Mondbälle, Krämpfe und Trick-Aufschläge
tennisnet.com blickt auf das legendäre Match im Achtelfinale der French Open 1989 zurück.
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
17.05.2011, 09:07 Uhr
Von Christian Albrecht Barschel
Es hatte etwas von David gegen Goliath, als sich Ivan Lendl und Michael Chang am 5. Juni 1989 im Achtelfinale der French Open gegenüberstanden. Auf der einen Seite der 29-jährige Tschechoslowake, der souverän die Weltrangliste anführte, im gleichen Jahr bereits fünf Turniere gewann und bereits dreimal in Roland Garros triumphieren konnte. Auf der anderen Seite der 17-jährige Teenager aus den USA, Nummer 15 der Welt. Chang ist vom Körperbau und der Athletik "Ivan dem Schrecklichen" ganz und gar nicht ebenbürtig. Doch der Sohn taiwanesischer Einwanderer hält mit seinen flinken Beinen und seinem großen Kämpferherzen dagegen. tennisnet.com blickt auf dieses legendäre und emotionale Duell bei den French Open 1989 zurück.
Lendl kontrolliert die Partie, endlos lange Ballwechsel
Gleich zu Beginn zeigt sich in welche Richtung dieses Spiel gehen würde. Lange Rallyes von der Grundlinie mit mehr als einminütigen Ballwechseln sollen keine Seltenheit sein, sondern die Regel in diesem epischen Spiel zwischen Lendl und Chang. Während Lendl zunächst seine Aufschlagspiele souverän durchbringt, muss Chang etwas länger kämpfen. Das erste Break schafft Lendl zum 5:3, doch Chang kontert mit dem direkten Rebreak. Die ganze Klasse des Weltranglisten-Ersten zeigt sich aber im anschließenden Aufschlagspiel, in dem er Chang ein weiteres Mal breakt und nach mehr als einer Stunde sich den ersten Satz sichert.
Unbeeindruckt davon zeigt sich der US-Amerikaner, der im zweiten Satz mit 2:0 in Führung geht. Doch Lendl lässt sich nicht beirren, gleicht sofort zum 2:2 aus und holt sich schließlich abgeklärt auch den zweiten Durchgang mit 6:4. Die Partie nimmt ihren erwarteten Lauf. Die wenigsten Zuschauer hätten wohl jetzt noch einen Pfifferling auf Chang gesetzt und ihm eine solche Aufholjagd mit seinen jungen 17 Jahren gegen den dreifachen French-Open-Sieger zugetraut. Immer wieder das gleiche Muster im Spiel. Lendl kontrolliert die Ballwechsel und verteilt mit seiner starken Vorhand von der Grundlinie, Chang dagegen erläuft so gut wie jeden Ball und kontert immer wieder mit seiner starken Rückhand.
Chang kämpft sich zurück, Lendl rastet aus
Im dritten Satz gestaltet sich alles zunächst ausgeglichen, ehe beim Stand von 3:3 das Momentum auf die Seite von Chang wandert, der Lendl in den folgenden Minuten zweimal den Aufschlag abnimmt und den Satz mit 6:3 gewinnt. Lendl agiert im vierten Satz zunehmend nervöser, während Chang mit Wadenkrämpfen in beiden Beinen zu kämpfen hat. Der US-Amerikaner schafft das Break zum 4:2. Im darauffolgenden Spiel verpasst der Weltranglisten-Erste die Chance zum Rebreak und verliert immer mehr die Fassung.
Nachdem ein enger Ball zugunsten von Chang gut gegeben wird, bittet Lendl den Stuhlschiedsrichter den Abdruck zu kontrollieren. Doch dieser kann den Abdruck nicht mehr finden und gibt den Punkt an Chang. Lendl rastet daraufhin aus beschimpft den Schiedsrichter mit den Worten "Jedes Mal betrügst du mich". Daraufhin kassiert Lendl einen Punktabzug und das Spiel geht an Chang. Als er beim Stand von 5:3 zum Satzausgleich serviert, beginnt der US-Amerikaner damit endlos hohe Mondbälle zu spielen. Das Mittel funktioniert und Chang gleicht in den Sätzen aus.
Wadenkrämpfe bei Chang, doch Aufgabe ist Tabu
Es geht in den fünften Satz, der Tennisgeschichte schreiben wird. Chang gelingt sofort ein Break und erwischt Lendl, der sich in die roten Pariser Sandboden niederlegt, auf dem falschen Fuß. Es ist nun ein reines Geduldsspiel. Keiner riskiert mehr allzu viel und wartet auf die Fehler des Gegners. Changs Aufschläge sind mittlerweile nur noch Einwürfe. Doch der Tschechoslowake, der später die US-Staatsbürgerschaft annimmt, schlägt zunächst daraus kein Kapital und lässt sich durch die immer mehr werdenden Mondbälle beeindrucken. Der US-Amerikaner ist sichtbar angeschlagen, hält sich nur mit Mühe auf den Beinen, greift zwischen den Ballwechseln immer wieder zu seiner Wasserflasche und kassiert wegen Zeitüberschreitung eine Verwarnung.
Lendl gleicht nach 0:2-Rückstand zum 2:2 auf. Das Match scheint nun zugunsten des Weltranglisten-Ersten entschieden. Ans Aufgeben denkt Chang aber nie. "Wenn du das erste Mal aufgibst, ist es das zweite, dritte und vierte Mal viel einfacher das gleiche zu tun", sagt er später. Chang ändert immer wieder seine Taktik, kommt jetzt öfter ans Netz und breakt zum 3:2. Während des Seitenwechsels setzt er sich nicht hin und bleibt lieber stehen aus Angst vor neuen Krämpfen. Lendl gleicht erneut zum 3:3 aus, Chang lässt aber nicht locker und nimmt Lendl wieder den Aufschlag zum 4:3 ab.
Griff in die Trickkiste: Aufschlag von unten
Im anschließenden Aufschlagspiel bei 15:30 gibt es die legendäre Szene, über die bis heute noch heftig diskutiert wird und von vielen Hobbyspielern als Mittel angewendet wird. Chang schnippelt einen Aufschlag von unten ins Feld. Der überraschte Lendl greift daraufhin an und wird passiert. Chang pusht sich und bringt kurze Zeit später sein Aufschlagspiel zum 5:3 durch. Lendl serviert nun gegen den Matchverlust und Chang legt alles in die Wagschale, was noch möglich ist.
Zwei Rückhand-Winner des US-Amerikaners führen zum 0:30, Lend schlägt ein Ass zum 15:30. Ein weiterer sehenswerter Rückhand-Winner die Linie entlang bringen zwei Matchbälle für Chang. Der erste Aufschlag von Lendl landet im Aus, nun greift Chang wieder in die Trickkiste und stellt sich direkt an die T-Linie. Lendl schaut irritiert zum Schiedsrichter, zögert mit dem Aufschlag und schlägt diesen an die Netzkante, der daraufhin ins Aus springt.
Chang bringt seine Mission in Paris mit dem Titel zu Ende
Spiel, Satz und Sieg Chang, der weinend auf den Pariser Sandboden fällt und nach 4:37 Stunden eine der größten Sensationen der Tennisgeschichte perfekt macht. "Es war eine lange Reise mit Ivan, aber Gott und Jesus Christus waren mit mir", sagt Chang später. Lendl hingegen ist genervt: "Ich sah die Mücke da drüben, konnte sie aber nicht totmachen". Trotzdem zollt der unterlegen Weltranglisten-Erste seinem Gegner Respekt: "Er hat sehr viel Courage bewiesen und verdient Hochachtung dafür. Wenn du Krämpfe hast, ist es sehr schmerzvoll und beinahe unmöglich zu spielen." John McEnroe sagt zwanzig Jahre später: "Es war das verrückteste Match, das jemals in Paris, wenn nicht in der ganzen Tennisgeschichte gespielt wurde."
Das Märchen von Chang geht in den nächsten Tagen weiter. Nach Siegen gegen Ronald Agenor und Andrei Chesnokov steht er im Endspiel von Roland Garros gegen Stefan Edberg. Und auch dort sorgt er für eine Sensation und bringt seine Mission in Paris nach einem 6:1, 3:6, 4:6, 6:4, 6:2 gegen den Schweden zu Ende. Mit 17 Jahren und drei Monaten wird Chang nicht nur der jüngste French-Open-Sieger, sondern ist bis heute der jüngste Grand-Slam-Champion aller Zeiten. Wahrscheinlich ein Rekord für die Ewigkeit. "Diese zwei Wochen in Paris waren ein großer Spaß, die beste Zeit meines Lebens und werden für den Rest meines Lebens bleiben. Vielleicht werde ich eines Tages noch etwas Größeres erreichen", meint Chang, der damit aber nicht Recht behält. Es sollte der einzige Grand-Slam-Titel für Michael Te-Pei Chang bleiben. (Foto: GEPA pictures)
Hier noch zwei Videos vom Match mit dem deutschen Kommentar: