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Schluss mit dem Frust: Fünf mentale Übungen, um ärgerliche Fehler sofort abzuhaken

Alles passiert im Kopf. Diese Erfahrung machen Tennisspieler jeden Tag. Marco Kühn von tennis-insider.de hilft Dir mit fünf Übungen, damit die Fehlerquote auch in engen Situationen nach unten geht.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 03.02.2025, 09:19 Uhr

Jannik Sinner ist aktuell auch das Vorbild vieler Spieler beim Thema mentale Stärke.
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Jannik Sinner ist aktuell auch das Vorbild vieler Spieler beim Thema mentale Stärke.

Die Anzeigetafel lügt nicht. 4:5 aus deiner Sicht, sagt sie. Keine 20 Minuten ist es her, da hast du 4:1 geführt. Dann kam er, wie aus dem Nichts. Dieser Fehler mit der Vorhand aus dem Halbfeld. Zu spät getroffen, du hattest zu viel nachgedacht. Dabei hattest du die Rückhand ideal cross gespielt. Dein Gegner schupfte die Murmel aus der tiefsten Defensive hilflos ins Halbfeld. Du hattest nur eine Aufgabe: Den Ball ins offene Feld schubsen. Aber du wolltest es schön machen. Dein Vorhand-Topspin landete drei Zentimeter neben der Seitenlinie. Dieser Fehler manifestierte sich in deinem Kopf. Ein Fehler, der dich ein ganzes Match kosten kann.

Die Preisfrage lautet: Wie kannst du ärgerliche Fehler schnell abhaken? Wie kannst du dich direkt nach einem ärgerlichen Fehler auf den nächsten Punkt fokussieren? Den Fehler kannst du nicht nochmal spielen. Der nächste Punkt liegt aber in deiner Macht. Klingt so einfach, ist es aber nicht. Nicht jeder Spieler ist einem ärgerlichen Fehler so gleichgültig gegenüber wie Jannik Sinner. Diese Gleichgültigkeit ist eine der größten Stärken im mentalen Spiel der Nummer 1. Was du für dein mentales Spiel zwischen T- und Grundlinie tun kannst, das besprechen wir jetzt mit fünf simplen Übungen.

Was sind mentale Übungen?

Mentale Übungen führst du mit deinen Gedanken und deiner Atmung aus. Die einfachste Übung ist das bewusste, tiefe Atmen, das in Stresssituationen deinen Puls senken und deine Anspannung reduzieren kann. Ein wichtiger Bestandteil von mentalen Übungen ist die Visualisierung. Vor allem für dich als Tennisspieler. Wenn du beispielsweise drei Tage vor einem wichtigen Match schlaflos in deinem Bett liegst, rasen Bilder durch deinen Kopf. Du entwirfst Horrorfilme, wie dein Match verlaufen könnte. Du atmest aufgeregter, deine Emotionen verändern sich ins Negative. 

All das ist ein mentales Training - nur gegen dich. Du hast mit mentalen Übungen die Chance, diese Filme in deinem Kopf selbst zu gestalten. Du setzt dich in den Stuhl des Regisseurs, anstatt dich von deinen negativen Bildern im Kopf hilflos beeinflussen zu lassen.

Warum helfen dir mentale Übungen besser Tennis zu spielen?

Beim Tennis musst du bei jedem Schlag unheimlich viele, kleine Details nacheinander perfekt ausführen. Allein bei deiner Vorhand hast du die Aufgabe den Ball anzuschauen, das Timing zu steuern, dich zu bewegen, auszuholen, den Ball früh zu treffen und auch noch strategisch kluge Entscheidungen zu treffen. Ganz schön fordernd. Wenn du bei all diesen Aufgaben nervlich angespannt bist, hat das einen direkten Einfluss auf deine Bewegungsabläufe. Oder wie ich es gerne nenne: Deine Kopf-Schlag-Verbindung. 

Ein angespannter Geist kann den Schwung deiner Vorhand beeinflussen. Nicht gerade zu deinem Vorteil. Wer nervlich auf Hochtouren läuft, neigt schneller dazu, muskulär zu verkrampfen. Mental schwache Spieler erkennt man daran, dass sie wie "gefesselt" spielen. Ihre Bewegungsabläufe sind anders als im Training. Ihr Körper ist verkrampft. Du schwingst die Vorhand nicht über die Schulter aus, du schwingst sie in deine Hosentasche.

Es ist überzogen zu behaupten, mentale Übungen zaubern Probleme im Match mit einem Atemzug weg. Aber denk kurz nach. Kontrollierst du deinen Geist und spielst entspannter, ist das ein wichtiger Hebel für besseres Tennis. Deine Bewegungsabläufe laufen flüssiger. Du denkst klarer und dich lenken äußere Einflüsse nicht mehr ab. Was meine ich mit diesen Einflüssen? Das können Zuschauer sein, vor denen man nicht spielen will. Das kann ein bescheuerter Gegner sein, der jeden dritten Ball Aus gibt oder es kann Nieselregen sein, der aus einem schnellen Sandplatz einen langsamen Court macht. Der Spieler, der sich nicht aus seiner buddhistischen Ruhe bringen lässt, spielt die bessere Kugel.

Wann setzt du mentale Übungen ein?

Ein Großteil der Mentaltraining-Literatur erzählt dir, mentales Training findet im Schneidersitz auf einem Meditationskissen statt. Das stimmt nur teilweise. So wie es Übungen für deine Schläge gibt, so gibt es Übungen für deinen Geist. Du kannst mit simplen Übungen deine Konzentration, deinen Fokus und deine emotionale Kontrolle trainieren. Du kannst nicht deine Nervosität ausknipsen wie einen Lichtschalter. Nervosität gehört zu jedem großen Champion dazu, wie der Netzpfosten zum Tennisplatz. Du kannst aber ganz sicher deinen Umgang mit Nervosität verbessern. 

Mentale Übungen setzt du zwischen den Ballwechseln ein. Du spielst in jedem Match ein Spiel während der Ballwechsel und ein Match zwischen den Ballwechseln. Boris nennt es das Spiel zwischen Ohren. Das trifft es gut. Dieses Spielchen zwischen Ohren spielst du zwischen den Ballwechseln. Während du beim Seitenwechsel auf der Bank sitzt, wenn du dir zwei Bälle für deinen Aufschlag holst oder wenn du beim Return darauf wartest, dass dein Gegner seinen Einwurf beginnt.

Vergiss nie, dass du dieses mentale Spielchen immer spielst und schon immer gespielt hast. Ob bewusst oder unbewusst. Es wäre eine feine Sache, aber es ist nicht möglich, nicht zu denken. Dein Geist arbeitet immer. Dir schießen pausenlos Bilder und Gedanken durch deinen Kopf. Das Ziel mentaler Übungen ist es, der Regisseur deiner Geschichte in deinem Kopf zu werden.

Lass uns fünf Übungen besprechen, die dich direkt in den Stuhl des Regisseurs setzen.

1) Der Trainer

Wir nutzen bei dieser Übung deine Fähigkeit zur Visualisierung. Wir entfernen uns bewusst von negativen Gedanken. Das Ziel? Du stellst dir vor, was dir dein Trainer zu deinem Fehler sagen würde. Du kennst das Vokabular, den Charme und die Denkweise deines Trainers. Gehe in kurzen Gedanken durch, wie dich dein Trainer korrigieren würde. Ein kurzer Tipp, mehr nicht. Keine Analyse. Nur eine Korrektur.

Beispiel: Du hast eine Vorhand aus der Mitte des Platzes zu weit nach hinten ins Aus geschlagen. In deiner Visualisierung gehst du durch: “Okay, mein Trainer würde durchdrehen, hätte er meine Rückenlage beim Schlag gesehen. Also: Beim nächsten Ball Gewicht nach vorn verlagern!”.

2) Der Kinofilm

Diese Übung verbessert dein Denken auf dem Tennisplatz auf unterschiedlichen Ebenen. Du kannst nicht nur Fehler schnell abhaken. Zeitgleich “trainierst” du deine Grundschläge mental. In den USA wurde eine Studie bei Basketballern durchgeführt. 

Gruppe A trainierte Würfe direkt auf dem Spielfeld. Gruppe B trainierte Würfe einzig mit Visualisierungsübungen. Sie warfen den Ball in ihren Gedanken auf den Korb, ohne auf dem Platz zu stehen. Gruppe C trainierte gar nicht. Das Ergebnis? Gruppe B verbesserte sich fast so stark wie Gruppe A. Nur Gruppe C konnte keine Fortschritte verzeichnen.

Das führt uns zu unserer mentalen Übung, dem “Kinofilm”. Gehe nach deinem Fehler direkt im Kopf die ideale Schlagbewegung plus Treffpunkt des Balles nochmal durch. Wie würdest du den Ball besser spielen, wenn du ihn direkt nach dem Fehler nochmal spielen könntest? Du kannst bei deiner Visualisierung des perfekten Schlages auch Trockenbewegungen mit dem Schläger machen. Dominic Thiem tat dies früher vor einem Match. Maria Sharapova führte Trockenübungen vor einem Return aus.

Beispiel: Du hast deine beidhändige Rückhand ins Netz gespielt. Du hattest keine Körperspannung beim Schlag. Dein Schwung nach vorne, durch den Ball, fand nicht statt. Gehe detailliert im Kopf durch, wie du vor dem Treffpunkt der Murmel in die Knie gehst, den Ball aufmerksam anschaust und du den Schlag perfekt vor dem Körper ausführst. Schaue dir in deiner Visualisierung genau an, wie dein Schlägerkopf ab dem Treffpunkt des Balles den Ball nach vorne führt.

Fertig ist dein “Kinofilm” deiner idealen Rückhand. 

3) Das Kind

Mit dieser Übung nutzen wir den mentalen Grundschlag der Selbstgespräche. Eine für dich als Tennisspieler wichtige mentale Technik, die du bewusst und unbewusst nutzt. Ja, als Tennisspieler quatscht man permanent mit sich selbst. Am liebsten macht man sich Vorwürfe oder nährt seine Zweifel wie einen Sumoringer. 

Stell dir vor, nach deinem Fehler kommt ein 5-jähriger Junge zu dir und fragt dich: "Warum hast du den Ball verschlagen?". Erkläre dem 5-jährigen, was du falsch gemacht hast. Das ist eine wunderbare Übung für die Korrektur nach einem Fehler. Du kannst den Dialog still für dich in deinem Kopf führen. Manche Spieler mögen es aber auch, zu sich selbst leise zu sprechen. Hier gibt es kein richtig oder falsch. 

Beispiel: Du hast den achten Doppelfehler serviert. Es steht erst 4:4 im ersten Satz. Der 5-jährige Junge kommt zu dir und fragt: “Hey, du, warum spielst du alle Aufschläge ins Aus oder ins Netz?”. Deine Antwort könnte sein: “Hey, kleiner Mann, ja, ich bin unglaublich nervös. Mein Ballwurf funktioniert noch nicht und ich fühle mich unsicher beim Aufschlag!”. Da hast du die Lösung für dein Problem. Was kannst du tun, wenn der Ballwurf nicht funktioniert? Exakt, mehr Konzentration auf den Ballwurf, den Ball später aus der Hand lassen und nicht zu hoch werfen. Und was kannst du tun, wenn du dich unsicher fühlst beim Serve? 

Exakt, du kannst beim ersten Aufschlag mehr auf Quote gehen. Serviere mehr mit Slice durch die Mitte des T-Feldes. Selbstvertrauen entwickelt sich durch Mini-Erfolgserlebnisse. Ein Mini-Erfolgserlebnis beim Aufschlag ist ein ins Feld gespielter erster Aufschlag. Egal, ob mit 200 oder 20 km/h. Erst kommt das Vertrauen, dann das Ass durch die Mitte. Nicht umgekehrt.

4) Das Quiz

Erneut eine Übung aus dem mentalen Werkzeugkasten der Selbstgespräche. Positive Selbstgespräche, versteht sich. Tennis ist ein individuell ausgeführter Sport. Jeder spielt die Vorhand anders. Schau dir bei einem Turnier die Spieler an. Es gibt keinen, der beim Ausführen der Schläge so aussieht wie ein anderer. Dementsprechend individuell ist auch die Fehlerquelle. Es gibt Spieler, die stehen bei der Vorhand zu eng am Ball. Andere wiederum werden zu schnell, zu hektisch.

Hier setzt unsere mentale Übung “Das Quiz” an. Gehe nach einem ärgerlichen Fehler sofort die drei Bereiche durch, die häufig der Grund für einen Fehler sind. Dazu gehören die drei Fragen:

* Zu spät getroffen?
* Rückenlage?
* Schlägerfläche zu früh geöffnet?

Einer ist meist der Täter. Manchmal gibt es auch zwei oder sogar drei Täter. Finde heraus, welchen Täter du nach deinem ärgerlichen Fehler überführen musst. Und mache es beim nächsten Schlag besser. Geheimtipp: Bei vielen Spielern ist es fast immer derselbe Täter. Nennt sich: Gewohnheit. Jeder Spieler besteht im Gesamten aus zig kleinen Gewohnheiten. Findest du deine kleinen, gemeinen Gewohnheiten bei ärgerlichen Fehlern heraus, hast du einen wichtigen Hebel für besseres Tennis entdeckt.

Beispiel: Du schlägst die Vorhand meilenweit nach hinten ins Aus. Setze “Das Quiz” ein. Die Lösung? Mindestens Rückenlage. Es kann sich aber auch eine zu früh geöffnete Schlägerfläche in den Täterkreis geschlichen haben. Wendest du “Das Quiz” regelmäßig an, kannst du mit Geduld die eine Fehlerquelle eliminieren, die dich bereits einige Matches gekostet haben wird.

5) Der Buddhist

Wir schließen unsere mentalen Übungen mit einer Atemtechnik ab. Ich nenne diese Übung: “Der Buddhist”. Simpel anzuwenden, enorm effektiv. Nach einem Fehler bist du emotional aufgeladen. Dein Puls wird höher, deine Gedanken schneller. Beides willst du beruhigen. Atemübungen senken nachweislich den Blutdruck und reduzieren Stress. Nicht nur langfristig. Atemübungen können dir direkt im Angesicht der Wut helfen. Durch einen sinkenden Puls werden auch deine Gedanken “stiller”. Dies kann dazu führen, dass du dich schneller wieder auf den nächsten Punkt konzentrieren kannst.

Die Übung ist simpel auszuführen. Du atmest drei Sekunden durch die Nase ein und sieben Sekunden durch den Mund wieder aus. Das klingt noch einfacher als ein Glas Cola zu trinken. Aber vertraue mir, diese Übung ist effektiver und gesünder als ein Glas Cola. Du kannst diese Atemübung beliebig erweitern oder verändern. Du kannst nach dem Einatmen durch die Nase den Atem für drei Sekunden halten. Nach den drei Sekunden atmtest du dann sieben Sekunden durch deinen Mund wieder aus. Das Halten deines Atems zwingt dich dazu, dich auf das Halten deines Atems zu konzentrieren. Du lenkst dich selbst von deinem Frust, deiner Wut und deinen negativen Gedanken ab. Selbstmanipulation für Fortgeschrittene zum Wohle des besseren Tennis.

Beispiel: Bei 4:4 und 40:15 bei deinem Aufschlag bleibt dein perfekt gegen den Lauf des Gegners gespielter Stoppball tanzend auf der Netzkante kleben - und rollt zurück auf deine Seite. Grund genug, das Racket mit dem Boden zusammenzubringen. Atme drei Sekunden durch die Nase ein und langsam, kontrolliert und fokussiert sieben Sekunden durch den Mund wieder aus. Wiederhole die Übung bei Bedarf ein weiteres Mal.

Zusammenfassung

Mentale Übungen sind wie ein weiterer Grundschlag in deinem Repertoire als Tennisspieler. Bei manchen Spielern wirkt die mentale Stärke wie eine zweite Vorhand. Selbstverständlich sind mentale Übungen nicht der heilige Tennisgral, mit dem alles besser wird. Aber diese simplen Übungen helfen dir im Match cooler zu bleiben, klarer zu denken und dein Potenzial auf dem Platz hilfreich zu unterstützen.

Starte mit ein oder zwei Übungen. Setze diese zehnmal um. So wie du deine Vorhand trainierst, so musst du auch diese mentalen Übungen trainieren. Mit der Zeit wirst du herausfinden, welcher “mentale Spielertyp” du bist. 

Ich wünsche dir viel Spaß und Erfolg zwischen T- und Grundlinie.

von Marco Kühn

Montag
03.02.2025, 12:20 Uhr
zuletzt bearbeitet: 03.02.2025, 09:19 Uhr