Power mit Präzision: Die erstaunliche Siegesserie von Julia Görges geht weiter
Julia Görges ist die strahlende Siegerin beim WTA-Turnier in Auckland. Nun gelten zwei deutsche Spielerinnen als Mitfavoritinnen bei den Australian Open, auch Angelique Kerber ist in Topform.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
07.01.2018, 15:47 Uhr
Als Julia Görges Anfang November die B-Weltmeisterschaft in Zhuhai gewonnen hatte, war ihr Trainer Michael Geserer im Augenblick des Triumphs auch ein wenig betrübt. "Wir hätten am liebsten weitergemacht, gleich das nächste Turnier gespielt", sagt Geserer, "Jule hatte den besten Lauf ihres Lebens." Doch Geserer, einer der Erfolgsgaranten des Aufschwungs, kann wie der Rest des Teams Görges beruhigt sein:
Denn das Tennis-Hoch der 29-jährigen Frontfrau des deutschen Frauentennis hält unvermindert an, gleich in der ersten Turnierwoche der frischen Spielzeit 2018 räumte die Nationalspielerin schon wieder den Höchstpreis ab - nun im neuseeländischen Auckland, wo sie im neunten Anlauf zum ersten Mal den Titel gewann, dank eines 6:4, 7:6-Sieges über die Dänin Caroline Wozniacki.
"Es fühlt sich, vorsichtig ausgedrückt, erstaunlich an. Ich bin überglücklich, dass ich weiter mit diesem Selbstbewußtsein und dieser Kraft spielen kann", sagte die Bad Oldesloerin, die ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile im bayerischen Regensburg hat. Um sich eine Ruhepause zu gönnen, sagte Görges ihren Start beim WTA-Wettbewerb in Sydney ab - offiziell wegen einer Knieblessur.
Auch Kerber weckt große Hoffnungen
Görges weckte mit dem Pokalcoup gegen die A-Weltmeisterin Wozniacki ebenso große Hoffnungen für die Australian Open wie die ehemalige Weltranglisten-Erste Angelique Kerber. Die Kielerin legte beim Hopman Cup im westaustralischen Perth ein fulminantes sportliches Comeback nach der Seuchensaison 2017 hin und gewann alle ihre vier Einzelmatches bei der inoffiziellen WM der gemischten Doppel - zuletzt auch im Finale gegen die wieder aufstrebende Schweizerin Belina Bencic.
Allerdings blieb Kerber und ihrem Mitstreiter Alexander Zverev der Turniersieg verwehrt, den holte sich das Schweizer Duo, mit Roger Federer und Bencic. Kerber hatte sich nach den Frustrationen des vergangenen Jahres neu orientiert und sich mit dem Belgier Wim Fissette einen anderen renommierten Coach als Nachfolger für Torben Beltz an ihre Seite geholt. "Ich glaube wieder an mich und mein Spiel", sagte Kerber, "ich freue mich auf Melbourne, auf das erste Grand Slam-Turnier."
Dort, bei den Australian Open, hätte sich das deutsche Interesse in jedem anderen Jahr zwangsläufig auf sie konzentriert - auf die zweimalige Grand Slam-Siegerin, auf die Melbourne-Gewinnerin des Jahres 2016. Doch die topgesetzte Spielerin des DTB down under ist ab dem 15. Januar eben nicht Kerber, sondern die unvermindert formstarke Görges, die nun mit einem Allzeit-Ranglistenhoch von Platz 12 ins Grand-Slam-Abenteuer geht.
Beeindruckende Stabilität
Kaum zu glauben, aber wahr: Nach dem aufsehenerregenden Turniersieg beim Stuttgarter Porsche Grand Prix im Frühling 2011 gewann Görges sechs Jahre lang kein Turnier mehr, ehe sich der Standort- und Trainerwechsel schließlich im Herbst 2017 vortrefflich auszahlte - mit den aufeinanderfolgenden Triumphen in Moskau und Zhuhai und einem Sprung in der Weltrangliste auf 14. Görges, zuvor selbst am meisten frustriert über fehlende Konstanz und eine Zickzack-Fahrt im Wanderzirkus, entpuppt sich auf einmal als Muster an Stabilität und Sicherheit.
Saisonübergreifend hat sie nun 14 Spiele in Serie gewonnen, ganz nach dem Motto: Wenn du einmal in Schwung bist, stoppt Dich so leicht keiner. Auch nicht die starke Weltranglisten-Dritte Wozniacki, die Görges schon damals für ihren ersten Titel in Stuttgart geschlagen hatte. In schlechten Tennis-Lebenslagen können einen widrige Verhältnisse wie in Auckland sofort aus der Bahn werfen, gleich zwei Tage hintereinander verhinderte Dauerregen alle Matches am anderen Ende der Welt.
Doch Görges, fit und konzentriert wie nie zuvor, schwebt weiter regelrecht über die Centre Courts, am Samstag gewann sie ruckzuck sowohl das Viertel- wie das Halbfinale - und am Finaltag imponierte sie mit ihrem druckvollen Spiel, schlug 41 direkte Gewinnpunkte gegen Wozniacki und setzte immer wieder ihren herausragenden Aufschlag buchstäblich als Pluspunkt ein.
Power mit Präzision - es ist das Markenzeichen der neuen Julia Görges, einer Spielerin, die den meisten Experten als heiße Mitfavoritin für die Australian Open gilt. Genau wie Kerber ("Ich fange jetzt nicht zu träumen an") erlaubt sich aber auch Görges keine Euphorie, keinen zu weiten Blick nach vorn. "Gewonnen wird auf dem Platz, nicht mit Worten", sagt Görges.