manchmal zu Reibungen, ich denke, das ist normal. Ich bin nicht gerade eine einfache Person auf der Platz"
"Von der Intensität und vom Training an sich war es mit die beste Vorbereitung, die ich je gemacht habe" Laura Siegemund über die letzten Wochen in Florida
tennisnet: "Sie sind noch auf der Suche nach einem Travel-Coach. Momentan arbeiten sie mit einem Physiotherapeuten und einem Fitnesscoach zusammen, die beide - wie ihr Freund - aus Italien kommen. Gibt es da Mentalitätsprobleme?"
Laura Siegemund: „Klar sind die deutsche und die italienische Mentalität sehr unterschiedlich. Ich habe aber das Gefühl, dass sich das sehr gut ergänzt. Mir schadet es zumindest nicht, ab und zu die ein oder andere Sache etwas lockerer zu sehen und den Spaß bei der Arbeit - das heißt auf dem Platz und im Gym - bei allem Ehrgeiz nicht aus den Augen zu verlieren.“
tennisnet: "Dazu passend die nächste Frage: Wie gut ist Ihr Italienisch inzwischen?"
Laura Siegemund: "Ich habe mir Bücher gekauft und versuche, regelmäßig zu lernen. Ich bin diszipliniert, was sowas angeht. Aber in der Trainingsphase war das Pensum so hoch, dass ich abends halbtot ins Bett gefallen und zu nichts mehr gekommen bin. Wenn die Saison losgeht, habe ich auf den Reisen und immer wieder zwischendurch hoffentlich mehr Zeit. Ich wollte sowieso mal eine neue Sprache lernen, jetzt habe ich einen triftigen Grund."
tennisnet: "Wie intensiv war die Vorbereitung diesmal - verglichen mit der Phase vor ihrem 2017 erlittenen Kreuzbandriss?"
Laura Siegemund:: "Von der Intensität und vom Training an sich war es mit die beste Vorbereitung, die ich je gemacht habe. Was die Belastung angeht, bin ich schon länger auf einer Stufe wie vor der Verletzung."
"Ich weiß: Ich kann wieder ein sehr gutes Niveau spielen, so wie vorher - vielleicht sogar besser" Laura Siegemund über ihre Erwartungen
tennisnet: "Trotzdem gab es 2018 immer wieder Rückschläge. Haben Sie sich Ihr Comeback einfacher vorgestellt?"
Laura Siegemund: "Ich wusste, dass es nicht einfach wird, sofort wieder dort anzuknüpfen, wo man aufgehört hat. Unglücklich war, dass ich gerade in der Sandplatzsaison, in der ich sehr ordentlich gespielt habe, große Verletzungsprobleme hatte. Und zwar nicht mit dem Knie, sondern aus Kompensationsgründen an anderen Stellen.“
tennisnet: "Und das ausgerechnet auf Sand..."
Laura Siegemund: "Ja, das hat mir gewissermaßen ein wenig meinen Lieblingsbelag verhauen. Ich hatte sechs Turniere, bei denen ich verletzungsbedingt nicht so spielen konnte, wie ich es mir vorstelle. Das war ein Drittel der Saison. Aber: Mein richtiges Comeback kommt erst noch!"
Der gesamte Körper war 2018 noch in der Aufarbeitung!
tennisnet: "Sie waren also doch ganz zufrieden mit dem Verlauf der vergangenen Saison?"
Laura Siegemund: „Es war spielerisch sehr ordentlich für das Jahr nach so einer Verletzung. Ich hatte mir die Top 100 vorgenommen, jetzt stehe ich auf Platz 115 - es ist eine gute Ausgangsposition fürs neue Jahr."
tennisnet: "Die Saison steht vor der Tür. Sie werden zunächst in Auckland aufschlagen. Wie sehen die Ziele für 2019 aus?"
Laura Siegemund: "Ich habe total Lust zu spielen, aber ich gehe es zunächst recht locker an. Für mich ist das Wichtigste, dass der körperliche Aspekt besser wird, denn das war 2018 das größte Problem. Der gesamte Körper war noch in der Aufarbeitung und musste erst wieder sein Gleichgewicht finden."
tennisnet: "Sie waren die Nummer 27 der Welt und sind eine sehr ehrgeizige Person. Ist das in Phasen wie diesen eher ein Nachteil?"
Laura Siegemund: „Das würde ich nicht sagen. Ich bin eine harte Arbeiterin und Kämpferin, das ist nie ein Nachteil. Aber ich wünsche mir, dass ich mir dieses Jahr das nötige Quäntchen Gelassenheit bewahren kann und geduldig mit mir bin, wenn mir das gelingt, bin ich davon überzeugt wieder zu alter Stärke zurückzufinden."
"Er kümmert sich sehr um uns Mädels, pflegt den Kontakt und bleibt mit uns im Austausch, was unser Befinden und unsere Planungen angeht" Laura Siegemund über Fed-Cup-Teamchef Jens Gerlach
tennisnet: "Ist Olympia 2020 ein Fernziel?"
Laura Siegemund: "Es wäre gigantisch, in Tokio dabei zu sein. Ich weiß: Ich kann wieder ein sehr gutes Niveau spielen, so wie vorher - vielleicht sogar besser! Das kommt auf's Körperliche an. Wenn ich so spiele, wie ich es mir vorstelle, dann ist auch Olympia 2020 in Reichweite. Aber das ist momentan nicht vordergründig für mich, es ist noch in weiter Ferne."
tennisnet: "Stichpunkt Fed Cup...ist das noch ein Thema?"
Laura Siegemund: „Grundsätzlich bin ich immer daran interessiert, Fed Cup zu spielen! Ich hatte neulich ein langes Gespräch mit Teamchef Jens Gerlach. Er kümmert sich sehr um uns Mädels, pflegt den Kontakt und bleibt mit uns im Austausch, was unser Befinden und unsere Planungen angeht. Dieses Jahr ist es für mich nicht einfach, eine längerfristige Turnierplanung zu machen, weil ich oft nicht weiß, muss ich in die Quali eines Turniers oder stehe ich im Hauptfeld. Je weiter man vorne steht, desto besser kann man planen. Aber: Ich habe immer Lust auf den Fed Cup."
"Ich habe irgendwann nach meiner Einzelkarriere noch einmal vor, aufs Doppel umzuswitchen" Laura Siegemund über ein besonderes Ziel
tennisnet: "Sie sind jetzt 30 Jahre alt. Haben Sie sich eine Altersgrenze gesetzt?"
Laura Siegemund: "Wenn man mich das vor fünf Jahren gefragt hätte, hätte ich gesagt: Mit 32 ist Schluss. Aber durch die Verletzung habe ich nicht nur eine ganze Saison ausgesetzt, sondern hatte in dieser Zeit auch viel Gelegenheit, mal in andere Bereiche reinzuschnuppern. Da habe ich aber auch gemerkt, wie viel mir noch an meinem eigenen Tennis liegt. Und ich bin jetzt erst recht nochmal richtig motiviert, gut zu spielen."
Erst noch Doppel - dann kommt die Zeit der Vorträge!
tennisnet: "Aber Sie haben noch ganz andere Ziele..?"
Laura Siegemund: "Ja, ich habe irgendwann nach meiner Einzelkarriere noch einmal vor, aufs Doppel umzuswitchen. Es war immer mein Idee, das irgendwann mal ernsthaft anzugehen und da meine ganze Energie reinzustecken, nicht immer nur so neben dem Einzel. Ich spiele schon seit meiner Kindheit extrem gerne Doppel und würde gerne sehen, wie weit ich als Doppelspezialistin kommen kann.“
tennisnet: "Sie sind Psychologin und haben Ihre Bachelor-Arbeit zum Thema 'Versagen unter Druck' geschrieben. Während Ihrer Verletzungspause haben Sie in Firmen und Verbänden Vorträge gehalten. Kommen Sie derzeit dazu?"
Laura Siegemund: "Da bleibt momentan keine Zeit mehr, aber das war klar. Es ist zeitlich einfach nicht möglich, beides gut zu machen, wenn man Vollzeit im Spiel- oder Trainingsbetrieb steht. Es war damals ein Abstecher in einen Bereich, in den ich später sowieso gehen möchte. Ich denke, ich habe mir da einen gewissen Namen gemacht und kann nach meiner Karriere wieder daran anknüpfen.“
tennisnet: "2019 werden Sie wieder mehr auf Tour sein als in den vergangenen beiden Jahren..."
Laura Siegemund: "Das war schon jetzt wieder eine kleine Umstellung im Vergleich zur zweiten Jahrehälfte 2017. Nicht zuletzt für meine Nachbarn in Stuttgart. Sie haben neulich schon gefragt, ob ich überhaupt noch dort wohne. Kein Wunder: Sie haben mich ja auch in einer Zeit erlebt, die gar nicht realistisch war."