Peter-Michael Reichel im Interview: "Die Freundlichkeit der Menschen ist enorm"
Peter-Michael Reichel ist mit seiner Agentur BSG Sports Group verantwortlich für das erste internationale Tennisturnier in Saudi-Arabien. Gemeinsam mit seinem Partner Massimiliano Iuliano organisierte er den Diriyah Tennis Cup in einem Vorort der Hauptstadt Riad.
von Lukas Zahrer
zuletzt bearbeitet:
17.12.2019, 10:14 Uhr
Im Interview mit tennisnet spricht der 67-Jährige über die Entstehung des Events, die Kritik am Sportswashing Saudi-Arabiens und die zukünftigen Pläne mit dem Turnier.
tennisnet: Herr Reichel, wie ist die Idee des Diriyah Tennis Cups entstanden?
Reichel: Es war viel Zufall dabei, aber auch der Lohn vieler Reisen und Gespräche. Eine Abordnung arabischer Delegierter, die mein Partner Massimiliano Iuliano kannte, besuchte uns bei den Hamburg European Open und war vom Event begeistert.
tennisnet: Warum gehen Sie in ein Land wie Saudi-Arabien, und veranstalten dort ein Profi-Tennisturnier?
Reichel: Der Sport wird enorm dazu beitragen, dass sich die Menschenrechte den westlichen Standards annähern. Das wird nicht plötzlich passieren, aber es gibt Länder, in denen die Lage noch viel schlimmer ist. Das Glück ist, dass Saudi-Arabien mit Prinz Abdulaziz Turki Al Faisal einen Sportminister hat, der selbst aktiver Motorsportler ist. Dadurch hat er ein großes Herz für den Sport.
tennisnet: Wie war die Rückmeldung, als Sie die Pläne des Turniers bekanntgaben?
Reichel: Es gab negative Reaktionen, aber weniger, als ich dachte. Es besteht ein Unverständnis in Europa, weil die Berichterstattung über dieses Land ausschließlich negativ war. Durch den Khashoggi-Vorfall hört man aber meistens nur Schlechtes über Saudi-Arabien. Man muss sich nicht auf die Saudis einschießen. Die Begeisterung der Leute, dass wir da waren, ist ausgiebig. Ich bekam von wildfremden Leuten Danksagungen. Die Freundlichkeit der Menschen ist enorm. Das hilft sicherlich dabei, den Tourismus anzutreiben, was ja ein erklärtes Ziel ist. Dabei kommt auch wieder der Sport ins Spiel.
tennisnet: Betreiben Sie nicht Sportswashing?
Reichel: Natürlich wird der Sport eingesetzt, um Verbindungen in die Außenwelt herzustellen. Ich sehe es umgekehrt: Je mehr wir den europäischen Einfluss einbringen, umso mehr sind sie gezwungen, sich anzupassen. Sonst kommt ja keiner mehr.
tennisnet: Funktioniert das wirklich?
Reichel: Die Öffnung des Landes gehört transportiert. Es werden laufend richtige Schritte unternommen. Erst Anfang Dezember wurde etwa die Segregation in Restaurants abgeschafft. Es gab in den letzten 18 Monaten über 20 Maßnahmen, die Frauen gleichstellen. Außerdem soll das Turnier der Jugend eine interessante Aufgabe verschaffen, um sich körperlich zu betätigen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 25. Die Alterspyramide aus entwickelten Ländern steht hier Kopf.
tennisnet: Was war in der Organisation das schwierigste an der Umsetzung des Turniers?
Reichel: Die Leute verstehen nicht, dass es bestimmte Regeln gibt. Beispielsweise sollten keine Drohnen während der Matches über den Platz fliegen, sie haben sie zu Turnierbeginn trotzdem raufgeschickt. Man müsste noch einige weitere Regeln einhalten, um die Genehmigung für ein offizielles Turnier zu erhalten.
tennisnet: Auch die Ballkinder wirkten etwas ungeschickt.
Reichel: Dabei haben die schon seit fünf Wochen trainiert. Zu Beginn dachte ich, wir müssten welche aus Dubai einfliegen lassen (lacht). Es ist aber ein Zeichen, dass wir Pionierarbeit leisten müssen. Im Turnierverlauf besserte sich die Situation.
tennisnet: Sie setzen auf ein Live-Hawk-Eye, der „Aus“-Ruf kam per Computerstimme.
Reichel: Dadurch ersparen wir uns die Linienrichter. Aus unternehmerischer Sicht ist das ein Vorteil, weil niemand die Sicht auf die Logos der Sponsoren verstellt. Wir wollten auch zeigen, dass wir innovativ sind und mit modernsten Methoden arbeiten.
Reichel über Diriyah Cup: "Es wollte kein Spieler alleine im Fokus stehen"
tennisnet: War es schwierig, Spieler für das Turnier zu begeistern?
Reichel: Ich hatte Angst davor, Spieler einzuladen. Den meisten ist es egal, was geschrieben wird. Sie sehen sich als Sportler, die die Möglichkeit sehen, in der Vorbereitung auf Australien Geld zu verdienen. Vor den ersten zwei Zusagen gab es Diskussionen. Nadal und Djokovic waren ein warnendes Beispiel, sie wurden für ihre geplante und später abgesagte Exhibition in Saudi-Arabien attackiert. Es wollte kein Spieler alleine im Fokus stehen.
tennisnet: In der Pressemappe des Turniers wurden die Grundregeln des Tennissports erklärt. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?
Reichel: Das war wohl nötig, weil es Journalisten gibt, die außer Fußball nichts kennen. Ein weiteres Zeichen, dass hier viel Arbeit wartet. Viele hochrangige Leute interessierten sich aber für das Event. Es entwickelt sich etwas.
tennisnet: Ihre Tochter Sandra steht im Organisationsteam nicht nur in Linz, sondern auch beim Diriyah Cup in der ersten Reihe. Frauen haben es in Saudi-Arabien aber nicht leicht, oder?
Reichel: Teilweise werden sie voll akzeptiert. In manchen Situationen merkt man aber, dass Frauen einfach ignoriert werden. Wie überall auf der Welt muss in der Zusammenarbeit sichergestellt sein, dass man respektvoll miteinander umgeht, egal ob Mann oder Frau. Wir selbst benehmen uns auch so, wie wir das von anderen verlangen. Das muss vice versa geschehen.
tennisnet: Waren Sie mit der Idee des Turniers zur richtigen Zeit am richtigen Ort?
Reichel: Wir haben das Glück, dass momentan groß in den Sport investiert wird. Schon im Vorfeld des Turniers bekamen wir Zusagen für die Zukunft. Wir werden sicher ein Teil des Tennisgeschäfts bleiben – so viel steht fest.
tennisnet: Es wird eine zweite Auflage des Diriyah Cups geben?
Reichel: Wir wollen ein größeres Herren-Turnier veranstalten. Diese Zusage haben wir bereits bekommen. Die Spieler sollten früher anreisen, denn die Trainingsmöglichkeiten kamen gut an. Die Idee ist, eine Turnierserie im Aufbau zum Turnier über das gesamte Land zu veranstalten. Dort könnte eine Qualifikation stattfinden, mit Startplätzen beim Endturnier. So könnte die Basis der Bevölkerung angesprochen und Kinder zum Sport gebracht werden.
tennisnet: Ist es ein Ziel, ein ATP-Turnier nach Saudi-Arabien zu holen?
Reichel: Das ist eine Möglichkeit, ich will die Leute damit aber nicht abschrecken. Der Kalender im Profitennis ist durch Saudi-Arabien nicht um eine Woche länger geworden. Immer mehr Länder versuchen, Tennisturniere zu bekommen. Irgendwann wird es vielleicht fünf Turniere pro Woche geben. Der Konkurrenzkampf ist enorm. In Saudi-Arabien gibt es aber auch den Willen, zu investieren.
Diriyah Tennis Cup: Teilnahme von Frauen geplant
tennisnet: Die Sportarena, in der neben dem Tennisturnier auch ein Box-WM-Kampf stattfand, wird komplett abgebaut. Gibt es dasselbe Stadion im nächsten Jahr wieder?
Reichel: Möglich, vielleicht können wir aber auch nach Dschidda (zweitgrößte Stadt Saudi-Arabiens, Anm.). Dort ist es wärmer um diese Jahreszeit. Wir bekamen die Zusagen für die nähere Zukunft, mit dem klaren Auftrag, zur Verbreitung des Sports in diesem Land beizutragen. Dann wird die Zusammenarbeit mit dem Verband intensiviert, um die Basis zu erreichen.
tennisnet: Gibt es die Überlegung, auch Frauen einzuladen?
Reichel: Absolut, auch über dieses Thema haben wir konkrete Gespräche geführt. Wir hinterfragen noch, welche Kleidervorschriften dafür gelten müssen. Wahrscheinlich braucht es Leggins über die Knie, aber das sieht man ohnehin schon auf der Tour, wenn die Temperaturen fallen.
tennisnet: Im Vorfeld des Gesprächs erzählten Sie, schon 1983 erstmals in Saudi-Arabien gewesen zu sein. Wie sieht der Vergleich zu heute aus?
Reichel: Damals konnte ich sechs Tage lang das Hotel nicht verlassen. Es hat geheißen, der Scheich will mich treffen. Ich musste ihn mit einer Provision um Erlaubnis beten, eine Firma zu gründen. Das ist heute alles anders. Zwei Bilder von damals sind mir noch heute im Kopf.
tennisnet: Erzählen Sie uns bitte davon.
Reichel: Es gab eine brandneue, fünfspurigen Stadtautobahn. Plötzlich kam es zu einer Verengung auf zwei Spuren, weil eine Moschee den Weg versperrte. Die Straße führte um das Gebäude herum, doch in der Böschung lagen mindestens 15 Autos, die das übersahen. Auf der Straße wollte keiner nachgeben, das ist zum Teil bis heute so (lacht).
tennisnet: Was ist ihre zweite Erinnerung?
Reichel: Damals durften Frauen nicht einmal in einem Auto sitzen. Alle hatten Pick-Ups, auf der Ladefläche standen kleine Bänke, auf der die Frauen Platz nahmen. Die Menschenrechte und der Umgang mit Frauen haben sich zum Glück deutlich verändert, das muss man bei aller Kritik auch erwähnen.