Novak Djokovics Adria Tour - Super-GAU für den Tennissport
Es hätte die Wiederbelebung des Tennissports werden sollen, mit Fans, Ballkindern und allem drum und dran. Stattdessen ist die von Novak Djokovic organiserte Adria Tour zum ganz großen Debakel verkommen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
22.06.2020, 11:14 Uhr
In den beiden letzten Wochen schien vieles so wie immer bei einem der prominenteren Gesichter des Tennis-Wanderzirkus. Grigor Dimitrov, der frühere ATP-Weltmeister (2017), reiste fröhlich in der Weltgeschichte umher, von Florida herüber nach Europa. Von Monte Carlo nach Belgrad, zwischendrin mal schnell ins heimatliche Bulgarien, dann wieder nach Kroatien zu einem seiner Einsatzorte. Am Ende seiner persönlichen Tingeltour war allerdings nichts mehr so wie früher, am Sonntagabend platzte mitten in die dezenten Lockerungsübungen in der Tennisbranche die Nachricht hinein, dass der 29-jährige Starspieler positiv auf das Coronavirus Covid-19 getestet worden sei.
Dimitrov machte seine Infektion selbst publik, er war auf einem Krankenbett zu sehen, nun wieder in seiner Wahlheimat Monaco. Er trug eine Maske, er wirkte angegriffen, und er klang kleinlaut mit der Botschaft, es tue ihm leid, welchen Schaden er angerichtet habe. Das Statement endete mit den Worten: „Bleibt sicher und gesund.“ Kaum veröffentlicht, meldete sich allerdings auch schon Dimitrows samstäglicher Schaukampfgegner Borna Coric (Kroatien) mit deckungsgleicher Depesche zu Wort, mit Positiv-Test und guten Wünschen für den Rest der Welt.
Der Fall Dimitrov ist auch ein Fall Djokovic
Von Vernunft und Rücksichtnahme, von verantwortungvollem Handeln war allerdings eine Woche zuvor keine Spur gewesen. Denn da war der schwerer betroffene Dimitrov nur eine von vielen Branchengrößen, die sich bei Novak Djokovics Adria Tour in Belgrad versammelt hatten. Gespenstische, befremdliche Szenen waren dort im „Lafayette“-Club zu sehen, eine wilde Partynacht mit Nummer-Eins-Mann und Tour-Organisator Djokovic voran, mit Österreichs Frontmann Dominic Thiem, mit Deutschlands Ass Alexander Zverev. Und mit eben jenem Dimitrov, der nun die zweifelhafte Ehre hatte, mutmaßlich als erster namhafter Akteur aus dem Welttennis positiv getestet worden zu sein. Speziell der Fall Dimitrov – er war damit auch ein Fall Djokovic. Ein Großschadensereignis für das Tennis überhaupt. Und für die Absichten der Branche, sich langsam, aber sicher wieder in begrenztem Umfang mit Turnieren zu etablieren.
Djokovic, der Mann hinter der Adria Tour, hatte vor einigen Tagen noch die Kritik an seinem Schauturnier mit der Bemerkung gekontert, die Bedenkenträger „im Westen“ wüssten halt nicht genau Bescheid über die Lage in manchen Ländern. Mit seinem Event gaukelte er dann eine Heile-Welt-Normalität vor, die es nicht geben konnte – vollbesetzte Zuschauertribünen, Handschläge zwischen den Beteiligten, Umarmungen jederzeit. Ballkinder, die wie üblich die verschwitzten Handtücher reichten. Handtücher, die nach den Matches in die Menge geworfen wurden. Und auch Partys, bei denen mit freiem Oberkörper die Nacht durchgetanzt wurde, ganz so, als hätte es Ischgl und die Folgen nie gegeben.
Kiki Bertens ist entsetzt
Während das Organisationsteam der Adria Tour das für Sonntag vorgesehene Finalspiel im kroatischen Zadar absagte und alle Personen, die sich länger als zehn Minuten in Dimitrovs Nähe aufgehalten hatten, zu einem Virustest aufrief, konnte Djokovic auf einen persönlichen Scherbenhaufen der Pandemie-Zeit blicken. Denn dass der 33-jährige Champion für seine Schaukampftour Spieler aus aller Welt ohne wirklich verantwortungsvolles Hygiene- und Sicherheitskonzept zusammengeholt hatte, war ja nur der letzte Fehltritt des Weltranglisten-Ersten gewesen. Für Kopfschütteln hatten zuvor schon seine pseudowissenschaftlichen Äußerungen in einem Video-Podcast gesorgt, wonach mit purer Gedankenkraft verseuchtes Wasser gereinigt werden könne. Zudem hatte sich der Serbe unmißverständlich als Impfgegner geoutet.
Beim Betrachten der jüngsten Bilder von Djokovics Adria Tour und der Party-Exzesse hatte die holländische Profispielerin Kiki Bertens entsetzt gefragt: „Auf welchem Planeten lebt er eigentlich?“ Möglicherweise auf einem Planeten, auf dem er selbst die Regeln zu bestimmen glaubt – am Montag jedenfalls wurde auch bekannt, dass sich Djokovic im kroatischen Zadar, unmittelbar nach Bekanntwerden von Dimitrovs Infektion, nicht habe testen lassen wollen. Angeblich mit der Begründung, er verspüre „keine Symptome.“
Das Virus kann sich mühelos über Grenzen bewegen
Eine penible Rückverfolgung der möglichen Infizierten rund um Dimitrov wirkte derweil illusorisch. Ballkinder, Turnier-Mitarbeiter, Schiedsrichter, dazu Tausende Zuschauer – niemand hatte in Belgrad Abstand eingehalten, kaum jemand hatte Masken getragen. Das Virus schien vor der Grenze zu Serbien halt gemacht zu haben, und doch war es auf einmal da, bei einem der Hauptbeteiligten, beim bulgarischen Ex-Weltmeister. Was zugleich auch die Crux für die Tenniswelt, für den internationalen Sport aufzeigte – denn mit jeder Reise, mit jeder Bewegung über Grenzen hinweg konnte sich auch das – zuweilen asymptomatische – Virus mühelos mitbewegen.
Vorerst blieben da nur Turniere ohne Zuschauermassen, Turniere wie etwa die geplanten Grand-Slam-Spiele von New York mit einschneidenden Regularien und massiven Hygienevorschriften. Turnierabläufe, gegen die sich Nummer eins-Mann Djokovic zunächst vehement gewehrt und angekündigt hatte, eine Teilnahme käme da wohl für ihn nicht in Frage. „Extrem“ nannte er sogar die Pläne im Big Apple. Die Folgen seiner Adria Tour könnten nun selbst extrem werden, mit einem potentiell größeren Infektionsgeschehen. Das Statement, das die Macher des Events am Sonntagabend verbreiten ließen, klang einigermaßen zynisch. Im Zusammenhang mit der Absage des Finals hieß es da: „Die Gesundheit aller Teilnehmer und Gäste kommt für uns zuerst.“