Nicolas Kiefer im Interview: „Die Zeit mit Lendl hat Zverev gut getan“
Nicolas Kiefer, sechsfacher Champion auf der ATP-Tour und Silbermedaillen-Gewinner bei Olympia 2004 in Athen, im großen tennisnet-Interview über die jungen Wilden, den Druck auf Alexander Zverev und sein Herzensprojekt NK-4.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
04.04.2025, 10:53 Uhr

Da hat Nicolas Kiefer für einen Moment gedacht, dass er sich kurz zurücklehnen könne. Aber nein. Plötzlich werden aus den „Big Six“ die „Big Nine“ und so steht am Ende August dieses Jahres ein Flug nach Sydney an. Warum? Nun: Die Marathons in London, Berlin, Chicago, Boston, Tokio und New York City hat der ehemalige ATP-Weltranglisten-Vierte schon erfolgreich absolviert („zuverlässig wie eine Nähmaschine“ - O-Ton Kiwi), aber jetzt muss man als Long-Distance-Ass eben auch noch am 31.08.2025 in Sydney, in den Jahren 2026 und 2027 Shanghai und Kapstadt die 42,195 Meter gelaufen sein, um seinen Seelenfrieden zu finden.
Laufen ist das eine, die ganz große Leidenschaft von Nicolas Kiefer ist und bleibt aber der Tennissport. Auf allen Ebenen, wie sich im Interview mit tennisnet.com mal wieder zeigt.
Tennisnet: Herr Kiefer. Die frühen Monate der Saison 2025 waren auch von zwei ganz jungen Spielern geprägt: Joao Fonseca und Jakub Mensik. Haben Sie sich schon ein Bild über die beiden machen können?
Kiefer: Beide tun dem Sport richtig gut. Ich mag es, wie Fonseca unseren Sport auf dem Platz lebt. Diese Emotionen! Ein super Typ. Das Gleiche gilt für Mensik. Die nehmen sich beide vom Alter her nicht viel. Für Mensik war Miami natürlich der große Durchbruch, auch wenn er davor schon gut gespielt hat. Schön zu sehen war aber auch der Respekt, den er vor Novak Djokovic gezeigt hat. Als Mensik geboren wurde, hat Djokovic ja schon fast seine ersten Grand-Slam-Turniere gewonnen. Und dann hat Mensik das über die Jahre immer mitverfolgt - und plötzlich spielt er im Endspiel eines 1000ers gegen sein großes Idol. Das muss man sich einmal bildlich vorstellen. Da hat er eine tolle Rede gehalten.
Tennisnet: Wird es denn von Jahr zu Jahr schwieriger, den Übergang von den Junioren in das Erwachsenentennis zu schaffen? Auch gerade im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit?
Kiefer: Die Masse der guten Spieler ist noch breiter geworden. Am Ende hängt es aber davon ab: Wie trainiere ich? Wie ist mein Team und Umfeld? Heutzutage gibt es viel zu viel Ablenkung: Handys, Social Media, etc. Das hatten wir gar nicht und war somit ein Vorteil für uns. Und da stellt sich heute die Frage: Wer hat den absoluten Fokus nur auf das eine Ziel. Das gilt für einen Justin Engel wie für alle anderen Nachwuchs-Cracks. Und in dieser Hinsicht glaube ich, dass Joao Fonseca und Jakub Mensik schon sehr weit sind.
Kiefer: “Alcaraz ordnet alles dem Sport unter”
Tennisnet: Wie die Generation unmittelbar vor ihnen.
Kiefer: Klar. Carlos Alcaraz ist ja immer noch jung. Und er lebt den anderen vor, dass er alles dem Sport unterordnet. Jack Draper ist noch sehr jung, Ben Shelton erst 22 Jahre alt, Holger Rune auch. Der spielt nur gefühlt schon sehr lange. Für diese Jungs gibt es nur den Sport. Deshalb stehen sie auch so weit vorne.
Tennisnet: Das macht auch Alexander Zverev, der seinem ganz großen Ziel, nämlich ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, alles unterordnet. Setzt er sich damit zu sehr unter Druck?
Kiefer: Sascha hat alles gewonnen. Bis auf ein Grand-Slam-Turnier. Und wenn man jedes Jahr nur vier Chancen hat, dann steigt der Druck. Eines ist 2025 mit den Australian Open schon wieder weg. Aber der Nachwuchs, also Leute wie Mensik, die können an einem guten Tag auch bei einem Major schon gefährlich werden. Klar: Bei Best-of-Five-Matches hat Sascha einen Vorteil, weil er die größere Erfahrung hat. Aber er setzt sich natürlich unter Druck. Er steckt sich hohe, aber auch realistische Ziele. Um diese zu erreichen, glaube ich, wäre es aber auch gut, noch einmal einen andere Meinung und neuen Input von außen reinzuholen. Ich glaube, die Zeit mit Ivan Lendl hat ihm sehr, sehr gut getan.
Tennisnet: In welcher Hinsicht?
Kiefer: Sascha ist unheimlich athletisch, da kann ihm keiner etwas vormachen. Aber ab und zu fehlt ihm der Drang nach vorne ans Netz. Das war unter Lendl richtig gut. Da hat er die Abschlüsse am Netz gesucht, ist kurzen Bällen nachgegangen. Jetzt lässt er sich zu sehr nach hinten drängen. Das ist zwar Saschas natürliches Spiel - und der Erfolg gibt ihm ja recht. Wenn er aber wieder mehr nach vorne kommt wie unter Lendl, kann er ein paar Prozente mehr rausholen. Sascha hat einen derart guten Aufschlag, da kommen kaum gefährliche Bälle zurück. Und warum nicht gleich mit dem zweiten Ball ans Netz gehen?
"Padel und Pickleball sind eine Ergänzung zum Tennis - keine Konkurrenz"
Tennisnet: Ganz weit weg vom professionellen Tennis haben Sie vor ein paar Jahren die NK-4-Turnierserie ins Leben gerufen. Eigentlich der ideale Einstieg in den Tennissport. Wie lautet da Ihr Zwischenfazit?
Kiefer: Das NK-4 hat sich sehr, sehr gut entwickelt. Im Jahr 2023 waren es 26 Turniere, im vergangenen Jahr schon 51 und aktuell stehen wir schon bei über 25. Das macht eine Riesenfreude. Und und den Teilnehmern, die darüber begeistert sind, dass es ein neues Format gibt und dass man keine Vereinszugehörigkeit braucht. Von Lizenzen und Extragebühren ganz zu schweigen.
Tennisnet: Ein kürzeres Format hat ja auch den Vorteil, dass gewisse Unsicherheiten wegfallen …
Kiefer: Auch deshalb spielen auch so viele Leute bei unseren Turnieren mit: Weil es planbar ist. Am Wochenende hatten wir ein Turnier, das um 14 Uhr begonnen hat und um 19 Uhr war das Finale beendet. Beim NK-4 muss kein Teilnehmer und keine Teilnehmerin den ganzen Tag auf der Anlage herumhängen, um zwei Matches zu spielen.
Tennisnet: Ist die Idee aber auch, dass Vereine durch diese Turniere neue Mitglieder gewinnen?
Kiefer: Am Ende des Tages kann es zu einem Schneeballeffekt kommen. Ein Verein veranstaltet ein Turnier, jeder kann mitspielen - „Tennis for All“ ist ja unser Leitspruch. Aber wenn ein Verein ein Event richtig gut organisiert, dann liegt es natürlich nahe, dass dadurch auch neue Mitglieder gewonnen werden.
Tennisnet: Im Trend liegen nicht nur neue Formate, sondern auch neue Disziplinen, wie zum Beispiel Padel. Sehen Sie das eher als eine Ergänzung oder eine Konkurrenz zum Tennis?
Kiefer: Wenn, dann wirklich nur als eine Ergänzung. Tennis wird immer Tennis bleiben. Alles andere, ob es Padel, Beachtendes oder Pickleball ist, leitet sich als Rückschlagsportart ja vom Tennis ab. Deshalb wird Tennis immer die Nummer eins bleiben.
Tennisnet: Für Sie sowieso. Wird es in den kommenden Monaten wieder Camps mit Ihrer Beteiligung geben?
Kiefer: Ich stehe schon in den Startlöchern. Am Sonntag geht es in den ROBINSON Pamfilya Park, dort gibt es vor Ostern ein Kindercamp und bis Ostern noch vier NK-4-Turniere. Für die Erwachsenen folgt danach, Ende April, im ROBINSON Sarigerme Park ein Camp für Erwachsene und auch ein NK-4-Turnier. Das ist der perfekte Zeitpunkt für die Saisonvorbereitung. Und das Schönste ist immer zu sehen, wie heiß die Leute auf den Tennissport sind.
Tennisnet: Wie viel Nicolas Kiefer bekommt man bei solchen Camps?
Kiefer: Die Kurse sind immer auf Gruppentraining ausgelegt. Ich habe zwei Trainer mit mir dabei und wir rotieren immer, sodass jeder täglich auch mal mit mir zum Spielen kommt. Bei den Kindern sind immer wieder welche dabei, die richtig gutes Potenzial haben. Bei den Erwachsenen ist das nicht viel anders. Die wollen übrigens eigentlich gar nicht trainieren, sondern nur Punkte spielen. Und freuen sich dann, wenn sie mir einen in die Ecke hauen. Von dem hörst Du dann aber den ganzen Tag.