„In den letzten Jahren ist ein großer Einheitsbrei entstanden“

Der Kommentator spricht im Interview über seine Arbeit und über die allgemeine Entwicklung im Tennis.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 08.02.2013, 10:02 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel

Matthias Stach (50) ist die wohl bekannteste deutsche Stimme, wenn es um das Kommentieren von Tennismatches geht. Stach ist seit 1988 für das Fernsehen und Radio aktiv und kommentiert neben Tennis auch regelmäßig Fußball und Schwimmen. Der Eurosport-Kommentator versteht, wovon er spricht. Er spielte 15 Jahre lang in der 1. und 2. Tennis-Bundesliga und wurde Journalisten-Weltmeister- und -Europameister sowohl im Einzel als auch im Doppel. Stach lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Buchholz in der Nordheide.

Herr Stach, die Australian Open haben nicht nur den Spielern, sondern auch den Kommentatoren viel abverlangt. Was bleibt Ihnen vom ersten Grand-Slam-Turnier am meisten in Erinnerung?

Am meisten in Erinnerung bleiben mir ein paar Überraschungen. Vor allem, dass Serena Williams gegen Sloane Stephens verloren hat. Auffallend war auch, dass sich ein paar junge Damen in den Vordergrund gespielt haben, was gut für das Damentennis ist. Außerdem bleibt mir in Erinnerung, dass ich mich wie viele andere auf die Rückkehr von Rafael Nadal freue. Es ist schon etwas Besonders, wenn er mit seiner Art zu spielen bei einem Grand Slam dabei ist.

Novak Djokovic und Andy Murray standen sich in Melbourne zum zweiten Mal in Folge in einem Grand-Slam-Finale gegenüber. Wird dieses Duell in den nächsten Jahren das Herrentennis bestimmen, ähnlich wie es bei Roger Federer und Rafael Nadal der Fall war?

Ja, ich glaube schon. Es wird sicherlich ein paar Ausreißer geben, wenn man auf den Sandplatz wechselt. Dann, und nicht nur dort, wird Nadal wieder eine sehr gute Rolle spielen, sofern die Knie halten. Ich glaube nach wie vor, dass Federer die Chance hat, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, logischerweise am ehesten in Wimbledon. Insgesamt muss man aber sagen, dass Djokovic und Murray bei den Belastungen, die es bei einem Grand-Slam-Turnier gibt, die komplettesten Spieler sind. Das Duell könnte sich ein bisschen hinziehen in den nächsten Jahren.

Glauben Sie, dass die Duelle zwischen Djokovic und Murray die Fans genauso elektrisieren werden wie die Duelle zwischen Federer und Nadal?

Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass Murray sehr viel gewonnen hat durch seine Reaktion nach dem Wimbledonturnier. Murray ist ein Typ, der zu Beginn zwiespältig gesehen wurde. Bei seiner Rede nach dem verlorenen Wimbledonfinale hat sich Murray den Leuten aber geöffnet. Ich glaube, dass sich dadurch auch die Wahrnehmung verändert hat. Djokovic ist mittlerweile ein Global Player und sehr beliebt weltweit. Bei ihm sind auch die Trainingseinheiten sehr gut besucht. Der Unterschied zu Federer und Nadal und anderen großen Duellen aus der Vergangenheit wie beispielsweise Sampras gegen Agassi ist, dass es immer zwei unterschiedliche Spielertypen waren. Da kann ich mir vorstellen, dass es zu deckungsgleich ist, was Djokovic und Murray spielen. Das wäre wahrscheinlich der einzige Grund, um das skeptisch zu sehen, ob das genauso euphorisch angenommen wird.

Nadal gibt diese Woche in Vina del Mar sein Comeback. Glauben Sie, dass Nadal schnell zu alter Stärke zurückfindet?

Ja, das glaube ich schon. Die Trainingsleistungen sollen sehr gut gewesen sein. Es ist auch gut, dass er nun dosierter spielt und sich vermehrt Turniere auf Sand aussucht. Ich glaube, dass er zu seinem Saisonhöhepunkten, den French Open und Wimbledon, wieder vorne dabei ist. Auf jeden Fall wünsche ich es ihm.

Was trauen Sie Federer noch zu? Es dürfte für ihn immer schwerer werden bei den Grand Slams.

Man darf nicht vergessen, dass Federer auch jetzt bei den Australian Open wieder sehr weit gekommen ist. Da würde ein Spieler wie zum Beispiel del Potro froh darüber sein. Ich habe schon vor über einem Jahr nicht nachvollziehen können, dass Federer von vielen vorzeitig abgeschrieben wurde. Ab Herbst 2011 hatte er dann ein Turnier nach dem anderen gewonnen und im Vorjahr wieder den Platz an der Weltranglistensonne erreicht. Federer ist in der Halle und vor allem auf Rasen immer noch sehr stark. Wobei die langsamer gewordenen Hartplätze sicherlich Spieler wie Djokovic und Murray ein wenig bevorteilen.

In Zukunft wird Eurosport neben den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne, Paris und New York nur noch wenige Turniere übertragen. Die ATP-Tour läuft fast ausschließlich im Pay-TV. Der Tennisfan muss zunehmend auf Streams zurückgreifen, um Tennis überhaupt sehen zu können. Wird Tennis in Deutschland bald zur Online-Sportart?

Das wäre sehr schade für diesen wunderbaren Sport. Ich hoffe, dass es irgendwann auch Druck von den Sponsoren gibt. Ich habe sowieso nie verstanden, warum immer gefordert wurde, dass es schön wäre, wenn Tennis im Öffentlich-Rechtlichen zu sehen wäre. Eurosport ist ein öffentlich-rechtlicher Sender, den eigentlich jeder empfangen kann. Ich kann mir kaum vorstellen, dass einem Sponsor daran gelegen ist, mit seinem Produkt in irgendwelchen Mediennischen zu verschwinden. Darüber sollte man sich wohl auch einmal Gedanken machen bei ATP und WTA. Die entscheidende Frage bei den Turnieren ist doch, wie die Sponsoren repräsentiert werden. Das ist bei einem Sender wie Eurosport natürlich großflächiger gegeben als in irgendeinem Stream. Ich habe schon etwas Angst, dass es in die falsche Richtung geht. Wir Tennisfans wünschen uns doch alle eine Übertragungsform für eine breite Öffentlichkeit, wobei man aber das Internet durchaus als darstellende Plattform ernstnehmen sollte, nur eben hoffentlich nicht als die einzige.

Tennis boomt weltweit. Mit Roger Federer gibt es sogar einen deutschsprachigen Spieler, der dem Begriff Jahrtausend-Sportler gerecht wird. In Deutschland kommt der Boom dennoch nicht so richtig an. Passt Tennis nicht mehr in die Schnelligkeit unseres heutigen Alltags?

In Deutschland ist es immer derart gestrickt, dass die Entwicklung sofort nachzieht, wenn es einen überragenden Erfolg gibt. Man hat schon gemerkt, dass es durch die tollen Ergebnisse der Damen zu einem Schub kam. Es war schon immer so, wenn man das mit den alten Zeiten und den Erfolgen vergleicht. Da hatten wir außergewöhnliche Spieler. In anderen Ländern ist es ähnlich. In den USA dauert es nach dem Rücktritt von Roddick, bis die anderen nachkommen. Bei den schwedischen Herren ist derzeit gar nichts los, da liegt einiges völlig brach. Es gibt immer wieder diese Wellenbewegungen. Eine breite Basis an Talenten ist häufig eine Jahre später folgende Reaktion von außergewöhnlichen Erfolgen einzelner im jeweiligen Land. Voraussetzung dafür sind natürlich gute Strukturen im Verband.

Haben Sie Vorschläge, um Tennis auch in Deutschland wieder populärer zu machen?

Ich bin beispielsweise Verfechter davon, dass man die momentane Form der Jugendrangliste für die Jüngsten stark modifiziert. Ein Top-10-Platz im U12-Bereich hat null Aussagekraft für eine spätere Entwicklung. Dass Kinder, oft angetrieben durch ihr Umfeld, schon in ganz jungen Jahren eine Terminhatz durch Europa über sich ergehen lassen, nur um Ranglistenpunkte zu ergattern, ist Gift für die technische und taktische Entwicklung dieser Talente. Wenn zu früh das Ergebnis das Ziel ist, dann geht es in die falsche Richtung. Ich fände es zum Beispiel interessant, wenn sich Turnierorganisatoren von Nachwuchsturnieren was einfallen lassen, um spezielle Offensivaktionen wie Serve-and-Volley, die erfolgreich abgeschlossen werden, besonders zu belohnen. Generell würde ich mir wünschen, dass Tennis in der Jugend in eine andere Richtung gelenkt wird. Dass man den Punkte- und Ranglistendruck in jungen Jahren etwas rausnimmt und mehr Zeit dafür investiert, damit sich alle spielerisch entwickeln können.

Sie kommentieren seit 25 Jahren Tennis. Können Sie sich noch an Ihr erstes Tennisspiel erinnern, das Sie kommentiert haben?

Das erste Tennisspiel, dass ich kommentiert habe, war, wenn ich mich richtig erinnere, ein Match beim ersten europäischen Sandplatzturnier in Estoril. Wer da genau gespielt hat, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich erinnern, dass ich das damals aus dem Eurosport-Studio in Hilversum kommentiert habe. Davor hatte ich aber auch schon von einigen Turnieren und Davis-Cup-Partien für diverse Privatradio-Sender live berichtet.

War es schon immer Ihr Wunsch, Sportkommentator zu sein?

Ja, auf jeden Fall. Mir wurde immer wieder gesagt, dass ich, seitdem ich denken kann, diesen Beruf ergreifen wollte. Nachdem ich mit dem aktiven Sport aufgehört hatte, war dieser Weg dann für mich klar und der Einstieg verlief sehr fließend.

Gab es beim Kommentieren ein Vorbild, dem Sie nachgeeifert haben?

Ein Vorbild in Bezug auf den Kommentierungsstil gab es eigentlich nicht. Ich habe früh versucht, meinen eigenen Stil zu entwickeln. Es gab Kommentatoren, die ich aufgrund ihrer Loyalität sehr geschätzt habe, als ich als Jungspund in diesen ganz speziellen Kosmos auftauchte. Dabei haben sich Kollegen, wie zum Beispiel Volker Kottkamp, damals die Tennisstimme in Deutschland, sehr freundlich und kollegial verhalten. Da waren einige etablierte Kollegen dabei, die mir den Einstieg sehr leicht machten. Aber natürlich waren nicht alle so.

Welche Fähigkeiten braucht Ihrer Meinung nach ein guter Kommentator?

Ich finde es nicht von Nachteil, wenn man selbst ein bisschen aktiv gespielt hat. Permanente Neugierde sollte man mitbringen. Wenn man so lange dabei ist, ist es eine große Herausforderung, immer etwas Neues herauszufinden über die Spieler. Meine Idee war immer, dass ich viel erfahren wollte von dem Menschen, der sich hinter dem Spieler verbirgt: Wie ticken sie, was gibt es Neues aus dem privaten Umfeld, ohne dabei boulevardesk zu werden. Mein Ziel ist es stets gewesen, die Supersportler auch als Menschen darzustellen.

Wie bereiten Sie sich auf das Kommentieren eines Tennismatches vor?

Ich führe vorher viele Gespräche, wenn ich weiß, welches Match ich kommentiere. In der ersten Woche eines Grand Slams kann man das aber häufig nicht vorher planen. Viel beim Training zuschauen, Austausch mit den Sportlern und dem näheren Umfeld, das ist eigentlich das Wichtigste. Es geht darum, sich Gedanken über das Match zu machen, wie es verlaufen könnte und wie die Spieler an diesem Tag drauf sind. Möglichst das kommentieren, was im Bild zu sehen ist, das sollte man immer versuchen zu beherzigen.

Sie versorgen die Zuschauer immer mit vielen interessanten, kuriosen und skurrilen Randgeschichten über die Spieler. Woher nehmen Sie Ihre Informationen?

Mittlerweile nehme ich die Informationen aus dem direkten Kontakt mit den Spielern. Ich bemühe mich, vor großen Turnieren und wichtigen Matches mit den Protagonisten zu reden, sei es der Spieler selbst, sei es der Trainer, sei es das Umfeld. Ich versuche mir die Information immer direkt aus der Szene zu holen. Das minimiert die Gefahr sogenannter Falschmeldungen und es erleichtert mir die Aufgabe, eine Leistung realistisch und fair einzuschätzen.

Sie haben selbst sehr gut Tennis gespielt und waren einige Jahre in der 1. Bundesliga aktiv. Inwieweit hilft es Ihnen beim Kommentieren, dass Sie selbst Tennis auf hohem Niveau gespielt haben?

Hohes Niveau ist relativ, wenn man die Spieler beim Kommentieren spielen sieht. Es ist nicht zwingend wichtig, vorher in der 1. oder 2. Liga gespielt zu haben. In einigen Situationen hilft es dennoch schon, um sich besser in die Spieler hineinversetzen zu können. Das gilt aber nicht nur fürs Tennis, sondern für alle Sportarten. Bei der Fußballkommentierung merkt man schon, wenn einer vorher selbst ein wenig gespielt hat. Ich finde das ganz hilfreich, um bestimmte Dinge einschätzen zu können. Es gibt beispielsweise Spieler, die mit Wind überhaupt nicht klar kommen. Wenn man das selbst erfahren musste und ebenfalls eine Wind-Phobie hatte, dann bringt man dafür sicherlich ein besseres Verständnis auf. Allerdings hängt das gesamte Konstrukt ja auch vom Szenario ab. Im US-amerikanischen Fernsehen kommentieren manchmal bis zu vier Personen gleichzeitig. Ein Kommentator, ein oder zwei ehemalige Stars der Szene und daneben sitzt zum Beispiel noch ein Statistik-Experte. Da rückt dann die persönliche Praxiserfahrung des Kommentators logischerweise in den Bereich des eher Belanglosen, weil er eine ganz andere Aufgabe hat

Sie haben schon sehr viele denkwürdige Tennismatches kommentiert. Sticht ein Match besonders hervor, an das Sie sehr gerne zurückdenken?

Da gibt es einige. Ich erinnere mich an Stich gegen Muster im Davis Cup in Österreich. Dann natürlich das Finale der Australian Open im letzten Jahr zwischen Djokovic und Nadal. Ich könnte da 15 bis 20 Spiele nennen. Eigentlich hat fast jedes Match etwas Besonderes. Das muss jetzt nicht immer ein Finale gewesen sein, sondern vielleicht auch eine Partie der zweiten Runde, die sich extrem hochschaukelt. Ich bin dann immer ziemlich platt nach solchen Matches. Sicherlich gibt es unzählige Matches aus meiner Zeit, die überragend waren.

Gibt es einen Lieblings-Spieler und eine Lieblings-Spielerin, dessen und deren Spiele Sie in den letzten 25 Jahren extrem gerne kommentiert haben?

Als Tennisfan muss ich sagen, dass ein Match von der Unterschiedlichkeit lebt. Wenn einer aus der Bollettieri-Schule von hinten draufprügelt und der Gegner es mit der feinen Klinge versucht, passt das immer gut zusammen. Ich habe Spieler, die ich unheimlich gerne sehe aufgrund von verschiedenen Faktoren: Nadal für seinen Willen, Federer für seine Tenniskunst. Ich habe früher zum Beispiel sehr gerne Gianluca Pozzi zugesehen. Kein Superstar, aber ein Profi, der mit ca 15 Kilogramm Besaitungshärte und völlig ungewöhnlicher Technik den einen oder anderen in den Wahnsinn gespielt hat. Anders eben als viele andere auf der Tour.

Gibt es ein Turnier, dass Sie am liebsten kommentieren?

Für mich wäre es furchtbar, wenn ich viermal im Jahr zum Wimbledonturnier fahren müßte. Das hätte dann keinen Reiz mehr für mich. Die Unterschiedlichkeit macht es aus, so wie die Spieler es auch durchleben. Die Hitze in den USA oder Australien. Melbourne, wo eben noch 32 Grad sind und vier Stunden später nur noch 16 Grad. Oder das laute New York. Jeder Ort hat seinen Reiz. Außerdem mag ich logischerweise die Atmosphäre bei den Turnieren in Deutschland.

Neben Tennis kommentieren Sie auch regelmäßig Fußball und Schwimmen. Ist Tennis dennoch Ihre Sportart Nummer eins?

Es ist vielleicht meine Sportart Nummer eins, weil ich damit angefangen habe im Fernsehen und im Radio. Ich kommentiere die anderen Sportarten jedoch genauso gerne. Das ist auch ganz gut für mich, da ich mich nicht immer in dem gleichen Brei bewege und interessante Aspekte von anderen Sportarten bekomme. Ich bin natürlich auch Fußballfan und habe selbst mal ein bisschen gegen die Pille getreten. Die Abwechslung ist das Wichtige für mich. Es gibt nicht nur die Tennissaison für mich, sondern immer mal wieder auch Ausflüge zu anderen tollen Sportarten.

Als Kommentator kann man es nie allen Zuschauern recht machen. Es wird immer Leute geben, die meinen, dass Sie es besser können. Wie gehen Sie mit Kritik an Ihrer Kommentatoren-Leistung um?

Ich registriere das schon und überlege für mich, ob das zutrifft. Fernsehlegende Ernst Huberty hat mir mal bei einer Schulung gesagt, dass es schon das Höchste aller Gefühle ist, wenn einen über 30 Prozent der Zuschauer gut finden. Das ist ein realistischer Grundsatz. Im Fußball ist das natürlich ganz extrem, weil es da Millionen von Bundestrainern gibt. Ich finde das auch nicht schlimm, weil die Sportart von der Diskussion lebt. Man muss sich irgendwann auf seinen eigenen Stil festlegen und entscheiden, wie man es rüberbringen will. Dass es dann nicht allen Leuten gefällt, ist doch normal. Der eine möchte, dass mehr geredet wird, der andere will genau das Gegenteil, Im Laufe der Jahre lernt man es sich etwas davon zu lösen, ohne sich davon komplett freizumachen. Es gibt immer wieder Hinweise, die auch sehr produktiv sind. Ich mag keine Kritik, die verletzend ist und persönlich wird. Das müssen heute auch viele Sportler aufgrund der neuen Medien erfahren. Da werden permanent Grenzen überschritten. Derartige Kritik sollte man gleich in den Müll befördern.

Gibt es noch einen beruflichen Wunsch, den Sie sich unbedingt erfüllen möchten?

Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich mache das nicht an Events wie Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen oder Grand-Slam-Turnieren fest, bei denen ich kommentiert habe. Ich bin einer, der das auf sich zukommen lässt und gespannt ist, was das nächste Event für mich an Außergewöhnlichem bereit hält.

Nach dem Doping-Geständnis von Lance Armstrong haben viele aktuelle und ehemalige Top-Stars um Novak Djokovic und Martina Navratilova den gefallenen Rad-Star heftig kritisiert. Im Tennis gab es auch hin und wieder einige prominenten Dopingfälle und Dopingverdächtigungen. Wie sauber geht es Ihrer Meinung nach im Tennis zu?

Das ist ganz schwer einzuschätzen. Es ist nicht richtig zu sagen, dass im Tennis nicht gedopt werden könnte. Es geht da auch um Regeneration. Doping heißt ja nicht immer, dass es einen Kraftzuwachs gibt, dass man explosiver wird und mehr Muskeln bekommt. Mich hat die Aussage von Tyler Hamilton (Anmerkung: Radsportler) etwas skeptisch gemacht. Er hat gesagt, dass er durch die Kontakte mit den entsprechenden Dopingärzten aus der Radsportszene auch von Kunden aus der prominenten Tennisbranche erfahren habe. Was es immer wieder im Tennis gab, waren Fälle von Kokainmissbrauch oder ähnlichem. Ich bin dringender Verfechter von Kontrollen. Es ist für die Sportler aber auch wahnsinnig schwierig, das System einzuhalten und auf Monate hinaus den Aufenthaltsort bekanntzugeben. Gerade in einer Sportart, wo ich nicht weiß, wann ich ausscheide, ist das nahezu unmöglich. Man muss dem Ganzen aber mit sehr offenen Augen begegnen und kann nicht sagen, dass es hundertprozentig eine weiße Sportart ist. So naiv darf niemand sein.

Derzeit wird viel über Regeländerungen im Tennis diskutiert. Wieder schnellere Beläge, Verkürzung der Zeit zwischen den Ballwechseln, Abschaffung des Netzaufschlages, Reduzierung des Stöhnens. Welche Dinge würden Sie gerne im Tennis ändern und warum?

Ich plädiere sehr für eine größere Unterschiedlichkeit der Bodenbeläge, vor allem bei den Grand-Slam-Turnieren. Die Anpassung der Bodenbeläge oder die Rasen- und Ballentwicklung, zum Beispiel beim Wimbledonturnier, ist mir zu extrem geworden. Ich würde mir einen ganz schnellen Bodenbelag wünschen, wo man auch wieder mit Serve-and-Volley erfolgreich sein könnte. Das ist ein sehr großer Wunsch, den ich habe, weil in den letzten Jahren doch ein großer Einheitsstil entstanden und die Wiedererkennung häufig verloren gegangen ist. Vor 15 Jahren hätte man sich nicht vorstellen können, dass Nadal mit seinem Spielstil in Wimbledon gewinnt. Die Idee mit dem Netzaufschlag gibt es ja schon länger. Ich bin sehr großer Traditionalist, was die Regeln im Tennis angeht. Aber ich denke, dass man sich irgendwann Gedanken machen muss, ob man am Zählwerk etwas ändert. Ich finde die No-Ad-Regel sehr interessant. Für die Zuschauer ist das ein Showdown, wo der Returnspieler sich aussucht, wohin beim Entscheidungspunkt aufgeschlagen wird. Das würde vielleicht mehr Würze und Tempo ins Einzel hineinbringen, wobei auch die langen Klassiker etwas haben. Dem Tischtennissport hat eine solche Verkürzung bis zur Entscheidung durchaus gut getan. Tennis wäre nicht die erste Sportart, die sich da erneuert hätte. In punkto Stöhnlautstärke bin ich sehr skeptisch, ob man das fair eingrenzen kann. Man kann einer Sharapova, von der das Damentennis ja auch irgendwie lebt, nicht plötzlich beibringen, sich beim Schlag ruhig zu verhalten. Die Bestrebung, das Stöhnen im Jugendbereich einzudämmen, finde ich gut, aber schwer umsetzbar. Ein Dorn im Auge sind auch ein bisschen die sehr langen Pausen zwischen den Ballwechseln und das ständige Reichen des Handtuches. Dass man bei 0:30 nach dem Handtuch fragt, bei 30:0 häufig aber nicht, ist längst nachgewiesen. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn die Spieler ihre Handtücher selbst holen müssten. Auch da gab es ja, gerade auf der ATP-Tour, erste deutliche Ansagen und Ansätze. Nur, solange kein Konsens zwischen ITF und den Spieler(innen)-Organisationen besteht, sind solche Neuerungen nur schwerlich umsetzbar.

Kommen wir noch zum Schluss zum deutschen Tennis. Das Davis-Cup-Team muss erneut in die Relegation. Viele hoffnungsvolle Talente sind im Herrenbereich nicht in Sicht. Müssen wir uns auf noch schwerere Zeiten bei den Herren einstellen?

Das kann ich mir gut vorstellen. Man muss vielleicht ganz unten anfangen und überlegen, ob man die Förderung noch zentraler macht. Ich bin für eine frühe Zusammenführung von nationalen Talenten, aber auch mit einem Ansatz an internationalen Zusammenschlüssen. Ich finde es nicht schlimm, wenn man auch Spieler aus anderen Ländern zu Gast hat. Mir fehlt bei den Jugendlichen die Chance, dass man sich entwickelt, ohne permanent auf Punkte schauen zu müssen. Die permanente Zielrichtung, in jungen Jahren gute Ergebnisse bringen zu müssen, wird immer noch häufig zu früh ausgegeben. Wobei man klar sagen muss, dass viele Experten, Trainer und betreuende Personen diesbezüglich umdenken. Ich befürchte, dass wenn Kohlschreiber und Mayer aufhören, eine Lücke entstehen könnte. Eine gute Tendenz ist es aber, dass man wieder vermehrt Junioren zu den Grand-Slam-Turnieren schickt.

Bei den Damen sieht die Lage anders aus. Es gibt ein paar Spielerinnen, u.a. Angelique Kerber, die bei den Grand Slams immer weit kommen können. Die Nachwuchsarbeit läuft zudem sehr gut. Warum läuft es bei den deutschen Damen so viel besser?

Ich glaube da eher an eine Wellenbewegung. Es gibt derzeit eben einige Spielerinnen mit Potential dauerhaft unter den Top 30 zu stehen, mit Blickrichtung nach oben. Die Basis ist somit da. Nun gilt es sich dauerhaft in den Top 10 festzusetzen, was ja eine Angelique Kerber geschafft hat. Das neu installierte Nachwuchsteam ist ein guter Schritt. Dafür braucht man natürlich einen Sponsor. Da sind die Damen in der glücklichen Lage, dass sie mit Porsche einen Sponsor gefunden haben, der sich um ihre Belange kümmert. Die Schweden um Wilander haben früher mit diesem Modell angefangen. Ich glaube, dass es gut ist, dass die Damen als Gruppe unterstützt werden. Bei den Herren ist es eher so, dass vieles auf Privatinitiative aufgebaut ist. Wobei es auch dort gute Rückmeldungen der Trainingsgemeinschaften gibt. Die Gemeinsamkeit kann da schon einen großen Schub bewirken. Entscheidend ist die Struktur im Bereich der 12- bis 16-Jährigen. Da wird ein zukünftiger Profi geformt. Insgesamt ist es nur positiv, wenn endlich auch in Deutschland immer mehr ehemalige Profis aktiv ihre Erfahrungen in der täglichen Trainingsarbeit weitergeben. Das wird in Ländern wie Spanien oder Frankreich schon seit vielen Jahren recht erfolgreich praktiziert. (Foto: GEPA pictures)

von Christian Albrecht Barschel

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