Federer-Absage für Paris - richtig oder falsch?
Ist die Absage von Roger Federer für Roland Garros gut oder schlecht? Auch innerhalb der tennisnet.com-Redaktion gehen die Meinungen hierzu auseinander.
von Christian Albrecht Barschel, Florian Goosmann, Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
16.05.2017, 11:02 Uhr
Sie kam nicht wirklich unerwartet, die Absage von Roger Federer für die French Open. Die große Frage aber lautet: Tut er sich damit einen Gefallen - oder könnte der Rückzug vielleicht auch zu etwas werden, das Federer am Ende des Jahres bereut? Die tennisnet.com-Redakteure Florian Goosmann und Christian Albrecht Barschel beziehen Stellung.
Von Florian Goosmann
Federers Absage? Ein schlauer Schachzug
"Ich war erleichtert, als ich von Federers Absage für Paris erfahren habe. Denn so stark Federer zum Jahresauftakt gespielt hat - ein Titel in Paris wäre für ihn nicht drin gewesen. Und um was sonst hätte es ihm gehen sollen? Noch mal ein Viertel- oder Halbfinale? Oder ein Endspiel? Das hatte er doch schon oft genug.
Natürlich: Bei gutem Wetter spielt sich's auch in Paris zügig, ein Federer-Offensiv-Spektakel wäre bei günstigen Voraussetzungen auch bei den French Open nicht auszuschließen gewesen. Zumindest, bis Rafael Nadal auf der Gegenseite gestanden hätte. Denn sind wir realistisch, trotz Federers drei Siegen gegen Rafa in diesem Jahr: Auf Sand, über drei Gewinnsätze, wäre nichts drin gewesen für ihn. Auch nicht mit der viel gepriesenen neuen Rückhand. Denn diese ähnlich früh zu nehmen wie auf Hartplatz, im Aufsteigen, ist auf Sand nun mal nicht dauerhaft drin. Zu heftig der Spin, zu häufig ein minimal falscher Ballabsprung.
Federer war meist ein Meister der schlauen Turnierplanung. Der Sand habe seinem Knie schon im Vorjahr nicht gut getan, erklärte er kürzlich. Warum also ein Risiko eingehen und dadurch die Saisonphasen gefährden, die ihm liegen, für die er brennt und seine Kräfte braucht - die Gras-Saison, der US-Hartplatz-Sommer, die Hallen im Herbst? In Wimbledon und bei den US Open, da kann und will Federer noch mal zuschlagen!
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Vor allem aber hat man Federers Aussagen entnommen, dass er nicht wirklich Lust auf Sand hatte. Und nur anzutreten, um ein paar Pünktchen zu sammeln für die Chance auf die Nummer eins? 'Ältester Weltranglistenerster' - okay, es wäre noch so ein schöner Rekord. Aber halbherzig das körperlich anstrengendste Turnier der Welt zu spielen?
Nach seiner einzigen Saisonniederlage in Dubai gegen Evgeny Donskoy grübelte Federer recht offen darüber, dass er nicht voll dabei gewesen war, nicht 'committed genug'. Und in Paris nur aufzulaufen, um eine Pflicht zu erfüllen... für wen denn bitte?"
Von Christian Albrecht Barschel
Federers Absage? Nummer 1 leider kein Ziel
"Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen kam Federers Absage für die French Open für mich überraschend. Ich bin fest von einem Start in Paris ausgegangen. Ein Grand-Slam-Turnier ohne den "Maestro" ist wie Weihnachten ohne Geschenke. Natürlich ist Federers Verzicht aus diversen Gründen, die Florian geschildert hat, nachzuvollziehen, aber aus meiner Sicht könnte es sein, dass er seine Entscheidung bereut - auch wenn er das nicht zugeben würde.
Es sieht danach aus, dass er nicht daran glaubt, die French Open ein zweites Mal gewinnen zu können. Aber warum überhaupt, warum glaubt der beste Spieler aller Zeiten nicht an seine Chance? Es wird immer so getan, als ob Federer kein guter Sandplatzspieler ist. Ganz im Gegenteil. Er stand fünfmal im Finale der French Open. Ob die überragenden Leistungen von Rafael Nadal auf Sand bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben? Eher nicht, es wirkt so, als ob sich Federer für Sand nicht mehr motivieren kann. Der Schweizer nimmt sich ein wenig das Momentum weg, das er selbst geschaffen hat.
Nun heißt es volle Konzentration auf die Rasensaison: Stuttgart, Halle und dann Wimbledon. Es ist wie ein kleiner Neustart. Im Vorjahr stand ein lädierter Federer bei diesen drei Turnieren jeweils im Halbfinale und verspielte zumindest in Stuttgart und Wimbledon den Finaleinzug leichtfertig. Man müsste also meinen, dass sich ein erholter und energiegeladener Federer in der Rasensaison nun mit Leichtigkeit von Sieg zu Sieg spielt. Doch Vorsicht! Auf Rasen werden kleine Unaufmerksamkeiten sofort bestraft. Der Fehlerspielraum ist gering, oft entscheiden nur wenige Punkte über Sieg und Niederlage.
Durch Federers kompletten Verzicht auf die Sandplatzsaison ist die Rückkehr zur Nummer eins der Weltrangliste vorerst unrealistisch geworden. Die Chancen waren da, weil Andy Murray und Novak Djokovic weit von ihrer Bestform entfernt sind. Andre Agassi ist mit 33 Jahren und 131 Tagen die älteste Nummer eins bei den Herren. Der Sandplatzverzicht verdeutlicht, dass es für Federer gar kein Ziel ist, diesen Rekord zu brechen. Irgendwie schade, er würde sich damit ein noch größeres Denkmal setzen.
Es hätte ein spannendes Rennen um die Weltranglistenführung werden können, nun sieht es danach aus, dass Nadal zum zehnten Mal die French Open gewinnt und bald auch wieder die Nummer eins der Welt ist. Und was macht Federer, wenn die Rasensaison nicht seinen Erwartungen entspricht? Lässt er nächstes Jahr auch die komplette Sandplatzsaison sausen? Es ist vorstellbar, dass Federer in seiner Karriere gar nicht mehr auf Sand spielen wird. Es wäre jammerschade!"