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Mentaltraining für Jugendspieler, Teil 2: Die Wut-Blockade im Match

Der Tennis-Insider Marco Kühn hat sich mal wieder Gedanken über das Tennisspiel an sich gemacht. Hier der zweite Teil zum Mentaltraining für JugendspielerInnen.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 11.08.2023, 11:41 Uhr

Die mentale Komponente spielt auch im Jugendbereich eine große Rolle
© Jürgen Hasenkopf
Die mentale Komponente spielt auch im Jugendbereich eine große Rolle

Seit dem Netzroller des Gegners bei 2:3 und 30:30 brodelte es in ihm. Es fühlte sich innerlich wie ein Vulkan an, der ausbrechen wollte, ja ausbrechen musste, aber nicht konnte. Die Konzentration war nicht beim nächsten Ballwechsel, sondern bei der Kontrolle dieses Vulkans. Mittlerweile stand es 3:5. Die Blicke der enttäuschten Eltern fühlten sich wie verbale Beschimpfungen an. 30:40 bei eigenem Aufschlag und Julius wollte am liebsten den Punkt abschenken und nach diesem Satz vom Platz gehen. Durch eine Hintertür, sodass ihn keiner mehr sah und er auch niemanden sehen musste. Seinen zweiten Aufschlag warf er irgendwie ins Feld. Sein Gegner peitschte die Vorhand Inside-Out unerreichbar mit viel Spin in die Rückhand-Ecke von Julius.

Dieser nahm seinen Schläger, drehte sich um und schleuderte das Racket von einem Wutschrei begleitet in den grünen Zaun. Der zweite Satz zog an Julius vorbei wie ein Unwetter. Mit 3:6 und 1:6 verlor er ein Match, das von seiner Wut bestimmt war und sein komplettes Potenzial blockierte.

Das führt uns zu der Frage: Was ist Wut im Match? Wut ist eine die Konzentration störende und das Spielniveau vernichtende Emotion.

Wut lässt vor allem einen jungen Spieler nur schwer wieder los. Wenn wir mal überlegen, wie viele kleine Details bei jedem Schlag beachtet werden müssen, dann kann die kleinste Störung der Konzentration zu mehr unerzwungenen Fehlern führen. Wut nimmt direkten Einfluss auf das Denken und Handeln des jungen Spielers. Novak Djokovic war beispielsweise im fünften Satz des Wimbledonfinales gegen den großartigen Carlos Alcaraz ein kleines bisschen außer sich. Er war so wütend, dass er sein Racket am Netzpfosten zerhackte und das entscheidende Aufschlagspiel des gesamten Matches verlor.

Wir können uns also ungefähr vorstellen, was Wut im Match für einen jungen Spieler bedeutet, wenn selbst ein Djoker gegen diese starke Emotion auf verlorenem Posten steht.

Warum wird man beim Tennis wütend?

Ein perfektes Beispiel dafür, warum vor allem junge Spieler bei Turniermatches wütend werden, hörte ich vor ein paar Jahren von Marcel. Er war 15 Jahre jung, spielte seit drei Jahren Ranglistenturniere und war mehr mit sich als mit den Gegnern beschäftigt. Er erzählte mir von einer ersten Runde, die er bei einem Turnier in Berlin spielte. Er hatte zuvor im Training seinen Lieblingsschlag, die Vorhand, intensiv trainiert. Er liebte es, die Vorhand mit viel Spin cross zu spielen, um den Platz zu öffnen. Dann, wenn der Gegner aus dem Feld getrieben wurde, konnte er mit seiner Vorhand ordentlich Dampf machen und viele Winner spielen. Aufgrund dieser intensiven Vorhand-Sessions war für Eltern und Trainer klar, dass Marcel richtig gut in Form war. Es wurde von ihm erwartet, diese erste Runde locker zu gewinnen. Der Gegner war im Ranking klar hinter Marcel. Er ging als der klare Favorit in dieses Match. Doch bereits am Matchtag fühlte sich Marcel nicht gut. Er erzählte mir, dass er nach dem Aufstehen unglaublich nervös war. Er wusste nicht, warum das so war. Ich hatte die Vermutung, dass ihn die Erwartungen von Trainern und Eltern bereits im Schlaf, oder sogar davor, stark belasteten.

Marcel fuhr mit seinem Tross, bestehend aus Mama, Papa und Trainer, zum Turnier. Im Einschlagen stellte Marcel mit Panik und Bauchschmerzen fest, dass sein Gegner eine richtig solide Kugel spielte. Viel besser, als er das erwartet hätte. Er sah zum Spielfeldrand, wo seine Eltern und sein Coach mit einem zufriedenen Grinsen den Sieg im Gesicht stehen hatten. Bei Marcel löste dieses Bild noch mehr Panik aus. Das Match begann aus Sicht von Marcel im Stile eines ganz schlechten Horrorfilms. Sein Gegner machte kaum Fehler und versenkte jeden kurzen Ball von Marcel zu einem Winner. Marcel selbst konnte, wie er mir sagte, kaum locker ausholen bei seiner Vorhand. Alles, was zuvor im Training wie im Schlaf lief, war weg. Schnell lag Marcel mit 0:3 hinten. Die Gesichter von seinen Eltern plus Trainer am Spielfeldrand verfinsterten sich. Marcel spürte die Vorwürfe in ihren Blicken. Er wurde wütend. Auf sich, auf den Gegner, auf ein paar versprungene Bälle vor der Grundlinie. Diese Wut führte zu einer Blockade, die er das gesamte Match über nicht mehr ablegen konnte.

Marcel verlor das Match sang- und humorlos in zwei Sätzen. Diese Geschichte von Marcel erklärt perfekt, warum junge Spieler im Match wütend werden.

Wut entsteht meist dann, wenn die Realität auf dem Platz mit den zuvor geschürten Erwartungen radikal kollidiert. Bei jungen Spielern, die Tennis mit einem Leistungsgedanken spielen, sind diese Erwartungen noch zahlreicher, noch größer. Sie kommen nicht nur von dem Spieler selbst, sondern auch von Eltern und Trainern. Wenn dann die Erwartungen von der Matchrealität zerstört werden, reagiert der junge Spieler wie auf Knopfdruck mit Wut. Es ist eine vollkommen normale Reaktion. Junge Spieler sind in den meisten Fällen emotional noch gar nicht so weit, um diese Spielsituationen mit der Ruhe eines buddhistischen Mönchs lösen zu können.

Wann wird man im Match wütend?

Wir haben vor ein paar Zeilen über die emotionale Reaktion bei Wut gesprochen. Es gibt aber auch klare Auslöser im Match. Wir werden gleich ein paar dieser Auslöser aufschreiben und dann feststellen, dass es ganz natürliche Geschehnisse im Laufe eines Tennismatches sind. Wer als junger Spieler seine Wut besser kontrollieren möchte, der sollte sich darüber bewusst sein, dass die gleich folgenden Auslöser zu jedem Match dazugehören. Ja, selbst ein Novak Djokovic trifft in seinen Matches auf diese Auslöser. Dazu gehören unter anderem: - leichte Fehler - unerwartet starker Gegner - länger anhaltende Schwächephase über zwei bis drei Aufschlagspiele - viele Linienbälle des Gegners - viele eigene Schläge, die reihenweise knapp im Aus landen oder an der Netzkante kleben bleiben Alles Bausteine eines typischen Tennismatches, oder nicht?

In vielen Fällen würden dir diese Auslöser auch nicht so viel ausmachen. Aber wenn du mit großen Erwartungen in ein Match gehst, diese Erwartungen mit der Realität auf dem Platz kollidieren, dann wirken diese Auslöser wie ein Donnerwetter auf dich. Das führt uns zu der Frage, wie du in diesen Spielsituationen mit deiner Wut umgehen kannst. Wir werden uns dieser Frage im nächsten Abschnitt dieses Artikels stellen und versuchen, eine Antwort darauf zu finden. Wie lässt sich positiv mit Wut umgehen? Stell dir einen kleinen, leeren Raum vor. In diesem Raum steht eine gemütliche schwarze Couch, ein Glastisch und ein Regal mit Büchern. An der Wand direkt vor der Couch hängt das Poster deines Lieblingsspielers. Zu diesem Raum hast nur du als junger Spieler allein Zutritt. Stell dir im nächsten Schritt vor, wie du vor einem wichtigen Match in diesen Raum gehst. Du setzt dich bequem auf die Couch und schaust auf das Poster deines Lieblingsspielers. Während du auf das Poster schaust, denkst du an dein nächstes Match.

Gehe nur eine Frage dabei durch: Worauf hast du zu 100 % Einfluss? Ist es das Ergebnis? Nein, auf keinen Fall. Da spielen zu viele Faktoren wie Gegner, Tagesform und andere Dinge mit. Das Ergebnis, so blöd es klingt, liegt garantiert nicht zu 100 % in deinem Einflussbereich. Wenn wir ganz ehrlich sind, dann liegen beim Tennis nur ganz wenige Dinge in deinem Einflussbereich. Was gehört beispielsweise zu diesen Dingen? Deine Reaktion auf das, was im Match passieren wird. Du wirst nur selten ein perfektes Match spielen. Du kannst aber immer auf die verschiedenen Spielsituationen mit einer gesunden Vernunft reagieren. Nachdem du dir diese Frage gestellt und beantwortet hast, schaust du zu deinem Lieblingsspieler an der Wand. Überlege, was er dir vor deinem Match raten würde. Sei dabei kreativ. Es sind ja nur deine Gedanken, die niemand hört.

Dein Lieblingsspieler würde dir vermutlich nicht raten, dass du dich verrückt machen sollst. Es würde wahrscheinlich eher in die Richtung gehen, dass du dein möglichst Bestes geben und cool bleiben sollst. Das eine Niederlage ganz sicher kein Weltuntergang ist. Diese kleine mentale Übung, ich nenne sie "Das Spielerzimmer", ist eine hervorragende mentale Vorbereitung für Jugendspieler, die ein großes Match vor dem Racket haben. Sei kreativ, verliere dich in positiven Gedanken in deinem Zimmer. Zusammenfassung Wir haben viele wichtige Punkte zum Thema Wut in diesem Artikel durchgesprochen.

Da du dir unmöglich alles merken kannst, kommen hier in einer Checkliste die wichtigsten Informationen für dich:

1) Wut ist eine Emotion, die negativen Einfluss auf deine Konzentrationsfähigkeit hat

2) Selbst ein Novak Djokovic wird in seinen Matches wütend. Du darfst es also auch werden. Entscheidend ist, wie du mit deiner Wut umgehst

3) Wut entsteht, wenn die zuvor geschürten Erwartungen mit der Realität im Match radikal kollidieren. Lösung? Halte deine Erwartungen im Rahmen. Erwarte lieber, dass du jederzeit cool und konzentriert bleibst. Egal, wie schlecht es läuft

4) Die meisten Auslöser für Wut, wie beispielsweise viele Fehler oder Netzroller des Gegners, sind vollkommen normale Bausteine eines Tennismatches. Betrachte sie daher auch als normal. Sie gehören zum Spiel wie dein Racket

Wie sieht dein nächster Schritt aus?

Gehe vor deinem nächsten Match in dein imaginäres Spielerzimmer. Hänge dort in Gedanken das Poster deines Lieblingsspielers auf. Setze dich auf die bequeme Couch, schaue auf das Poster und überlege, was dir dein Vorbild vor einem wichtigen Match raten würde. Ich wünsche dir mit dieser mentalen Vorbereitung ein wutfreies nächstes Match. 

von Marco Kühn

Freitag
11.08.2023, 13:37 Uhr
zuletzt bearbeitet: 11.08.2023, 11:41 Uhr