Die fünf Komponenten auf dem Weg vom Talent zum Profi
Marathonläufer Tobias Sauter durchleuchtet, worauf es ankommt auf dem Weg vom Talent zum Profi.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
11.07.2014, 08:41 Uhr

Von Tobias Sauter
Heute gehe ich auf eine weitere Komponente rund um das „Talent" ein, bevor ich dann die nächsten Tage zwei Talente, die bei „THE MAKING OF A WIMBLEDON CHAMPION" teilnehmen, näher vorstellen werde.
Bei„leistungsfördernde Rahmenbedingungen"schießt mir sofort das„soziokulturelle Umfeld", in dem wir in Deutschland leben, durch den Kopf. Wenn ich morgens zum Aqua Jogging im Hallenbad bin, dann sehe ich zwei- bis dreijährige Kinder. Alle haben sie diese komischen Schuhe an, wie heißen Sie noch gleich? Clogs? Genau, ich denke, so heißen sie. Auf jeden Fall ergibt es für mich keinen Sinn, weshalb man nicht von Kindesbeinen den Kindern die Chance gibt, sich durch Barfußlaufen und der damit verbundenen Fußmuskulaturstärkung schon die ersten Grundlagen für eine verletzungsfreiere Zukunft nimmt. Dies ist natürlich nur ein Beispiel von vielen soziokulturellen Veränderungen in den letzten Jahren. In den Kindesjahren wird in meinen Augen immer weniger Wert auf die Ausbildung im Hinblick auf das sportliche Fundament für eine spätere Weiterentwicklung in Richtung des Spitzensports gelegt. Unser Bolzplatz gähnt vor Leere. Früher waren wir hier jeden Mittag sofort nach der Schule, ja und sogar ganz früher, also damals vor 100 Jahren, als unsere Vatis mal ohne Bierbauch waren, da haben die (so habe ich aus dem modernen Internet erfahren) sogar jeden Tag Sport gemacht oder haben auf dem Bauernhof gearbeitet. Sogar sind sie manchmal die unglaubliche Strecke von zwei Kilometern in die Schule gelaufen. Ja waren die denn alle verrückt damals? Was wäre gewesen, wenn etwas passiert wäre, also Kindesentführung oder so?
Heute machen wir das doch lieber alles etwas bequemer. Gehen wir heute doch mal mit unserem fiktiven „Klaus" durch so einen typischen Tag. Klaus ist acht Jahre und geht in die Grundschule. Taxi Mama wartet schon ungeduldig im Auto auf den kleinen Klaus. Nachdem Klaus seine Facebook-Nachrichten gecheckt hat, muss er jetzt noch schnell bei „Wer kennt wen" schauen, ob es etwas Neues gibt von seinen „Freunden", stolze 1500 Freunde hat Klaus bei Facebook! Als Klaus nun endlich im Auto ist, drückt ihm Mami noch schnell die drei massiven Salami-Semmeln in die Hand. Frühstück to go. Mami fährt Klaus die zwei Kilometer zur Schule, mal wieder ist sehr viel Verkehr und die beiden benötigen fast 20 Minuten. Dann lässt Mami Klaus direkt am Schuleingang (nur zur Sicherheit, dass nichts passiert) raus, und damit ja auch alles abgesichert ist, hat er auch schon sein neues iPhone 5 in der Tasche. Es ist ja alles nur zu seinem Besten und zu seiner Sicherheit. In der Schule angekommen, erfährt Klaus, dass heute der Sport mal wieder ausfällt. Eigentlich ist er ganz froh darüber, so muss er auch nur noch einmal in dieser Woche in den Schulsport, denn diesen mag er nicht sonderlich. Klaus' Mama war erst letzte Woche beim Sportlehrer, um sich zu beschweren. Die Kinder sollten doch tatsächlich fünf Runden am Stück auf der Rundlaufbahn laufen! Nicht auszudenken, wenn ein Schüler kollabiert wäre?
Klaus' Mami hatte dafür absolut kein Verständnis und musste zur Sicherheit an dieser Stelle einschreiten. Der Sportlehrer hatte dann im Gespräch mit ihr sogar noch die Dreistigkeit anzudeuten, dass Klaus sowohl koordinativ als auch konditionell nicht altersadäquat entwickelt sei. Frechheit. Der langjährige 62-jährige Sportlehrer merkte auch an, dass die durchschnittlichen Leistungen beim Laufen, Springen usw. massiv eingebrochen wären in den letzten beiden Jahrzehnten. Sei es drum, Klaus ist froh, heute keinen Sport zu haben. Er hat ja auch bis 16 Uhr Schule, Sport wäre da wirklich zu viel. Für seine Mittagspause hat Klaus von der Mama sechs Euro erhalten. Wie geschickt, dass jetzt endlich auch ein McDonalds nahe der Schule aufgemacht hat. Natürlich geht er da nicht alleine hin, ein paar seiner Mitschüler kommen da gerne mit. Nach der Mittagspause ist Klaus immer so müde, dass er kaum noch dem Unterricht folgen kann. Manchmal wundert er sich, wieso Michaela da immer noch so aufmerksam dasitzen kann. Vor allem weil Michaela neben der Schule auch noch fünfmal die Woche Tennis spielt, und mittags isst sie auch immer nur so komische Sachen und oftmals mit Gemüse.
Nach der Schule wird er wieder von Mama abgeholt. Natürlich war Mama gerade einkaufen, und der arme Klaus muss nun tatsächlich noch die Kiste Cola, sein Lieblingsgetränk, aus dem Auto tragen. Um 17 Uhr hat Klaus nun endlich „arbeitsfrei". Es dauert nicht lange und der Laptop ist wieder an, wo Klaus all seine vermeintlichen Freunde wieder ganz nah bei sich hat. Ja, und einmal am Computer ist es auch schon fast wieder 23 Uhr und somit Schlafenszeit für unseren Klaus. Ach ja, Klaus hat einen Cousin, der Tom, dieser war ein super Leichtathlet, zumindest bis zum Abitur. Danach ging es leider nicht mehr vorwärts, er begann mit einem Studium. Nach kurzer Zeit war die Doppelbelastung einfach nicht mehr zu meistern. Sondergenehmigungen für Sportler? Fehlanzeige!
Meine Talent-Komponente Nummer 2:
Das soziokulturelle Umfeld in Deutschland stellt alle Verantwortlichen, sei es Eltern, Lehrer oder Trainer, vor Herausforderungen. Im Speziellen:
-frühkindliche koordinative Förderung: Wie fördere ich mein Kind, ohne es zu überfordern?
-Ernährung: Wie oft darf ungesund sein? Wie gewöhne ich mein Kind an gesunde Nahrungsmittel?
-Umgang mit den modernen Medien: Wie viel „Moderne" darf sein, ohne die komplette körperliche Bewegung zu sehr einzuschränken?
-der berufliche Werdegang: Wie kann eine Profikarriere angestrebt werden, ohne die berufliche Perspektive komplett zu vernachlässigen?
Meine Talent-Komponente Nummer 2:
Wenn das soziokulturelle Umfeld dem Sport keinerlei Bedeutung zubringt, wird es sehr schwer, in Zukunft Spitzensportler herauszubringen
Lest hier den ersten Teil!
Tobias Sauter (30 Jahre alt) ist ein deutscher Marathonläufer. Er nahm an der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin und an der Leichtathletik-EM 2010 in Barcelona teil. Seine persönliche Marathon-Bestzeit von 2:17:27 Stunden schaffte er 2009 beim Düsseldorf-Marathon.