Neuanfang am Hamburger Rothenbaum: Ein Abenteuer mit Risiko - und Zverev?
Die neuen Turniermacher Peter-Michael und Sandra Reichel haben in Hamburg einiges vor. Alexander Zverev und Dominic Thiem sollen dabei gerne langfristig eine Rolle spielen - letztlich soll aber das Turnier selbst die Show sein.
von Jörg Allmeroth aus Hamburg
zuletzt bearbeitet:
29.07.2019, 12:10 Uhr

Peter-Michael Reichel kann sich noch gut an den Moment erinnern, als er das Tennisterrain am Hamburger Rothenbaum erstmals richtig inspizierte. „Es war ein Schreck, damals 2017“, sagt der österreichische Turniermacher. Um sich dann gleich zu korrigieren: „Eher ein leichter Schock.“ Gefühlt Rost an allen Ecken und Enden. Ein millionenschweres Dach, das marode war. Der Gesamteindruck: Verheerend.
Manchmal scheint sich Reichel, der renommierte Impresario, selbst zu wundern, dass er nun hier in Hamburg steht. Als neuer Regent am Rothenbaum, gemeinsam mit seiner Tochter Sandra, der Turnierdirektorin. Reichel setzte sich im Bieterwettbewerb gegen Michael Stich und dessen Betreibergesellschaft durch, nun will sein Familienunternehmen die Last und auch das Wagnis stemmen, dem angekratzten Traditionswettbewerb ein neues Image zu verpassen. Eine Frischzellenkur ist gefragt, die wirkt und belebt. „Wir gehen hier bewusst ein hohes Risiko ein“, sagt Reichel, „man kann im ersten Jahr sicher keinen Gewinn machen, keine schwarze Null schreiben.“
Reichels wollen "nicht um jeden Preis" bleiben
Die Reichels, die schon die Frauenturniere in Linz und Nürnberg veranstalten, haben sich die Lizenz für den ältesten deutschen Tenniswettbewerb für fünf Jahre gesichert. Sie gaben zunächst eine Standortgarantie für Hamburg ab, aber in der Hansestadt muss auch etwas in Bewegung kommen, nicht zuletzt finanziell, um das Turnier auch tatsächlich über diese Zeit am gewohnten Schauplatz zu halten. „Nicht um jeden Preis“ könne man bleiben, sagt Reichel, er ist ein Geschäftsmann, er hat nichts zu verschenken. Er hofft, dass sich mehr Sponsorenpower entfaltet, schließlich blieb das Turnier in diesem Auftaktjahr ohne finanziell zuschiessenden Namensgeber. Die „Hamburg European Open“ können nur eine Zwischenlösung sein. Immerhin: Die Dachsanierung ist beschlossen, vor allem dank einer kräftigen Zuwendung des sportbegeisterten Milliardärs Alexander Otto. Auch der Hamburger Senat steht energisch hinter der großangelegten Renovierung, hinter dem Aufbruch in eine modernere Ära.
Das Hamburger Turnier im Sommer, es rührt aber auch an einem Kardinalproblem der Tennisszene – einem Terminkalender, in dem zu viele widerstreitende Interessen berücksichtigt werden müssen. In dem es alles andere als logisch und vernünftig zugeht. Seit Hamburg vor elf Jahren seinen Masters-Status verlor, im Millionengeschacher von Agenturen und Verbänden, ist es auf einen Termin nach Wimbledon gerückt. Die meisten Asse legen nach dem Grand-Slam-Rasenspektakel allerdings eine satte Pause ein, Federer, Nadal oder auch Djokovic. Sie wollen nach der Grassaison auch nicht wieder zu den Rutschübungen in den roten Sand zurückkehren. So bleiben die meisten Turniere nach dem Endspielsonntag an der Londoner Church Road den Spezialisten vorbehalten. Kann das Turnier deshalb in den Hartplatz-Modus umgeschaltet werden? Wohl eher ein Gedankenspiel, es wäre zu aufwändig, zu teuer.
Hamburg auch 2020 mit Zverev und Thiem?
In diesem Jahr haben Reichel und Reichel das Glück, dass Stars wie Alexander Zverev oder Dominic Thiem nach schwierigen Tenniszeiten so etwas wie einen Neustart in Hamburg versuchen, die Reset-Taste drücken. Die Geschichte vom zurückgekehrten Hamburger Jung´ Zverev erscheint wie ein unverhofftes Geschenk, ist aber auch auf intensive Verhandlungsbemühungen der neuen Veranstalter aus Oberösterreich zurückzuführen. Doch werden Zverev und Thiem auch 2020 am Rothenbaum aufschlagen, in einem Olympiajahr – und darüber hinaus? Angeblich wolle Zverev dem Turnier künftig sogar bei der Vermarktung helfen, man plane in jedem Fall „längerfristig“ mit ihm, sagt Peter-Michael Reichel.
Sandra Reichel, als innovative Turnierregisseurin in der Szene bekannt, hat eine Wunschvorstellung. Nämlich, dass der Wettbewerb als Marke eine solche Strahlkraft entwickelt, „dass irgendwann egal ist, wer spielt.“ Das Turnier selbst soll die Show sein, der Hauptdarsteller, die Story. Andererseits kämpfen viele Events schon länger mit einem buchstäblichen Wahrnehmungsproblem: Viele Fans verfolgen fasziniert die großen Duelle der großen Namen auf den großen Bühnen – und machen dann auch schon mal einen Bogen um jene Turniere, bei denen Federer und Co. nicht gastieren. Dabei wird dort keineswegs zweitklassiger Sport, sondern immer noch Tennis aus der Champions League geboten.