"Federers Karriere ist kein Zufall"
Der Schweizer Tennisjournalist René Stauffer ist Roger Federers Biograf - und derjenige, der ihn schon in der Jugend als Tennis-Genie erkannt und entdeckt hat. Ein Gespräch über erste Begegnungen, das Comebackjahr und Pressearbeit mit dem Maestro.
von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
09.08.2017, 10:58 Uhr
René Stauffer ist seit 1981 im Sportbusiness und seit 1993 beim Schweizer Tages-Anzeiger. 2006 veröffentlichte er "Das Tennis-Genie: Die Roger-Federer-Story", die bekannteste Biografie über Federer, die auch international veröffentlicht wurde und alle paar Jahre in aktualisierter Fassung erscheint. Stauffer ist wohl der Tennisjournalist, der Roger Federer am besten kennt und am häufigsten hinter die Kulissen geblickt hat.
tennisnet: Herr Stauffer, wenn Ihnen vor der Saison jemand gesagt hätte, dass Roger Federer die Australian Open und Wimbledon gewinnt - was hätten Sie geantwortet?
Stauffer: Ich hätte eine gute Chance für Wimbledon für möglich gehalten. Federer hat ja immer gesagt, dass er Wimbledon - von den großen Turnieren - am ehesten noch mal gewinnen kann. Dass er in Australien gesiegt hat, hat mich völlig überrumpelt. Die ersten zwei Runden waren zäh und von Unsicherheit geprägt. Es war eine märchenhafte Entwicklung. Vor dem Endspiel gegen Rafael Nadal habe ich seine Chancen sehr gering eingestuft. Im Nachhinein hat aber alles eine gewisse Logik bekommen.
tennisnet: Wie meinen Sie das?
Stauffer: Die ganze Ausgangslage hatte sich verändert: Er hatte keine negative Bilanz gegen Nadal in den letzten Monaten, das hat ihn früher schon belastet. Wenn er oft hintereinander gegen Nadal verloren hatte, hatte das eine Lawinenwirkung. Diesmal nicht: Er konnte eigentlich nichts verlieren, schon diese Lockerheit im Melbourne-Finale hat man extrem gespürt. Deswegen kann man seine beiden Grand-Slam-Titel 2017 nicht vergleichen. Die Ausgangslage war um 180 Grad unterschiedlich.
tennisnet: Sie sind in der Schweiz sehr nah an Federer dran. Haben Sie kurz vorm Comeback gewusst, wie es um ihn steht, wie gut die Vorbereitung wirklich lief?
Stauffer: In Dubai war ich nicht dabei, aber ich hatte mit ihm telefoniert. Da sagte er, dass er extrem gut spiele. Und wenn Federer das sagt, ist das nicht nur so dahingeredet. Er hat dann dieses Live-Training über Periscope gedreht, da hat man gesehen, dass er spritzig und gut drauf ist. Die letzten sechs Wochen waren die wichtigsten. Man war zwar immer dem Fahrplan voraus, aber wusste bis zuletzt nicht, wie sein Körper reagiert, wenn er wieder auf dem Matchcourt steht. Federer wird ja nicht jünger - auch wenn man manchmal das Gefühl hat.
tennisnet: Wann sind Sie das erste Mal auf Roger Federer aufmerksam geworden?
Stauffer: Ich habe ihn zufällig bei einem Jugendturnier in der Schweiz gesehen, beim World Youth Cup in Zürich. Federer war einer der jüngsten Spieler, es war ein U16-Turnier, und er war gerade 15 geworden. Ich hatte gehört, dass er gut und etwas verrückt sein soll, aber als ich ihn spielen sah, war das eine sehr verblüffende Begegnung. Ich dachte: Der Typ hat solch eine gute Hand! Das war ein langsamer Sandplatz und Federer hat gegen einen italienischen Verteidigungsspieler mit der Vorhand und dem Aufschlag Winner geschlagen, als ob es das Einfachste der Welt wäre. Er hat auch die Rückhand schon wunderbar gespielt. Das war eine bleibende Erinnerung. Zumal er immer mit sich unzufrieden war, schimpfte und sich selbst beleidigte - und trotzdem gewann.
tennisnet: Der "typische" Federer in seinen Jugendzeiten also.
Stauffer: Wenn sich jemand so aufführt, ist der Weg zur Niederlage normalerweise vorgezeichnet. Federer hat auch damals in den Matches stärker gespielt als im Training. Ich hatte ihn anschließend interviewt, da sagte er: "Im Training bin ich nie so gut, im Match bin ich zweimal stärker." Er erzählte, dass er für Sampras schwärmt. Und als ich ihn fragte, wieso er sich so aufrege, obwohl er doch gewinne und gut spiele für sein Alter, schaute er verträumt in die Ferne und meinte: "Ich weiß, ich sollte mich nicht aufregen. Aber man sollte halt perfekt spielen können." Da dachte ich: Der Junge hat eine gute Einstellung. Den richtigen Antrieb. Dem geht es nicht um Geld, Ruhm oder Prestige, sondern darum, gut Tennis zu spielen. Dann habe ich ihn eng verfolgt und mir war bald klar: Wenn er kein Grand-Slam-Turnier gewinnt, dann gewinnt kein Schweizer jemals eines.
tennisnet: Federer hat die komplette Kehrtwende geschafft. Er wirkt heute mental sehr kontrolliert, zeigt sich auch selbst von seinem Spiel begeistert. Ist das etwas, das eine solche lange Karriere ermöglicht: Spaß an dem zu haben, was man kann, den Spaß am Spiel zu genießen?
Stauffer: Absolut, das ist das Fundament, auf dem Federers Karriere aufgebaut ist - diese Freude am Sport. Alles, was dazugehört, nimmt er mit. Wenn man andere hört, die nur davon sprechen, wie viel Geld sie verdienen wollen... Die sehen das mehr materiell, Federer sieht es idealistisch. Er hat sich auch nie verausgabt, sich überspielt. Er war früh gut beraten, hat sich gut eingeteilt. Das, zusammen mit der Freude am Sport, hat dazu geführt, dass er alles getan hat, um möglichst lange spielen zu können. Federers Karriere ist kein Zufall, sie ist ein Langzeitprojekt.
tennisnet: Sie sind vermutlich der Journalist, der Roger Federer am häufigsten in seiner Karriere interviewt hat.
Stauffer: Ja... (überlegt) Das ergibt sich halt. Ich bin Schweizer, einer der wenigen Voll-Tennisjournalisten, die kaum etwas nebenher machen. Ich bin ihm seit 20 Jahren auf den Fersen.
tennisnet: Wie läuft ein Kontakt mit Federer ab - fragen Sie über das Management an oder bei ihm direkt?
Stauffer: Ich achte schon darauf, dass meine Interviews offiziell deklariert sind. Sein Manager Tony Godsick koordiniert das meistens mit der ATP, die möchte auch wissen, was Federer macht und hilft manchmal beim Setup. Es ist ja nicht so, dass ich täglich mit ihm telefoniere. Ich sehe ihn so oft, dass ich seine Privatsphäre zu respektieren versuche. Er gibt uns extrem viel bei den Turnieren, hat aber dafür gerne seine Ruhe, wenn er zu Hause ist.
tennisnet: Wie hat er sich im Vergleich zu früher im Umgang mit der Presse verändert?
Stauffer: Federer wirkt ja extrem entspannt, obwohl er so umschwärmt wird, obwohl er ein so dichtes Tagesprogramm hat. Er gibt einem nicht das Gefühl, keine Zeit für uns zu haben. Aber man merkt: Die Zeit für ihn ist knapper geworden. Das ist klar, er ist vielleicht der Sportler, der die meisten Interviews gibt, in allen verschiedenen Sprachen, dazu hat er viele andere Verpflichtungen und vier Kinder. Ich finde das sehr bemerkenswert. Selbst nach Niederlagen spürt man bei ihm keine Gereiztheit. Entweder er versteckt sie gut - oder er kann sehr gut damit umgehen.
tennisnet: Speziell die Schweizer Presse beschäftigt ihn viel, nach der Pressekonferenz gibt's immer noch die Extra-Runde mit den Schweizer Zeitungsjournalisten, dann das Schweizer Fernsehen...
Stauffer:(lacht) ... dann kommt das Westschweizer Fernsehen auf Französisch, der Radioreporter, der deutsch-schweizerische Antworten braucht, der Westschweizer Radioreporter... Ich kenne keinen anderen, der das mit dieser Gelassenheit macht. Er hat sich im Umgang mit der Presse nicht verändert. Außer, dass die Verfügbarkeit nicht mehr so groß ist, vor allem während der Turniere.
tennisnet: Sie haben 2006 Federers bekannteste Biografie geschrieben: "Das Tennis-Genie: Die Roger-Federer-Story". Sie ist ohne seine Mitarbeit entstanden. Hatte er keine Lust?
Stauffer: Ich hatte schon früh Kontakt zu seinen Eltern. Für mich wäre bereits nach dem Wimbledonsieg 2003 der Stoff gut genug gewesen. Die Eltern sagten: Warte doch noch ab, die Karriere hat ja erst begonnen. Dann ist der Verlag an mich herangetreten und hat mir die Offerte gemacht. Tony Godsick war damals neu dabei, mit ihm und Federers Mutter habe ich die Details besprochen. Es gab noch ein anderes Buchprojekt, das hat mir natürlich nicht geholfen. Irgendwann sagte Federer: Ich mache bei beiden nicht mit. Daraufhin musste ich das Okay haben, dass ich das Buch auch ohne ihn schreiben kann, der Verlag hätte das sonst nicht veröffentlicht. Diese Freigabe war aber kein Problem. Das Gute war, dass ich das Buch schreiben konnte, wie ich wollte. Federer hat es erst gelesen, als es rauskam. Als Autor war das dankbarer, weil ich nicht fragen und umschreiben musste.
tennisnet: Hoffen Sie, nach seiner Karriere seine Autobiografie zu schreiben?
Stauffer: Natürlich würde ich mich sehr geehrt fühlen. Allerdings weiß ich nicht, ob Federer eine schreiben will. Er ist so offen mit der Presse. Was er jetzt zurückbehält, sind wohl Dinge, die er auch nachher nicht erzählen will. Er macht sich zudem nicht viel aus Büchern, kann sich dafür nicht sehr begeistern. Eine Autobiografie würde mich überraschen.
tennisnet: Es sind ja immer wieder Federer-Geschichten in Umlauf, die hinter den Kulissen passieren, die aber typisch für ihn erscheinen. Haben Sie eine persönliche Anekdote dieser Art?
Stauffer:(lacht) Typisch für ihn war, als ich vor dem Wimbledonfinale 2004 ein sehr offenes und langes Interview mit Mirka geführt hatte, in dem sie natürlich auch über ihn sprach. Er wollte es zum Gegenlesen, was normalerweise nie der Fall ist. Dann klingelte am Samstagabend das Telefon, und er meldete sich mit: "Jetzt bist du erschrocken, was?" Ich dachte schon, er wollte die Publikation stoppen. Aber ihm ging es lediglich um die Position von Reto Staubli, ein ehemaliger Spitzenspieler der Schweiz. Er ist ein guter Freund von Federer, er begleitete ihn, als er sonst niemanden hatte. Federer ging es darum, eine Formulierung zu finden, die deutlich zeigte, dass Staubli das in seiner Freizeit macht, weil er Angestellter bei einer Bank war und sonst Ärger hätte bekommen können. Das war für mich typisch: Federer nimmt vor einem Wimbledonfinale das Telefon in die Hand, aber es geht nicht um ihn, sondern um einen Freund. Was ihn selbst betrifft, hat er ein dickes Fell. Aber sein Umfeld will er schützen.
tennisnet: Jetzt, nur wenige Wochen vor den US Open, gilt Federer dort ebenfalls als Favorit. Was trauen Sie ihm in dieser Saison noch zu - auch den Sprung auf die Eins?
Stauffer: Die Erfolge von Melbourne und Wimbledon machen ihn natürlich zum Favoriten, zudem spielt er generell gut. Ich traue ihm alles zu, auch, nachdem er Indian Wells und Miami gewonnen hat und nun dermaßen stark zurückgekommen ist. Die Nummer eins ist nicht sein Hauptziel, aber sie ist im Moment fast verwaist. Es zeichnet sich klar ab, dass Federer und Nadal das Rennen dieses Jahr unter sich ausmachen werden, und er spielt normalerweise in den letzten vier Monaten der Saison stärker als Nadal. Nun würde es mich sogar überraschen, wenn er nicht auch noch die älteste Nummer eins des Tennis werden sollte. Immerhin hat er ja fünf seiner ersten sieben Turniere gewonnen, darunter zwei Slams und zwei der Masters-Serie. Und er ist weiter fit und motiviert.
Das Gespräch führte Florian Goosmann.