Nadal spielt in eigenem Tennis-Universum
Der unglaubliche Sieg von Rafael Nadal in Paris war bereits der zweiten Tennis-Renaissance-Moment der laufenden Saison - eine Zugabe in Wimbledon ist nicht ausgeschlossen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
11.06.2017, 18:32 Uhr
Es ist sein Platz, sein Revier, sein rotes Paradies. Und auf der Höhe seiner Kunst kann ihn dort, auf der großen Grand-Slam-Bühne von Paris, einfach nichts und niemand stoppen. Ihn, Rafael Nadal. Ihn, den besten Sandplatzspieler der Welt, den besten Sandplatzspieler aller Zeiten. Als am Sonntagnachmittag abgerechnet war bei den French Open des Jahres 2017, da war sein Rendezvous mit der Ewigkeit hineingezeichnet in die "terre battue", da hatte er seine Turniermission mit dem magischen zehnten Titel abgeschlossen: "La Decima", dieser letzte, neueste Karriere-Meilenstein des bulligen Matadors, war zugleich auch eine der hochwertigsten persönlichen Leistungen im Weltsport dieser Tage.
"Ich bin überglücklich. Mir fehlen die Worte. Das ist der größte und wichtigste Sieg meiner Karriere", sagte Nadal nach seinem ungefährdeten 6:2, 6:3, 6:1-Sieg gegen den Schweizer Stan Wawrinka. Auch jener Wawrinka, der Mann mit dem markigen Spitznamen "Stanimal", konnte Nadals Sturmlauf zum Sieg nicht im mindesten aufhalten, er, dem man als einzigem wirklich Chancen gegen den "Stier von Manacor" eingeräumt hatte, er wirkte genau wie alle anderen Konkurrenten des Spaniers überfordert von dessen Willenskraft und Wucht.
Höhepunkt einer zähen Comebackanstrengung
Vor einem Jahr noch saß Nadal als tief frustrierter Patient im Presseraum des Stadions Roland Garros, es war am ersten Turnier-Samstag, als er seinen bitteren Verletzungsrückzug wegen einer Handgelenksblessur verkünden musste - mit Tränen in den Augen. Gerührt und angefasst war Nadal auch nun, am 11. Juni 2017, doch aus gutem, aus besserem, aus schönem Grund, sein Sieg war nicht nur die Bestätigung, dass er - gesund und munter - der unumschränkte Haus-Herr in Paris ist, die absolute Autorität bei den Rutschübungen im Sand.
La Decima war auch der End- und Höhepunkt einer zähen Comebackanstrengung Nadals, immer wieder war der 31-jährige ja in den letzten Jahren von körperlichen Rückschlägen gebeutelt worden, wochen-, monatelang hatte er gefehlt. Dass er überhaupt jemals wieder in der Weltspitze würde mitspielen können, war keineswegs klar. "Es gab Zweifel, es gab Ängste", sagte Nadal, "aber meine Leidenschaft, wieder stark zurückzukommen, war noch stärker." Am Boden war er an diesem Finalsonntag auch, der Länge nach im Sand hatte es ihn hingestreckt, aber er war obenauf in diesem Moment, ein großer, stolzer, bewegter und bewegender Champion.
Federer prophezeite den Nadal-Lauf
Paris, der unglaubliche zehnte Sieg Nadals - es war schon der zweite Renaissance-Moment eines der absoluten Tennis-Titanen in dieser außergewöhnlichen Saison. Begonnen hatte das Jahr mit Federers atemraubender Rückkehr aus monatelnager Verletzungs-Absenz in Melbourne, er schlug damals in einem fantastischen Finale Nadal, er gewann dann auch noch die Masters-Turniere in Indian Wells und Miami. Dort, im Süden Floridas, prophezeite der Maestro einen Erfolgsmarsch von Nadal im Sand, und er sollte mehr als recht behalten.
Bevor er seine Gegner unterm Eiffelturm nach allen Regeln der Kunst niederkämpfte und ausspielte, hatte Nadal nur ein einziges Match verloren, in Rom gegen den Österreicher Thiem. Die French Open, eines dieser funkelnden Major-Turniere, auch die herausforderndste Prüfung der Tenniswelt - sie wurden schließlich zu einem Solo für den Spanier. Zu bestaunen war ein formvollendeter Alleingang, zum dritten Mal nach 2008 und 2010 gewann Nadal das Turnier ohne Satzverlust.
Mit Selbstvertrauen nach Wimbledon
Seinem ewigen Weggefährten und Freund Federer ist Nadal mit dem jüngsten Grand Slam-Coup wieder etwas näher auf die Pelle gerückt. Er hat jetzt 15 Major-Titel eingesammelt, und damit liegt er alleine auf Platz 2 der ewigen Bestenliste vor Pete Sampras und nur noch drei Siege hinter Federer zurück. Wer weiß, vielleicht sind es die beiden ehemaligen Beherrscher der Tennis-Welt, Federer und Nadal, die sich auch demnächst in Wimbledon am ehesten und in erster Linie um den Pokal streiten. Ausgeschlossen ist das nicht, vor allem bei dem Selbstbewußtsein, das Nadal mitnehmen wird nach London.
Selbst Wawrinka, diesen Kerl von Mann, dieses Kraftpaket, fertigte er im letzten Spiel von Paris mit einer Dominanz und Urgewalt ab, die auch Ungläubigkeit hinterließ. Kopfschütteln in jedem Fall aber bei Wawrinka, der sich von Anfang an in der Rolle des Gehetzten und Getriebenen befand und sich kaum einmal auf Augenhöhe mit Nadal etablieren konnte. Es war der Ausdruck seiner Rat- und Hilflosigkeit, als er gegen Ende des zweiten Satzes sein Racket zertrümmerte - Stan, the Man, in der Opferrolle. Gegen den Mann, den sie in Paris auch den "Kannibalen" nennen. Oder das "Ungeheuer". Weil er so schrecklich schön siegversessen ist im Stade Roland Garros.
Nadal: Nur 35 Spiele abgegeben
Wawrinka kam auch mit einem entscheidenden Malus in dieses vierte Grand Slam-Endspiel seiner Karriere. Auf dem Weg zur Verabredung mit Nadal hatte er zu viel Kraft, zu viel Substanz gelassen, besonders noch einmal in dem Viereinhalb-Stunden-Klassiker im Halbfinale gegen Andy Murray. Auf der anderen Seite des Netzes: Da stand ein beinahe ausgeruhter, für Wawrinka entnervend frischer Nadal, der Spanier hatte satte fünf Stunden weniger Matchzeit bis zum Finale verbraucht. So war eben auch dies zu beobachten: Wawrinka fielen die Schritte schwer, die weiten Wege in die Ecken, überall dorthin, wo ihn Nadal hinjagte.
Nadal war und blieb der Diktator auch dieses letzten, dieses siebten seiner Matches, ganze sechs Spiele gab er im Finale ab. Und nur 35 in den beiden Grand Slam-Wochen. Es scheint, als spielte Nadal in Paris in einem eigenen Tennis-Universum. La Decima, der zehnte Titel, er bedeutet deshalb auch nicht den French Open-Schlußpunkt. Sondern allenfalls eine Zwischenstation.