Michael Berrer im tennisnet-Interview: „Tennis ist die Schule des Lebens"
Ex-Profi Michael Berrer im tennisnet-Interview über die vier Superkräfte im Leben und im Tennis, das Standing von Sportlern in der Öffentlichkeit und seinen Sieg über Rafael Nadal.
von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
25.05.2019, 11:50 Uhr
Der Stuttgarter Michael Berrer, 38, feierte im Laufe seiner Karriere unter anderem Siege über Rafael Nadal, Tomas Berdych und Milos Raonic. Sein bestes Ranking: Platz 42 im Mai 2010. Seit seinem Karriere-Ende 2016 arbeitet Berrer als Testimonial für Orthomol Sport sowie als Unternehmenscoach und Speaker bei namhaften Unternehmen.
Michael, du hast beim Orthomol Sport Tennis-Event einen tollen Vortrag gehalten, hast so viele Gedanken und Ansätze im Tennis und im Leben aufgezeigt. Wie kamst du darauf, Vorträge zu halten?
Nach meiner Karriere wurde ich angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, darüber zu berichten. Da habe ich mich hingesetzt und überlegt: Welche Kernbotschaften habe ich? Gemeinsam mit meinem Geschäftspartner, der seit über 25 Jahren Unternehmensberater ist, sind wir auf die vier Superkräfte gekommen.
Vier Superkräfte?
Motivation – die brauchte ich in meinen 17 Jahren auf der Tour. Einfach gesagt: Was treibt uns morgens aus dem Bett? Widerstandsfähigkeit – wie gehe ich mit Niederlagen und Rückschlägen um? Fokus – wie bringe ich dann Höchstleistung, wenn es darauf ankommt, also bei den Big Points und wichtigen Situationen? Und Teaming, das ist im unternehmerischen und sportlichen, aber auch privaten Umfeld hochrelevant. Ich habe im Laufe meiner Karriere viel erlebt, vieles falsch gemacht, das wollte ich mit den Menschen teilen.
Was sind Dinge, die du falsch gemacht hast und heute anders angehen würdest?
Ich würde mir größere Ziele setzen und ein Umfeld aussuchen, das ähnlich denkt. Ich war zwar talentiert, aber nicht unglaublich talentiert. Um die Matches, die Härte und die Überzeugung zu kriegen, wäre ich wohl besser direkt ans College in die USA gegangen. Ich habe damals drei Jahre verschwendet – ich war nicht aktiv genug, habe nicht hart und diszipliniert genug trainiert, habe mein Leben dem Tennis nicht untergeordnet. Das würde ich heute anders angehen. Denn: Wenn du was machst, dann mach es richtig.
Was lief in deinem Umfeld nicht gut genug?
Ich würde die Schuld ungern auf andere schieben, aber ich war definitiv nicht richtig vorbereitet auf das Leben als Profi. Ich konnte anfangs nach meinem Abitur nicht reisen, weil ich so starkes Heimweh nach meiner damaligen Freundin hatte. Von Trainerseite hieß es: „Bist du bescheuert? Reiß dich zusammen!“ Das ist der falsche Weg. Man kriegt die Leute nicht, indem man sagt „Du musst, du musst, du musst!“. Man sollte sie von Optionen überzeugen, damit sie von selbst auf die richtige Spur kommen. Die Freundin ist heute meine Frau und Mutter meiner Kinder, so schlecht war mein Gefühl also nicht (lacht).
Du warst dennoch einer der besten deutschen Profis der letzten 15 Jahre – warst Davis-Cup-Spieler und die Nummer 42 der Welt. Ausgerechnet als es am besten lief, hast du ein Psychologiestudium begonnen. Wieso?
Ich habe für mich gemerkt: Mann, da fehlt irgendwas… Ich habe so viel Zeit auf Turnieren, ich brauche diesen Abschluss! Über die ATP konnte ich umsonst studieren, ansonsten hätte das 120.000 US-Dollar gekostet. Ich bin abends dann nicht mehr mit den Kollegen essen gegangen, sondern hatte Room-Service im Hotel. Man sitzt auf der Anlage so viel rum... ich habe mir Headphones aufgezogen und gelernt. Das war eine Herausforderung, aber auch tolle Erfahrung! Und eine Quelle fürs Selbstbewusstsein für die Zeit, in der ich Niederlagen einstecken musste.
Hat dir das Studium auch abseits des Courts etwas gebracht?
Absolut! Sportler definieren sich oft nur über ihren sportlichen Erfolg. Ich kann das unterstützen: Ich bin als Nummer 50 in der Welt anders in die Flughafen-Lounge reingelaufen als vorher mit Rang 130. Dabei kann es das doch nicht sein! Aber die Überzeugung kam erst später: Hey, ich bin Tennisprofi, ich bin jemand! In deutschen Kulturkreisen ist es nicht hoch respektiert, wenn man sagt: Ich bin Tennisprofi. Da kommt oft die Frage: Ja, und was machen Sie beruflich?
Anders als in den USA.
Da hätte ich nach meiner Karriere zwei Anrufe gemacht und hätte einen geilen Job bekommen. Vor allem mit einem Uni-Abschluss. In Deutschland ist das schwieriger. Aber das Bewusstsein bei Unternehmen wächst, es gibt immer mehr Programme für Hochleistungssportler. Einige erkennen, dass Sportler einige Fähigkeiten haben, die sie auch im beruflichen Bereich weiterbringen.
Du hast erzählt, dass du zu deiner aktiven Zeit immer arg angespannt warst und erst zum Ende hin begonnen hast, alles mehr zu genießen.
Das stimmt. Was ich mir für Zukunftssorgen gemacht habe! Wie geht es weiter, auch nach meiner Karriere… Im Endeffekt hätte ich viel entspannter sein können. Das hat mir auch mein Umfeld gesagt… „Hey Michi, du wirst das schon schaffen.“ Es ist alles eine Frage der Perspektive. Man kann mit Alptraum-Szenarien arbeiten: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Dass ich nicht mehr Tennis spielen kann. Selbst dann hat man aber einen Wissensschatz, den man als Trainer weitergeben kann. In Deutschland gibt’s rund fünf Millionen Menschen, die Tennis spielen oder tennisbegeistert sind. Das ist ein Markt, in dem man einen Job findet. Einen wichtigen Job, gerade im Hinblick auf Kinder! Man sagt ja: Im Tennis geht es nicht um Leben und Tod – es geht um mehr! Natürlich geht es um mehr: um Umgang mit Niederlagen, um Fairness, um Respekt, harte Arbeit, Disziplin, darum, nicht aufzugeben. Tennis ist die Schule des Lebens!
Das Leben ist ein Tennisspiel!
So ist es. Tennis ist genial! Es ist ein Sport, der dauert, bis man ihn lernt. Selbst bei mir, ich hab es ja auf ein gewisses Perfektionslevel gebracht, kriege aber immer noch einen kompletten Ausraster, wenn ich einen Ball verhacke. Tennis ist ein Hammer-Sport, deswegen ist mir‘s so wichtig, dem Tennis weiter verbunden zu bleiben. Weil es ein brillanter Sport ist!
Du hast viel über positive Körpersprache beim Tennis gesprochen. Dennoch gibt es viele Spieler, sehr erfolgreiche auch, die viel mit sich hadern oder sich herunterziehen. Angelique Kerber ist da ein Beispiel. Kann man lernen, sich in diesem Punkt zu ändern?
(überlegt) Nun, Angie Kerber war die Nummer 1 der Welt und ist derzeit Nummer 5, so schlecht scheint sie es also nicht zu machen. Aber man kann auf jeden Fall mit Training auch die Körpersprache positiv beeinflussen. Ganz ehrlich: Als Tennisspieler ist man doch auch Entertainer. Und wem schaut man lieber zu: Jemandem, der positiv oder negativ auftritt? Ich war sicher nicht der beste Tennisspieler, aber ich denke, viele Leute haben mir gerne zugeschaut, weil ich gefightet habe, weil ich nie aufgegeben habe. Und dafür brauche ich kein Talent, das kann ich einfach umsetzen. Ebenso wie Disziplin, Pünktlichkeit, Engagement, eine positive Einstellung. Mit etwas Übung geht das ins System. Und es macht doch alles viel mehr Spaß, wenn man eine gewisse Freude hat.
Hattest du schon immer eine positive Körpersprache?
Ich war immer ein Kämpfer. Das war eine Stärke, aber ich habe aktiv weiter daran gearbeitet. Körpersprache ist wichtig, du eroberst den Raum damit! Keiner spielt gerne gegen Leute, die immer aufrecht stehen, die immer da sind. Selbst wenn man 6:0, 3:0 führt. Ein Break, dann wird es wieder eng. Das kennen wir alle!
Du hast Ende 2016 aufgehört und deine Karriere mit einem Sieg beendet. Das schaffen nicht viele...
… das war geplant!
Geplant?
Im Juni habe ich gesagt, Olympia schaffe ich nicht, also ist im Dezember Schluss. Aber die Deutschen Meisterschaften, zuhause in Biberach, den Titel würde ich gerne noch holen. Und das war geil – 6:4 im dritten Satz gegen Maxi Marterer, einen guten Gegner. Es war ein tolles Gefühl. Damit konnte ich abschließen. Ich kann sagen: Mein letztes Match als Profi habe ich gewonnen, und das ist eine coole Story zum Thema Punktlandung. So startet auch mein Video, wenn ich einen Vortrag halte: Deutscher Meister, Davis-Cup-Spieler, Sieg über Nadal. Dann sind die Leute abgeholt.
Der Sieg über Nadal, das war 2015 in Doha. Vorher hattest du zweimal glatt gegen ihn verloren. Was lief damals anders?
Ich hatte eine richtig gute Vorbereitung, habe den Schläger umgestellt, war durch die Qualifikation gut im Turnier drin… Im ersten Satz gab‘s dann einen brutalen Abschuss, 1:6. Aber ich habe gemerkt: Ich bin gut drauf! Als ich den zweiten Satz gewonnen habe, dachte ich: Da könnte was gehen! Ich bin nicht müde geworden und dann saß ich bei 5:4 auf der Bank und konnte zum Match servieren. Aber ich habe beim Seitenwechsel zu viel geträumt, plötzlich stand‘s 15:40. Dann habe ich den Matchplan zurückgeholt. In den Körper serviert, die Vorhand bekommen – und das war‘s. „Klarheit ist Power“, das hab ich zunächst nicht angewandt, aber dann zurückgeholt.
Fünf Jahre zuvor hattest du in Monte Carlo noch 0:6, 1:6 gegen Nadal verloren.
Da hatte mir mein Coach Claudio Pistolesi geraten, direkt beim ersten Punkt einen Stopp zu spielen und Rafa dann die Faust zu zeigen. Das hat geklappt… Und dann hat Nadal mir seinen tödlichen Blick zugeworfen. 40 Minuten später stand‘s 0:6, 0:5… (lacht)
Du hast auch ein Trainingslager mit Roger Federer erlebt. Was hast du davon mitgenommen?
Roger hat ein tolles Team, er ist menschlich eine 1A-Person. Ein extrem intelligenter Mann, sehr geschäftstüchtig, er weiß genau, wie das läuft. Eine gute Familie, mit Severin Lüthi hat er ebenfalls einen menschlich tollen Typ im Team. Federer ist ein Sportler, der immer noch Mensch ist. Sehr höflich und bescheiden, aber er weiß genau, wie gut er ist. Er ist für mich der größte Sportstar, den es auf der Welt gibt!
Wie kommt‘s, dass er mit fast 38 Jahren noch so erfolgreich sein kann?
Ich finde es sehr innovativ, wie er trainiert. Über Hütchen, Drills, rechts-links, immer auf Punkte, immer Wettbewerb, immer Spaß haben. Er schaut stets, wo er sich weiterentwickeln kann. Ich sage das oft in Unternehmen: „Change“ hört sich schlimm an. Keiner mag Veränderung, wir wollen Gewohntes beibehalten. Aber „Life-long-Learning“, das hält jung! Ich habe mit 32 Jahren noch mal den Aufschlag geändert und die Lauftechnik, das hat mir gut getan. Da hatte ich eine Aufgabe, das hält einen motiviert. Und ich habe gemerkt: Auch im hohen Tennisalter kann man sich verändern. Das können wir alle – egal, ob man Profi ist oder nicht.
Das Gespräch führte Florian Goosmann in Stuttgart.
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