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"Kein Traumszenario für den Schlusspunkt"

Roger Federer blickt optimistisch nach Wimbledon und erinnert sich immer noch überrascht an seine Auftritte zu Beginn des Jahres in Australien und den USA.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 30.06.2017, 18:01 Uhr

Roger Federer

tennisnet: Herr Federer, Sie haben Halle mit dem neunten Titel verlassen, einer neuen Rekordmarke. Nun sind sie auch der Wettfavorit in Wimbledon.

Roger Federer: Ich gehe gestärkt in das Turnier in Wimbledon. Es ist der wichtigste Termin für mich im Jahr. Es ist auch das Turnier, auf das ich die meiste Konzentration bei meinem Comeback gerichtet habe. Weil ich dort in London eigentlich mit sehr großer Selbstverständlichkeit mein bestes Tennis spiele.

tennisnet: Sie haben schon einige Male das Double Halle/Wimbledon gewonnen. Was rechnen Sie sich selbst aus für die Championships?

Federer: Der Sieg in Halle ist kein Freibrief für Wimbledon. Alles beginnt wieder bei Null, ganz von vorne. Ich rechne mit härtester Konkurrenz, mit den üblichen Verdächtigen, also den Topleuten wie Djokovic, Murray, Wawrinka und Nadal. Und dann gibt es noch diese Burschen aus der neuen Generation, Spieler wie Kyrgios, Alexander Zverev oder Khachanov, auf die man aufpassen muss.

tennisnet: Halle, es war der vierte Titel in einem Jahr, das mit einem Paukenschlag begann, mit dem 18. Grand Slam-Titel, mit dem unerwartetsten Major-Coup überhaupt. Wie blicken Sie auf die Januartage von Melbourne zurück, auf den Triumph im Finale gegen Nadal?

Roger Federer: Es war der unglaublichste Moment überhaupt. Einer, an den ich nie geglaubt hätte. Es war der Hammer, der Kracher schlechthin. Ich schaue immer noch fasziniert zurück und denke: Mann, was ist da eigentlich passiert. Es war jenseits aller Erwartungen, aller Hoffnungen, selbst aller Träume. Ich wachte danach oft morgens manchmal auf, und dann fragte ich mich: Ist es wirklich so passiert? Es ist natürlich auch ein wahnsinniges Glücksgefühl da gewesen, es ist auch immer noch, immer wieder da. Dieses Glück geht auch nicht so schnell weg.

tennisnet: Haben Sie sich dieses Endspiel noch einmal nachträglich angeschaut?

Federer: Nicht in voller Länge. Immer mal wieder Highlights, die spektakulären Szenen. Die Phasen, in den es sich hin und her drehte. Und die Siegerehrung. Ich habe dabei gespürt, was mir das alles bedeutete. Wie wichtig es auch für mein Team, für meine Familie war.

tennisnet: Gab es jemals vergleichbare Momente auf dem Tennisplatz für Sie?

Federer: Es fällt schwer, da etwas zu finden. Sicher der erste Wimbledonsieg, der Sieg bei den French Open. Aber ich kann mich selbst nicht erinnern, dass so starke Gefühle so lange nach einem Match geblieben sind. Dieser Sieg ist einfach wie kein anderer gewesen, er war einzigartig.

tennisnet: Als im letzten Dezember einmal eine Ihrer Trainingseinheiten live übertrugen wurde, da wurden Sie von einem Fan nach Ihrer Einschätzung für die Australian Open und die ersten Tourmonate gefragt. Die Antwort war: Ich bin mit jedem Ergebnis zufrieden.

Federer: Und das war auch ganz ehrlich gemeint. Ich hab gedacht: Schau mal, was geht. Wenn du das Ende der ersten Woche bei einem Grand Slam erreichst, ist das ein schöner Erfolg. Wenn nicht, auch gut. Es war ja eigentlich erst der Anfang dieses Comebacks, was sollte ich da schon erwarten. Und dann begann der Wahnsinn. Ja, es war einfach Wahnsinn. Auch jetzt denke ich immer noch: Verrückt, unfassbar. Auch, weil ich bei praktisch jedem Turnier, das ich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren gespielt habe, besser vorbereitet gewesen bin. Mit viel größerem Selbstvertrauen in das Turnier ging.

tennisnet: Man hat das Gefühl, sie schweben immer wieder und immer noch auf Wolke sieben.

Federer: Es gibt Siege und Momente, die unbezahlbar sind. Und Melbourne war so ein Sieg, so ein Moment. Ich blieb ja auch auf dieser Welle, diese Erfolge setzten sich fort. Indian Wells, Miami. Die Siege bei den Masters-Wettbewerben. Genau so irre. Auch Halle nehme ich nicht als selbstverständlich. Eigentlich ist das alles eine große Kür in meiner Laufbahn.

tennisnet: Auf einen der absoluten Toptitel hatten Sie vor Melbourne lange warten müssen. Viereinhalb Jahre.

Federer: Schauen Sie: Diese Jahre waren teilweise sehr schwierig, 2013 und 2016 waren mehr oder weniger Ausfalljahre wegen vieler Verletzungen. Aber ich habe ansonsten sehr oft sehr, sehr gutes Tennis gespielt, ich war 2015 sehr dicht an einem außerordentlichen starken Novak Djokovic dran, stand immer wieder in Grand Slam-Finals. Also, ich habe nicht Trübsal geblasen in dieser Zeit. Man kann Spieler nicht nur daran messen, ob sie Grand Slam-Titel holen. Ich wäre heute auch ein zufriedener Mensch, wenn ich weiter 17 Siege hätte. 18 Titel sind viel schöner, ganz klar. Aber ich war zuvor absolut mit mir im reinen.

tennisnet: Sie waren die zweite Hälfte 2016 nicht im Wanderzirkus unterwegs, sechs Monate ohne Pflichtspiel? Wie war diese Zeit für Sie?

Federer: Am Anfang denkst Du: Das ist eine lange Strecke jetzt, ganz ohne Turniertennis, ganz ohne diesen wichtigen Teil deines Lebens. Aber ich konnte diese Zeit schnell genießen, ich habe mir einfach gesagt: Mach was draus, entdecke die Möglichkeiten, die du nun hast. Und das war natürlich auch die intensive Zeit mit der Familie, mit meiner Frau und den Kindern. Pausen sind eigentlich nichts Schlimmes, im Gegenteil: Wenn man sie richtig nutzt, sind sie eine Chance. Ich fühlte mich wirklich frisch, ausgeruht und energiegeladen, als ich nach Australien kam. Und auch jetzt noch einmal, nachdem ich die Sandplatzsaison ausließ. Und das ist auch etwas, was andere Spieler im Hinterkopf haben sollten: Pausen sind Teil deiner Arbeit als Profi, sie können sehr nützlich sein.

tennisnet: Sie waren viele Jahre Ihrer Karriere verletzungsfrei, hatten immer eine gewisse Angst vor schwereren Blessuren.

Federer: Aber ich denke und fühle jetzt anders. Ich habe mich schließlich immer wieder zurückgekämpft, wenn ich mit Verletzungen zu tun hatte. Ich weiß, dass es kein Weltuntergang ist, wenn einem so ein Malheur passiert.

tennisnet: Gab es nach Melbourne nicht die Versuchung zu sagen: Danke, liebes Tennis, das ist jetzt der Traummoment, um aufzuhören?

Federer: Nein. Ich habe letztes Jahr, nach den Verletzungen, die ich hatte, immer wieder gesagt: Ich habe einen längerfristigen Horizont, wenn ich dieses Comeback plane. Ich arbeite eigentlich erst mal so, als ob es einfach weitergeht - ohne einen festen Endpunkt. Und daran hat sich auch nichts geändert. Ich will noch ein paar Jahre Tennis spielen, und ich gebe mir auch eine gute Zeit. Klar, viele Leute denken: Matchball, Titel, zack, fertig, Rücktritt - und das war´s. Aber so funktioniert das nicht, jedenfalls nicht bei mir.

tennisnet: Gibt es überhaupt ein Traumszenario für den Schlusspunkt der Karriere?

Federer: Nein, das gibt es nicht. Ich denke, ich werde einfach merken, wenn es soweit ist.

tennisnet: Ist die Rückeroberung von Platz 1 noch ein Ziel?

Federer: Ich ordne dem nichts unter. Ich war lange genug ganz vorne. Wenn es passiert, wäre es natürlich wunderbar. Und wenn nicht? Auch kein Problem.

tennisnet: Wenn Sie jetzt noch einmal über die ersten Monate der Saison 2017 hinaus schauen, was gibt Ihnen hier und heute das Tennis, der Sport?

Federer: Ich hatte das Riesenglück, dass ich etwas, das ich sehr gerne mache, etwas, was früh schon meine Leidenschaft war, dass ich das zu meinem Beruf machen konnte. Das habe ich immer als großes Privileg empfunden. Ich liebe das Tennis, und deshalb gab es auch keinen Tag, an dem ich ernsthaft ein Problem als Profi gehabt hätte. Tennis war auch immer eine große, spannende Herausforderung: Stets besser zu werden, sich auch immer mal wieder neu zu erfinden als Spieler, neue Technologien aufzunehmen. Es wurde einem nie langweilig. Und es ist immer noch und stets ein wunderbares Gefühl, auf einem der großen Centre Courts zu spielen, diese Atmosphäre zu spüren, sich in diese Duelle hineinstürzen zu können. Ganz besonders in Wimbledon.

von Jörg Allmeroth

Freitag
30.06.2017, 18:01 Uhr